Bei der Durchsetzung
neuer Leitlinien für die Verpachtung kircheneigenen Landes ist langer Atem
gefragt.
von Karin Vorländer
Schätzungsweise drei bis vier Prozent der derzeit 16,5 Millionen Hektar landwirtschaftlich
genutzter Fläche gehören den beiden großen Kirchen. Gemeinsam sind sie damit
der größte Grundbesitzer Deutschlands. Wie kircheneigenes Land bewirtschaftet
wird, ob ökologisch nachhaltig oder unter dem Vorzeichen industrieller oder
konventioneller Landwirtschaft, das fällt im Zeichen abnehmender Artenvielfalt
und bedrohter Bodenfruchtbarkeit durchaus ins Gewicht.
Auf dem Kirchentag 2019 hat die Evangelische Kirche von Westfalen (EKvW) deshalb eine Handreichung vorgestellt, in der sie in Zusammenarbeit mit dem NABU Projekt “Fairpachten“ neue Leitlinien zur Verpachtung von Kirchenland vorstellt.
Die Handreichung zielt darauf, dass deutlich mehr Kirchenland nach
ökologischen Kriterien verpachtet werden soll. Darüber hinaus will die EKvW
familiengeführte bäuerliche Betriebe stärken und gibt den Gemeinden, die kircheneigenes
Land besitzen, Hinweise zur neuen Gestaltung des Pachtzinses.
Aus Anlass des Weltbodentages am 5. Dezember hat Karin Vorländer bei Dirk
Hillerkus, dem Mitverfasser der Handreichung, nachgefragt, welche Chancen und
Probleme es beim Versuch gibt, Kirchenland von den Pächtern künftig ökologisch
nachhaltiger bewirtschaften zu lassen.
Gibt es verlässliche Zahlen dazu, wie viel Land in kirchlichem Besitz ist?
Dirk Hillerkus: Das ist eine schwierige Frage. Es gibt die Zahl, dass in der EKD etwa 325.000
Hektar landwirtschaftliche Fläche in den 20 Gliedkirchen der EKD
verpachtet sind. Das gestaltet sich in den Gliedkirchen sehr unterschiedlich.
In Mitteldeutschland etwa wird das Pachtland zentral erfasst und verwaltet. In
der Evangelischen Kirche in Westfalen, in der Evangelischen Kirche im Rheinland
und in Hessen-Nassau dagegen sind die Kirchengemeinden Eigentümer des
Pachtlandes. Da liegt auf Kirchenkreis- oder landeskirchlicher Ebene keine
Gesamtzahl vor. Wir sind dabei, eine Übersicht für die gesamte EKvW zu
erstellen und die Zahlen zu erheben.
Ist das kirchliche Pachtland ein Faktor in der Landwirtschaft?
Hillerkus: Ja, zumindest in bestimmten Regionen. Wenn Sie etwa ans
Münsterland, an Ost- und Südwestfalen oder an die Forstwirtschaft im
Wittgensteiner Land denken, da gibt es beachtliche Pacht-Flächen in Kirchenbesitz.
Sogar ein eher städtischer Kirchenkreis wie Unna hat 200 Hektar Land. In Unna
zum Beispiel sind das Flächen, auf denen auch eine intensive Landwirtschaft,
Kartoffel- und Gemüseanbau stattfindet.
Wenn diese Flächen wegfielen oder wenn die Kirchen strengere ökologische
Kriterien für die Verpachtung durchsetzte, wäre das spürbar?
Hillerkus: Das wäre für einige Pächter spürbar. Deshalb haben wir unsere Handreichung
so gestaltet, dass wir sagen: „Das sind Empfehlungen“. Die
Kirchengemeinden und ihre Presbyterien entscheiden ja eigenständig. Nun
ist es so, dass sich die Zusammensetzung der Presbyterien auf dem Land stark
verändert hat und weniger Landwirte als früher Mitglied sind. Das hat
verschiedene Gründe. Einmal ist die Zahl der Landwirte generell weniger
geworden. Heute bewirtschaften zwei Landwirte die Fläche, die früher
zehn Landwirte bewirtschaftet haben. Die Pächter sind Mitglieder der
evangelischen oder katholischen Kirche. Aufgrund der teilweise höheren
Arbeitsbelastung ist ihre verfügbare Zeit für Ehrenämter sicherlich begrenzter
als früher. Von daher sind in vielen Presbyterien keine Landwirte mehr
vertreten und die anderen Mitglieder sind mit der Materie nicht mehr so
vertraut. Das war auch einer der Gründe, warum wir die Handreichung gemacht
haben, so dass auch die Mitglieder, die fachlich nicht so bewandert sind, sich
in die Materie einarbeiten können und anhand von Beispielen sagen können:
„So sieht angewandter Naturschutz in der Landwirtschaft aus, so könnte man
das tun.“
Wo liegt das Neue in der Handreichung und wo liegt die Herausforderung die
Empfehlungen umzusetzen?
