Zivilgesellschaftliches Bündnis fordert: Vollwertiges, ökologisches Essen für alle – Ernährungsarmut beenden!

Zivilgesellschaftliches Bündnis fordert: Vollwertiges, ökologisches Essen für alle – Ernährungsarmut beenden!

Seit die Preise für Lebensmittel steigen, steigt auch die Ernährungsarmut. Immer mehr Menschen können sich gesundes Essen nicht mehr leisten. „Billiges Fastfood“, so der Sprecher der Instituts für Welternährung Wilfried Bommert, „hat wieder Konjunktur. Die Gesundheit insbesondere der Kinder rutscht aus dem Blickfeld. Die des Planeten auch.“

Es ist höchste Zeit, dass die Agrar- und Ernährungspolitik hier Flagge zeigt. „Es geht darum“, so Bommert, „eine warme Mahlzeit pro Tag aus ökologisch erzeugten, gesunden Nahrungsmitteln für alle zu ermöglichen und dies für Kinder kostenfrei.“ Gesunde Ernährung müsse als öffentliche Aufgabe ernst genommen werden. Ökologisch, erschwinglich und verläßlich.

Das fordert das Institut für Welternährung gemeinsam mit 32 Organisationen der Zivilgesellschaft. Das Bündnis dringt darauf, das diese Prinzipien in der Ernährungssstrategie des Bundes fest verankert werden.

Wir fordern:

  1. Eine warme Mahlzeit pro Tag aus ökologisch erzeugten, gesunden Nahrungsmitteln allen Menschen zugänglich machen!
    Viele Menschen in Deutschland können sich eine warme Mahlzeit am Tag nicht regelmäßig leisten. Sie haben keinen Zugang zu gesunden, ökologisch hergestellten Lebensmitteln. Deshalb muss der Staat dafür Sorge tragen, dass es sowohl im städtischen als auch im ländlichen Raum Orte gibt, an denen täglich und für alle mindestens eine warme Mahlzeit im Sinne der „Planetary Health Diet“ angeboten wird. Dazu gehört auch, dass die Kita- und Schulverpflegung für alle Kinder beitragsfrei ist.
  2. Eine Grundsicherung, die eine gesunde, ökologische Ernährung ermöglicht
    Im Regelsatz sind derzeit nur 5,74 Euro pro Tag für drei Mahlzeiten inklusive Getränke vorgesehen. Für Kinder und Jugendliche ist der Betrag noch geringer. Das gefährdet die Entwicklung junger Menschen und verhindert soziale Teilhabe. Der Regelsatz muss soweit angehoben werden, dass eine gesunde, ökologische Ernährung im Sinne der “Planetary Health Diet” möglich ist. Umgehend muss außerdem eine Kindergrundsicherung eingeführt werden und so gestaltet sein, dass alle Kinder ausreichend versorgt werden können.
  3. Vollwertiges Essen aus ökologisch erzeugten, gesunden Nahrungsmitteln in allen öffentlich finanzierten Einrichtungen mit Gemeinschaftsverpflegung
    Die Politik muss auf allen Ebenen die Beschaffungs- und Vergaberichtlinien für Träger von öffentlich finanzierten Einrichtungen mit Gemeinschaftsverpflegung anpassen und Nachhaltigkeitskriterien verankern. Ziel sollte es sein, die Verwendung eines zunehmenden Anteils von Bio-Produkten verbindlich festzulegen und die Umstellung auf eine pflanzenbetonte, vollwertige Kost zu begleiten und zu überprüfen. Dabei muss die staatliche Refinanzierung der Träger und Einrichtungen die zusätzlichen Kosten für ökologischere und regionale Lebensmittel abdecken.
  4. Gesunde, ökologische Ernährung erlebbar machen
    Einrichtungen der öffentlichen Hand haben Vorbildfunktion und müssen ihrer Verantwortung für eine gesunde, nachhaltige Ernährung im Umgang mit Lebensmitteln und der Ernährungsbildung gerecht werden. Dazu sollen Kinder und Jugendliche in die Zubereitung der Mahlzeiten einbezogen und Ernährungskunde in den Lehrplan der Schulen aufgenommen werden. Es gilt, Schulküchen, Schulgärten und andere relevante Infrastruktur auf- bzw. auszubauen und das Fachpersonal in den Küchen und Lehrerzimmern, sowie Eltern und Erzieher:innen zu schulen und weiterzubilden. Als Vorbild beim Aufbau eines
    flächendeckenden Weiterbildungs- und Beratungsangebots können Projekte wie die “Kantine Zukunft”, Acker e.V. und viele weitere Initiativen dienen.
  5. Steuerfreiheit für pflanzliche Lebensmittel dient dem Klimaschutz
    Die Bundesregierung sollte die Mehrwertsteuer von Obst, Gemüse und Hülsenfrüchte auf 0 Prozent absenken. Mit der neuen EU-Mehrwertsteuerrichtlinie ist der Rahmen dafür geschaffen. Eine Steuerbefreiung schafft Anreize, mehr klimaverträgliche Nahrungsmittel zu erzeugen und zu essen und trägt damit dazu bei, die Klimaziele zu erreichen – denn das kann nur mit deutlich geringerem Konsum von Fleisch- und Milchprodukten gelingen. Und sie entlastet Verbraucher:innen, die unter den stark gestiegenen Lebensmittelpreisen leiden.

Die Pressemitteilung „Vollwertiges, ökologisches Essen für alle – Ernährungsarmut beenden!“ können Sie hier als PDF herunterladen.

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Europa im Netz der Food-Lobby: Ein undurchsichtiges Geflecht

Europa im Netz der Food-Lobby: Ein undurchsichtiges Geflecht

Europa im Netz der Food-Lobby – das undurchsichtige Geflecht zwischen Nahrungsmittelindustrie, europäischem Parlament und EU-Kommission

Wilfried Bommert/Christina Sartori

Ist das Europäische Parlament bestechlich? Sind seine politischen Entscheidungen käuflich? Wie groß ist die Nähe zwischen Politiker:innen und Wirtschaftsinteressen? Wie transparent sind die Kanäle der Einflussnahme? Diese Fragen stellen sich nach den Enthüllungen um die EU-Parlamentsvizepräsidentin Eva Kaili und ihren Verbindungen zu den wirtschaftlichen Interessen Katars auch für andere Bereiche des Parlaments.

Für das Sachbuch „Stille Killer: Wie Big Food unsere Gesundheit gefährdet“ untersuchten die Autor:innen Wilfried Bommert und Christina Sartori das verborgene Geflecht zwischen Nahrungsmittelindustrie, europäischem Parlament und EU-Kommission. Hier ein Auszug ihrer Recherchen:

Europa im Netz der Food-Lobby
 
Spätestens seit der Ratspräsidentschaft Rumäniens 2019 ist allen Eingeweihten klar, wer in Europa Ton und Farbe angibt: der Coca-Cola Konzern. Er erreichte, dass bei den Sitzungen der Staats- und Regierungschefs seine Farben das Bild bestimmten. Das ARD-Magazin Monitor titelte: »Die rumänische EU-Ratspräsidentschaft wird präsentiert von: Coca-Cola.« Als Platzhalter des Coca-Cola-Imperiums waren Coca-Cola-Sitzsäcke, -Getränkeautomaten und -Plakate in den Beratungsräumen verteilt worden. Nach Erkenntnissen von Vicky Cann, Mitarbeiterin des lobbykritischen Corporate Europe Observatory, gehört Sponsoring der EU-Präsidentschaft mittlerweile zum Standard in Europa. Obwohl es für sie offensichtlich ist, dass dies eigentlich ein No-Go sein sollte, gerade in einer Zeit, in der die Europäische Gemeinschaft ihr Lebensmittelrecht überarbeitet, über eine Zuckersteuer und die Einführung einer Lebensmittelampel berät. Auch an der Basis Europas, im europäischen Parlament, schlägt die Food-Lobby ihre Pflöcke ein. Ihr Brückenkopf ist das »European Food Forum«.
 
European Food Forum
 
Das European Food Forum trat 2019 ans Licht der Öffentlichkeit. Am gleichen Tag, als Ursula von der Leyen, die neue Präsidentin der Europäischen Kommission, ihren »Green Deal« vorstellte. Die Zeitgleichheit ist kein Zufall. Denn der Green Deal enthielt auch eine Strategie, durch die die europäische Ernährungslandschaft politisch grundlegend umgepflügt werden sollte, die »Farm to Fork«-Strategie. Das European Food Forum (EFF) wurde nach außen hin als eine Initiative von fünf Abgeordneten des Europäischen Parlaments gegründet. Zu den Gründungsmüttern und -vätern gehörten Abgeordnete aus Bulgarien, Polen, Spanien, Italien und Frankreich. Als Direktorin des EFF trat Luisella Ciani auf. Sie gehörte nicht zu den Abgeordneten des Parlaments, sondern firmiert als Agentur »2ThePointConsulting«. Und steht wiederum in Verbindung mit einem weiteren Beratungsunternehmen namens »Foresight International Policy and Regulatory Advisers«, das sich auf die Fahnen geschrieben hat, offensiv die Interessen der Ernährungsindustrie in Europa zu vertreten. Auf dessen Wirken wird später noch näher einzugehen sein.