Hillerkus: Das Neue liegt sicherlich darin, dass die Handreichung erstens mit der NABU
Stiftung Nationales Naturerbe, bzw. mit dem Projekt „Fairpachten“
zusammen entwickelt wurde. Das Projekt „Fairpachten“ ist vor einem
Jahr neu gestartet worden. In dem Projekt sind auch Berater tätig, die
Verpächter, das wären in dem Fall die Kirchengemeinden direkt vor Ort, beraten.
Das ganz Wichtige dabei ist, dass wir nicht nur ganz konkret die
Nachhaltigkeitskriterien Ökologie, Ökonomie und Soziales aufgenommen haben, die
wir auch schon in der ersten Handreichung hatten, sondern dass wir in der
aktuellen Handreichung auch ganz konkret Fördermöglichkeiten und Naturschutzmaßnahmen
aufführen. Von 30 möglichen Maßnahmen, die das Fairpachten Projekt vorschlägt,
haben wir zehn ausgesucht und in die Handreichung aufgenommen. Wir sagen:
„Leute, das sind jetzt mal Beispiele und wir würden dazu raten, dass ein
oder zwei dieser Maßnahmen auf dem Kirchenland angewandt werden.“ Wir
haben darauf geachtet, dass das Maßnahmen sind, die vom Land gefördert werden
und finanziell attraktiv sind.
Warum schreibt sich die Kirche das Thema Böden und nachhaltige
Landwirtschaft auf die Fahnen? Wie hängt das mit dem Verständnis des Auftrages
von evangelischer Kirche zusammen?
Hillerkus: Unser Auftrag ist ja Bewahrung der Schöpfung, Frieden und
Gerechtigkeit. Das sind nun mal die drei wichtigen Säulen. Schon im konziliaren
Prozess in den achtziger Jahren haben sich die Kirchen damit beschäftigt und
über Nachhaltigkeit geredet. Und gerade jetzt sehen wir, dadurch dass das Thema
Biodiversität und Verschwinden von Arten immer mehr zum Thema wird, wie wichtig
die Erhaltung des Bodens, der Bodenfruchtbarkeit und der Erhaltung und
Förderung der Artenvielfalt ist. Einmal zur Nahrungsmittelproduktion, aber auch
insgesamt zur Erhaltung funktionierender Ökosysteme, die wir letztendlich ja
alle zum Leben brauchen.
Welche Landwirtschaft entspräche denn den anspruchsvollen Kriterien, die
die Kirche formuliert hat?
Hillerkus: Wir sagen, dass wir familiengeführte Landwirtschaftsbetriebe möchten,
die nachhaltig wirtschaften. Es wäre toll, wenn es ein Biolandbetrieb ist,
aber, wenn jemand artgerechte Tierhaltung hat, und zwei Großvieheinheiten pro
Hektar hält (zwei Kühe), nicht unbedingt Mais nach Mais anbaut, was z.B.
Bestandteil eines Pachtvertrages sein kann, dann sind das schon mal positive
Aspekte, die wir aufnehmen sollten.
Macht sich die Kirche bei den Landwirtschaftsverbänden mit ihren
Forderungen und Kriterien Freunde?
Hillerkus: Nicht immer. Das kommt auf den Verband an. Wir sind in regelmäßigem
Dialog mit dem Westfälisch-Lippischen
Landwirtschaftsverband (WLV) in Münster, 80 Prozent der Landwirte sind
da Mitglied. Da wird eine Landwirtschaftspolitik vertreten, die das Motto
„Wachsen oder Weichen“ zumindest nicht in Frage stellt.
Wo gibt es Dissens zwischen Landwirten und ihren Verbänden und den
Empfehlungen der Kirche?
Hillerkus: Wenn wir auf Arbeitsebene Gespräche in Münster haben, dann wird immer
wieder gesagt: „Wir müssen doch die Welt ernähren.“ Ich
habe selbst 16 Jahre beim kirchlichen Hilfswerk „Brot für die Welt“
in Äthiopien gearbeitet. Ich entgegne dann: „Liebe Leute. Wir müssen dort die
Bauern fördern, ihnen dort Wissen geben, ihnen dort Zugang
zu Ressourcen und Krediten verschaffen, aber wir müssen nicht hier produzieren,
und es dann dorthin zu verschiffen. Wir müssen nicht von hier aus die Welt
ernähren.“
Das ist einer der großen Punkte, wo es eine große Diskrepanz zwischen der
Kirche und den Bauernverbänden gibt. „Brot für die Welt“ wird
kritisch gesehen. Das hat auch mit der Mentalität der hiesigen Landwirte zu
tun. Man ist sehr technisch orientiert. Je größer die Maschine, umso besser. Je
mehr Ertrag pro Hektar, umso besser. Da werden andere Faktoren wie Zugang zu
Land oder die politische Situation ziemlich ausgeblendet. Kritisch geguckt
wird auch, wenn wir vorschlagen, dass die Landwirtschaft ihren Fokus auf den EU
Binnenmarkt legen sollte.
Wo ganz kritisch reagiert wird, ist, wenn wir auf alternativ/biologisch
wirtschaftende Betriebe hinweisen, etwa bei der Umstellung der Schweinehaltung.
„Na ja komm, die paar Stück, die der dann verkaufen kann“, heißt es
dann. Man tut sich schwer damit anzuerkennen, dass man von der Masse weg
mehr auf Qualität setzen kann und dass man Regionalvermarktung aufbauen kann.
Da sind die meisten konventionell wirtschaftenden Landwirte schwer zugänglich.
Das ist noch ein dickes Brett. Wir haben natürlich auch Kontakt zu
Arbeitsgemeinschaft bäuerlicher Landwirtschaft (AbL) und den
Bio-Anbau-Verbänden. Wir sind mit allen im Gespräch.
Haben die Kriterien aus der Handreichung für nachhaltige Bewirtschaftung
von kirchlichem Pachtland schon Eingang in Musterverträge gefunden?
Hillerkus: Nein, das ist noch nicht in den Musterverträgen. Es gibt einen
Mustervertrag von der EKvW, der sich nach dem EKD Mustervertrag richtet. Die
Kriterien ordnungsgemäße Landbewirtschaftung, kein Ausbringen von Klärschlamm
und kein Anbau genveränderter Pflanzen sind fester Bestandteil des
EKvW-Musterpachtvertrages. Das andere wären dann Anhänge, die in den
Kirchenkreisen oder Kirchengemeinden angefügt werden können. Das hängt
natürlich auch von den jeweiligen Standorten ab. Wenn es keine Biogasanlagen in
der Region gibt, muss im Pachtvertrag nicht stehen, es darf nicht Mais nach
Mais angebaut werden. Sollte es eine Region geben, wo das sehr stark ist, dann
wäre das ein Kriterium.
Mit neuen Pachtbedingungen handeln sich Presbyterien vermutlich auch Ärger
ein.
Hillerkus: Pachtland hat in den Kirchengemeinden jahrelang keine große Rolle gespielt.
Das heißt, Pachtverträge wurden nicht erneuert. Die laufen teilweise seit 30
Jahren. Es wurde auch der Pachtzins nicht erhöht. Landwirte zahlen immer noch
das, was sie vor langer Zeit bezahlt haben. Das mag in manchen abgelegenen
Gegenden ja okay sein, aber wenn sie an Stadtrandgebiete und größere Betriebe
denken, da sind die Pachtbeträge mittlerweile 5- bis 6-fach so hoch. Da sind
zwei Komponenten, die diskutiert werden müssen: Einmal der Pachtzins und zum
anderen die ökologischen, ökonomischen und sozialen Verpachtungskriterien.
Wobei wir sagen, die ökologischen Kriterien sollten stärker wiegen als der
maximale monetäre Ertrag, den man pro Hektar Pachtland erzielen kann.