In seinem Steckbrief beschreibt sich das Food Forum als eine »Multi-Stakeholder-Plattform«, die sich »auf ganzheitlicher Basis« mit der EU-Lebensmittelpolitik befasst. Als unabhängiges Forum unter politischer Leitung und Direktive von »designierten« Mitgliedern des Europäischen Parlaments. Mit dem Ziel, den offenen Dialog zu fördern zwischen Politikern, Akteuren der Nahrungskette, zivilgesellschaftlichen Organisationen, Forschung, Wissenschaft und anderen öffentlichen Institutionen. 31 Abgeordnete des EU-Parlaments haben sich bis 2021 dem European Food Forum angeschlossen. Durch sie erhält das Forum die Legitimation, gegenüber den europäischen Institutionen quasi als Organisation des Parlaments aufzutreten. Es kann damit eine Wirkkraft entfalten, die es als bloße Lobbygruppe nicht hätte. Im Gegensatz zu echten parlamentarischen Gruppen unterliegt es aber keiner Kontrolle. Nicht der des Parlaments und, wie Corporate Europe Observatory feststellt, auch nicht der der Öffentlichkeit.

Zu den Prinzipien des Forums gehört Verschwiegenheit. Seine Beratungen folgen den »Chatham House Rules«. Danach muss alles, was gesagt wird, vertraulich behandelt werden. Diese Verpflichtung zur Verschwiegenheit hat eine gewisse Logik. Denn die Struktur der Mitglieder verrät, wessen Interessen hier eigentlich vertreten werden. In der Mitgliederliste 2020 finden sich u. a. neben der Lobbyorganisation FoodDrink-Europe die Softdrink-Lobby UNESDA und von der Ernährungsindustrie die Konzerne Coca-Cola, Mars, Ferrero, Metro, Mondalez, Cargill und Rewe sowie die European Crop Protection Association und die Lobby der Chemischen Industrie mit dem European Chemical Industry Council. Insgesamt 26 Organisationen der Wirtschaft, denen 31 EU-Parlamentarier gegenüber stehen (Stand 2021).
 
Undercover-Taskforce
 
Eine Organisationsform, die im internationalen Sprachgebrauch unter die Kategorie AstroTurfing fällt. Die Bezeichnung AstroTurfing kommt aus England und beruht dort auf dem Erscheinungsbild eines Kunstrasens, der unter dem Namen AstroTurf vertrieben wird, und so aussieht als sei er echt. Aber tatsächlich ist er ein Kunstprodukt. Im politischen Geschäft bezeichnet AstroTurfing »die Bildung von Organisationen, die den Anschein einer zivilgesellschaftlichen Gruppe erwecken, in der Realität aber durch Industrieunternehmen gefördert wird, ohne dass dies offensichtlich ist.« Die lobbykritische Organisation Corporate Europe Observatory stuft das »European Food Forum« als eine Undercover-Taskforce ein, über die die Interessen der europäischen Agrar-und Lebensmittelindustrie in die europäischen Gremien, in das Parlament einfließen und in der Kommission und im Ministerrat befördert werden sollen.

Das European Food Forum ist nicht die einzige Tarnorganisation der Food-Lobby auf EU-Ebene. So weist der Wissenschaftliche Beirat für Agrarpolitik, Ernährung und gesundheitlichen Verbraucherschutz beim BMEL in seinem Gutachten 2020 darauf hin, dass es noch weitere Verbände gibt. Der Beirat nennt das »European Food Information Concil« (EUFIC) und das »International Life Sciences Institute« (ILSI), Organisationen, die »trotz ihres wissenschaftlichen Anspruchs in Hinblick auf die Einflussnahme durch die Industrie eher kritisch zu bewerten« sind. Und weist darauf hin, »dass die Organisation gezielt von Unternehmen der Ernährungsbranche genutzt wurde, um ihre wirtschaftlichen Interessen zu verfolgen.« Wenn die Einschätzung von Corporate Europe Obervatory zutrifft, dürfte dies beim neu gegründeten European Food Forum nicht anders sein.
 