Wenn aber ein Landwirt sagt, „ich würde gerne auf Bio umstellen,
kriege aber in der Übergangszeit keine Biopreise“, dann kann man darüber
reden. Der Pachtpreis muss nicht an die Decke des Höchstmöglichen gehen. Auch
wenn ein Betrieb durch eine Erhöhung in seiner Existenz gefährdet wäre, dann
müsste man sagen, das wollen wir nicht. Es gibt eben auch das soziale
Kriterium. Wir möchten, dass Landwirte Teil des Dorfes bleiben. Wir möchten, dass
Betriebe familiengeführt bleiben und keine Kapitalgesellschaft werden.
Gibt es ein Beispiel für eine Nichtverlängerung eines Pachtvertrages
aufgrund der neuen Kriterien?
Hillerkus: Mir ist es nicht bekannt, weil wir ja erst anfangen. Es gibt einen Kirchenkreis,
der alle Pachtverträge erneuert hat. Das war vor der Veröffentlichung der
Handreichung. Da ging es hauptsächlich um den Pachtpreis. Und bei einer
Kirchengemeinde am Stadtrand von Unna mit 22 Pächtern wurden vor einiger Zeit
alle Pachtverträge erneuert. Dabei war wichtig, dass der sozialen Frieden und
das gute Verhältnis zwischen Bauern und Kirche erhalten bleibt.
Und womit ist zu rechnen, wenn die Kirche ernst macht mit den strengeren
Kriterien der Handreichung?
Hillerkus: Man darf das Ganze natürlich auch nicht außerhalb der Agrarpolitik
sehen. Das ist das große Korsett, in dem wir alle stecken. Auch Biolandbetriebe
stehen nicht gerade außerhalb des Systems und des ökonomischen Drucks. Solange
die Agrarpolitik auf Wachsen oder Weichen setzt und Betriebe ihre
Kostensteigerung über Produktionssteigerung auffangen müssen und die EU auf
Exporte setzt, wo die Betriebe von den Produktionskosten her oft nicht
konkurrieren können, werden wir in diesem Dilemma bleiben.
Wir brauchen eine Veränderung, dass wir sagen: Öffentliche Gelder für
öffentliche Güter. Landwirte erhalten Geld von der öffentlichen Hand, um
öffentliche Güter wie gesunde Nahrungsmittel, Artenvielfalt, Boden, Luft und
Wasser zu produzieren oder zu erhalten, die hohen Umweltnormen entsprechen. Wir
müssen die Qualität landwirtschaftlicher Produkte wieder mehr schätzen lernen.
Das hat natürlich mit einer Ernährungsveränderung zu tun und auch mit der
Bereitschaft der Verbraucher, für bessere Qualität mehr zu zahlen. Der Landwirt
schiebt die Schuld gerne auf die Verbraucher, die oft nicht mehr bezahlen
wollen und bleibt reserviert. Ich sage dann schon mal: „Ihr könnt euch
überlegen, entweder wollt ihr einen Schnitzelpreis pro Kilo von 1,99 Euro und
einen Wasserpreis von 15 Euro pro m3. Oder ihr zahlt 4 Euro für das
Kilo und das Wasser ist nicht so teuer und enthält weniger
Nitrat.“ Anders ausgedrückt: Überlegt euch, wo ihr hinwollt. Mit
allen Umweltfolgen.
Können Sie ein Beispiel nennen, wo die neue Handreichung schon etwas zum
Positiven verändert hat?
Hillerkus: Wenn es um die Umweltmaßnahmen geht, ist es noch zu früh. Die Handreichung
haben wir ja erst zum Kirchentag veröffentlicht. Wir installieren gerade erste
Arbeitsgruppen und sind dabei, gemeinsame Auswahlkriterien für die Verpachtung
zu finden und dann mit den Pächtern einen Dialog zu führen.
Wie soll oder kann die Umsetzung der Empfehlungen und daraus erwachsener
neuer Pachtverträge überprüft werden?
Hillerkus: Wir setzen mehr auf Kommunikation und Dialog als auf
Kontrolle. Es ist eine Illusion zu glauben, dass ehrenamtliche
Kirchenvorstandsmitglieder, die oft schwierig zu finden sind, die Zeit haben,
alle Flächen jedes Jahr zu begehen.