Foresight International
Policy and Regulatory Advisers

 
Wer fragt, wo diese Strategien der Einflussnahme erdacht werden, wird an einer Institution nicht vorbeikommen, die in dieser Frage ausgezeichnete Expertise besitzt: das Beratungsunternehmen »Foresight International Policy and Regulatory Advisers« (FIPRA International). FIPRA International gilt als einer der 15 Top-Lobbyisten auf dem Brüsseler Parkett. In der Selbstbeschreibung des Unternehmens heißt es, man wisse, »wie man in komplexen politischen Landschaften den besten Kurs findet und regulatorische Herausforderungen angeht.« Dies mit dem Ziel, den industriellen Status Quo der europäischen Ess- und Trinkkultur zu schützen, innovativen Produkten den Weg auf den EU-Markt schneller zu öffnen, Produkte ihrer Klienten im Markt zu halten und dies mit so wenig Einschränkungen wie möglich.

Unterstützt wird das Unternehmen von Robert Madelin, der nach Recherchen des Corporate Europe Observatory von 2004 bis 2016 als Spitzenbeamter in der EU-Kommission Dienst tat und nach über 12-jähriger Einsicht in das Räderwerk der europäischen Politik zur Beratungsfirma FIPRA wechselte. Auch Luisella Ciani, die Direktorin des European Food Forums treffen wir in diesem exklusiven Club wieder. Wie sie selbst auf ihrem LinkedIn-Account veröffentlicht, trat sie FIPRA International 2018 bei, also im Jahr bevor sie das Projekt European Food Forum (EFF) aus der Taufe hob. Die Annahme liegt nahe, dass die Expertise von »Foresight International Policy and Regulatory Advisers« dabei hilfreich war.
 
FoodDrinkEurope
 
Im Zentrum der politischen Lobbyarbeit in Brüssel steht FoodDrinkEurope. Dieser Vereinigung der Ernährungsindustrie wird von der Organisation Lobbycontrol die größte Wirkung auf die Europäische Politik zugeschrieben. Mit einem Etat von geschätzten 200 000 bis 300 000 Euro soll sie laut EU-Transparenzregister 2020 die Interessen ihrer Mitglieder in konkrete Politik umgesetzt haben. FoodDrink-Europe ist nach Zahlen von Lobbycontrol aus dem Februar 2015 Mitglied in 49 Expertengruppen der EU-Kommission. Und bringt dort die Positionen seiner Mitglieder zur Geltung, zu denen die nationalen Interessenverbände wie der Lebensmittelverband Deutschland ebenso gehören wie die globalen Player von Nestlé über Coca-Cola, Danone, Kellogg’s, Mars, Mondelez International, PepsiCo, The Kraft Heinz Company und Unilever bis Südzucker.

Als Generaldirektorin vertritt Mella Frewen die Lobbyorganisation seit 2007. Sie besitzt Expertise in politischer Einflussnahme. Laut Lobbycontrol war sie als ehemalige Mitarbeiterin von Monsanto für Regierungsbeziehungen in Europa zuständig. 2012 sollte sie Mitglied des Verwaltungsrats der europäischen Lebensmittelaufsichtsbehörde EFSA werden, was jedoch vom EU-Parlament verhindert wurde. Im Zentrum ihrer Lobbyarbeit stand die europäische Zuckerpolitik. Besondere Mühe gab sich der Verband damit, Alternativen zur geplanten Lebensmittelampel in Europa ins Gespräch zu bringen. Nach Zahlen des Corporate Europe Observatory soll die Industrie rund 21 Millionen Euro jährlich ausgegeben haben, um wirksame Beschränkungen zu verhindern, EU-Institutionen zu beeinflussen, wissenschaftlich fragwürdige Studien zu sponsern und freiwillige Vereinbarungen zu favorisieren. Dass ihr dabei Erfolg beschieden war, liegt nicht zuletzt daran, dass sich die EU-Kommission ein Leben ohne die Mitwirkung der Industrie gar nicht vorstellen kann. Das liegt vor allem an der spärlichen Ausstattung der Behörde mit Fachpersonal.

Sie umfasst mit rund 32 000 Mitarbeitern weniger als die deutsche Bundesfinanzverwaltung mit über 45 000 Fachkräften. Das führt zwangsläufig dazu, dass sie sich Expertise von außen holen muss. Lobbycontrol stellt in seinem Bericht 2019 fest: »Gerade Unternehmen verfügen häufig über das Fachpersonal, auf dessen Expertise die Kommission bei der Initiative zu einem neuen Gesetz oder zu dessen konkreter Umsetzung angewiesen ist. Daher sitzen allzu oft genau die Unternehmen bei der Klärung von Detailfragen mit am Tisch, die von der geplanten Regulierung direkt betroffen sind.« Was dann in den 49 Expertengruppen der EU-Kommission, in denen FoodDrinkEurope seine Expertise einbringt, sichert, dass die Interessen der Food-Industrie in der europäischen Politik nie hinten herunterfallen.

Auszug aus „Stille Killer: Wie Big Food unsere Gesundheit gefährdet“, Wilfried Bommert/Christina Sartori, S. Hirzel Verlag, Stuttgart (2022)

IWEEuropa im Netz der Food-Lobby: Ein undurchsichtiges Geflecht
IWE-Dossier: „Ernährungswende – Was Landwirtschaft und Ernährung erneuert“

IWE-Dossier: „Ernährungswende – Was Landwirtschaft und Ernährung erneuert“

Die Zeit der billigen Lebensmittel ist vorbei. Seit drei Jahren steigen die Preise. Zuerst durch die Pandemie, die die Transportketten unterbrochen hat und weder die billigen Erntehelfer, noch die Schlachter ins Land ließ.

Dann der Überfall Russlands auf die Ukraine, der die Öl- und Gaspreise explodieren ließ und in Folge die Kosten unserer energiehungrigen Agrarindustrie. Weizen und Sonnenblumenblumenöl wurden im Frühjahr 2022 über Nacht zu strategischen Waffen. Gezielte Knappheit verteuert seither die Lebensmittel weltweit. Hunger wird zum politischen Kalkül.

Die galoppierenden Preise offenbaren, wie verwundbar unser System der Welternährung ist. Wie abhängig von fossilen Energien und wie zerbrechlich ihre globalen Lieferketten. Schon lange ist offensichtlich, dass die globalisierte Agrar- und Ernährungsindustrie die Ernährungssicherheit weltweit untergräbt, weil sie Bodenfruchtbarkeit vernichtet, Wasserreserven erschöpft, Artenvielfalt ausradiert und das Weltklima aufheizt.

Sicherheit bei Lebensmitteln ist nur durch einen Systemwechsel, eine grundsätzliche Wende der Ernährungspolitik zu erreichen. Und zwar jetzt. Mit welcher Strategie Ernährungssouveränität und Resilienz zu erreichen ist, das ist das Thema des IWE Dossiers „Ernährungswende – Was Landwirtschaft und Ernährung erneuert“.

IWEIWE-Dossier: „Ernährungswende – Was Landwirtschaft und Ernährung erneuert“
Buchtipp: „Stille Killer. Wie Big Food unsere Gesundheit gefährdet“

Buchtipp: „Stille Killer. Wie Big Food unsere Gesundheit gefährdet“

Suchtstoffe aus dem Supermarkt: Wilfried Bommert und Christina Sartori liefern mit „Stille Killer. Wie Big Food unsere Gesundheit gefährdet“ die schonungslose Analyse einer weltweiten Epidemie

Das mächtigste Drogenkartell des 21. Jahrhunderts verkauft Pizzen, Schokoriegel, Toastbrot, Würstchen und bunte Brause. Doch wo die Verpackung oft Landidylle oder Mamas gute Küche suggeriert, wartet ein Cocktail aus Wirkstoffen, der vor allem auf eines zielt: Sucht. Der angeblich schnelle Genuss für kleines Geld ist in Wahrheit „Nahrung“, die nicht nährt, sondern abhängig und dick macht. Investoren hingegen beschert sie fette Profite. Wilfried Bommert und Christina Sartori liefern in ihrem neuen Buch eine schonungslose Analyse: „Wer das System Adipositas verstehen will, muss Suchterkrankungen studieren. Muss wissen, dass Sucht nicht vom Himmel fällt, sondern von Interessen getrieben ist, von Profitinteressen.“ 

Wissenschaftlich fundiert liefert das Autorenduo Fakten zu dieser weltweiten Epidemie. In Deutschland steigt der Verkauf von Fertiggerichten stetig und der Trend geht zu XXL-Formaten. Während „Big Food“ immer mächtiger wird, drohen die Kosten, die durch die Folgen von Fettleibigkeit verursacht werden, die Gesundheitskassen zu sprengen. Doch alle Warnungen, dass die um sich greifende Fettsucht die Gesundheitssysteme ruinieren werde und ganze Volkswirtschaften in den Abgrund reißen könnte, wie sie von der Weltgesundheitsorganisation und der Weltbank veröffentlicht wurden, verhallen im Nirgendwo.

Die zehn größten Lebensmittelkonzerne diktieren die Preise für Mais, Bohnen, Weizen etc. Die Folgen sind Monokulturen, die mit Pestiziden auf Höchsterträge getrimmt sind. Bommert und Sartori gehen außerdem darauf ein, warum Diäten dick machen und berichten über das „Netz der Food-Lobby“ in Europa. Dass es möglich ist, auch Fast-Food-Kartelle zu Zugeständnissen zu bewegen – wenn auch meist nur per Gericht –, auch das wird in diesem umfassend informativen Buch belegt.

Über die Autor:innen

Wilfried Bommert studierte Agrarwissenschaften und ist u. a. Journalist für den WDR sowie Vorstandssprecher des Instituts für Welternährung. Als Leiter der ersten Umweltredaktion im WDR-Hörfunk beschäftigt er sich seit vielen Jahren mit den Themen Gentechnik, Klimawandel und Welternährung.

Christina Sartori studierte Biologie und Wissenschaftsjournalismus. Seit mehr als 20 Jahren berichtet sie über die Themengebiete Medizin und Gesundheit, mehrere Jahre als Redakteurin in der WDR-Wissenschaftsredaktion, heute als Autorin für WDR, Deutschlandfunk, Deutschlandfunk Nova und ARD.

Stille Killer. Wie Big Food unsere Gesundheit gefährdet“ von Wilfried Bommert und Christina Sartori, erschienen im Hirzel Verlag.

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Die Grüne Front macht mobil: Zeitenwende rückwärts?

Die Grüne Front macht mobil: Zeitenwende rückwärts?

Ein Kommentar von Wilfried Bommert

Russlands Krieg gegen die Ukraine bringt uns in eine Zeitenwende. Die Sicherheit, in der wir uns bisher gewiegt haben, ist vorbei. Was bei uns als Bedrohung ankommt, verstehen der Deutsche Bauernverband und die alte Garde der Agrarpolitik offensichtlich anders: Als Ermutigung, die alte Politik zurückzufordern. Schließlich herrsche Krieg und die Preise steigen. Da müssten alle Reserven mobilisiert, Produktionsschlachten geschlagen werden. Pestizide, Stickstoffdünger, Massentierhaltung, das ganze Programm der Agrarindustrie muss aufgefahren werden. „Green Deal“ und „Farm to Fork“, die grünen Brüsseler Ideen weg von der Agrarpolitischen Tagesordnung und weg mit der Ökologisierung, wie sie die Ampel in Berlin umsetzen will. 

Zunächst nur als Frage getarnt oder als Zweifel kaschiert, die Grüne Front macht mobil und versucht, aus dem Krieg Russlands politischen Gewinn zu ziehen. Aus der Krise, in die der Krieg die Welt schickt, politisches Kapital zu schlagen. Auf wessen Kosten? Um es klar zu sagen: Auf Kosten einer neuen Welternährungskrise.

Die Preisexplosionen, die es in den letzten Monaten bei Getreide und Raps gegeben hat, sind nicht durch einen Mangel in Deutschland entstanden; hier sind die Lager voll und die Produktion liegt bei Getreide, Fleisch und Milch deutlich über dem Verbrauch. Was die Preise treibt, ist der Weltmarkt und dort Missernten durch Frost, Hitze, Dürre, Überschwemmungen. Der Vierklang der Klimakatastrophe. Der jüngste Bericht des Weltklimarates lässt keinen Zweifel: Solange wir die Klimagase nicht in den Griff bekommen, sind es Knappheiten, die die Preise immer weiter in den Himmel schießen lassen. Die Lage ist vorprogrammiert. 

Und jetzt noch der Krieg Russlands gegen die Ukraine. Er hat die Energiepreise nach oben getrieben. Und damit auch den Treibstoff der Industrielandwirtschaft, den synthetischen Stickstoff, der in großen Mengen mit russischem Erdgas aus der Luft gewonnen wird. Der lässt jetzt die Kosten der Intensivlandwirtschaft aus dem Ruder laufen. Und befürchten, dass die Ernten schrumpfen, auch bei uns.

In dieser Situation zu fordern, dass noch mehr Öl und Gas in die Maschinerie der Industrielandwirtschaft fließen und Kunstdünger und Pestizide nicht reduziert werden, wie es der „Green Deal“ und die „Farm to Fork“ Strategie der Brüsseler Kommission fordern, zeugt von massivem Realitätsverlust. Dabei ist klar: Um den Energiekosten zu begegnen, das Klima in den Griff zu bekommen und dem Krieg ein Ende zu bereiten, ist der Abschied aus der energiefressenden, fossilen Landwirtschaft zwingend. Schnell und ohne Kompromisse.

Wir kennen den Weg. Er beginnt auf dem Acker und legt dort Treibhausgase auf Dauer fest. Setzt sich fort in den Mastställen, wo die Produktion zurückgefahren wird. Erreicht unsere Teller, wo Fleisch, wenn überhaupt, als Sonntagsbraten und in Bioqualität auf dem Tisch steht. Geht über zu unseren Mülleimern, in denen keine Lebensmittel mehr als Abfall landen. Und er macht vor den Zapfsäulen nicht halt. Wo es zunächst darum geht, die Lüge von Bio-Sprit zu entlarven, der die Äcker, die eigentlich die Menschheit ernähren sollten, für die Ölindustrie besetzt hat. Und dann darum, die Wende zu Solarenergie umzusetzen.

Es geht also um die radikale Abkehr vom fossilen Weg und den zügigen Aufbau einer solaren Welt auch und besonders, wo es um unser tägliches Brot geht. Das ist es, was wir aus dem russischen Krieg gegen die Ukraine lernen müssen. Darin liegt die Zeitenwende, die wir brauchen, um der Klimakatastrophe und dem Krieg zu entkommen. Und nicht im Rollback, wie es der Deutsche Bauernverband und seine Protagonisten in diesen Tagen fordern.

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Online-Lesung: Tanja Busse „Fleischkonsum“ 

Online-Lesung: Tanja Busse „Fleischkonsum“ 

Liebe Mitglieder und Freund:innen des IWE,

hiermit möchten wir euch ganz herzlich zur Online-Lesung mit Tanja Busse aus ihrem aktuellen Buch „Fleischkonsum – 33 Fragen und Antworten“ einladen.

Die Lesung findet am Mittwoch, den 23. Februar 2022 von 20.00 – 21.30 Uhr statt, im Anschluss gibt es Gelegenheit zum Austausch. 

Dr. Tanja Busse ist Moderatorin, Autorin und Journalistin. Sie schreibt über Ökonomie, Ökologie, Umwelt, Nachhaltigkeit, Ernährung, Landwirtschaft, Konsum & Politik.

Ihr könnt euch bis zum Nachmittag des 23. Februar anmelden unter info@kinderleicht-ev.de oder 089/716 77 50 40 und erhaltet anschließend den Zugangslink für die Zoom-Veranstaltung.

Die Lesung findet im Rahmen des Projekts „Cooking for future“ statt, das das Ernährungsinstitut KinderLeicht von IWE-Vorständin Agnes Streber durchführt. 

Wir freuen uns, euch dort zu sehen!
Herzliche Grüße im Namen des Vorstands,
Wilfried Bommert 

IWEOnline-Lesung: Tanja Busse „Fleischkonsum“ 
IWE -Studie: Bundeskantinen ökologisch mangelhaft

IWE -Studie: Bundeskantinen ökologisch mangelhaft

Was in den Bundeskantinen in Töpfen und Pfannen für die Bundesbediensteten angerichtet wird, dürfte der Regierung selbst kaum schmecken. Denn was da täglich tausendfach auf den Tellern landet, ist alles andere als klimafreundlich und verträgt sich in der Mehrzahl der Fälle weder mit den klimapolitischen Zielen noch mit dem ökologischen Anspruch der neuen Regierung.

Das jedenfalls ergibt eine jüngst abgeschlossene Studie zur Verpflegung in den bundeseigenen Kantinen, die das Institut für Welternährung in Kooperation mit der Hochschule Darmstadt durchgeführt hat. [1]

Das Fazit: Die Bundesregierung schadet durch ihre Kantinenwirtschaft dem eigenen Ansehen und der internationalen Glaubwürdigkeit ihrer Politik.

Die Erkenntnisse, die Svea Spieker, Hochschule Darmstadt, Fachbereich Media im Rahmen ihrer Masterarbeit bei 54 Kantinen des Bundes gewonnen hat, zeigen:  

  • dass gerade Fleisch zu häufig und in zu großen Mengen auf dem Teller landet und mit bis zu 750 Gramm pro Woche teilweise mehr als drei Mal so hoch liegt wie die von Experten empfohlene Menge von max. 200 Gramm
  • dass vegetarische und vegane Gerichte zu selten angeboten werden
  • dass Kriterien wie bio, regional und fair bei den Bundeskantinen bislang unterbelichtet sind
  • dass Kommunikation mit der Kantinenkundschaft über die Nachhaltigkeit des Speiseangebots nur in Ansätzen stattfindet. Bei den Entscheidungen über die Umwelt- und Klimaverträglichkeit bleibt der Essensgast weitestgehend sich selbst überlassen.
  • dass lokale Anbieter, regionale Verarbeiter und kleinere Bauern keinen angemessenen Platz als Zulieferer finden
  • dass es nur in einem Drittel der Kantinen verbindliche Vorgaben des Bundes in Sachen Nachhaltigkeit gibt

Dabei gibt die Studie nach dem Urteil der Autorin noch eher die Sonnenseite der Kantinenwirtschaft des Bundes wieder. Denn von den 150 angeschriebenen Kantinen haben nur ein Drittel teilgenommen. Es ist anzunehmen, dass diese auch in Sachen Nachhaltigkeit die Motivierteren sind. Zwei Drittel lehnten trotz Nachfragen eine Teilnahme ab.

Unter dem Strich, so Agnes Streber, Projektleiterin:

  • verfehle die Bundesregierung in ihren Kantinen die eigenen Umweltziele und Nachhaltigkeitsansprüche,
  • versage damit als Motor für eine klimaverträgliche Ernährungswende,
  • vergibt die Chance, regionale ökologische Wirtschafts- und Ernährungskreisläufe zu stärken
  • und verpasst die Möglichkeit, mit ihren Kantinen Standards für Klima und Gesundheit zu setzen, die in Kitas, Schulen und Mensen als Vorbild dienen könnten

Die derzeitige Praxis in Bundeskantinen, so der Sprecher des Instituts für Welternährung Wilfried Bommert, liegt weit hinter den Zielen, die die Bundesregierung 2021 in ihrem „Maßnahmenprogramm Nachhaltigkeit – Weiterentwicklung 2021“ selbst beschlossen hat und stelle die Glaubwürdigkeit der klima-, tierschutz-, umwelt- und gesundheitspolitischen Ziele der Ampelkoalition in Frage.

Vor dem Hintergrund der drängenden ökologischen Krise und der rasant steigenden Fehlernährung der deutschen Bevölkerung legt die Studie den dringenden Handlungsbedarf des Bundes in seiner Kantinenwirtschaft offen und betont dabei fünf Bereiche besonders:

  1. Vorrang für vegetarische und vegane Speisen
  2. Vorrang für bio, regional, saisonal und fair
  3. Vorrang für ökologische Kundenkommunikation mit den Kantinenbesuchern
  4. Vorrang für kleinere, lokale Anbieter sowie regionale Verarbeiter und Landwirte
  5. Verbindliche Vorgaben des Bundes in Sachen Nachhaltigkeit

Eine Zusammenfassung der Studienergebnisse können Sie hier als PDF herunterladen, die Studie „On the Way to a Sustainable Future“ finden Sie hier.

Pressekontakt Institut für Welternährung: Sabine Jacobs
Tel.: +49 (0) 2293 815 07 0 / Fax: +49 (0) 2293-815071
Mail: sabine.jacobs@institut-fuer-welternaehrung.org 


[1]On the Way to a Sustainable Future
Analysis and Optimisation of Sustainability Management and Communication using the Example of the Food Sector
Final thesis in the course of study Media, Technology and Society to obtain the academic degree Master of Science (M.Sc.) submitted by Svea Spieker, Matriculation number 752 832 , August 2021

IWEIWE -Studie: Bundeskantinen ökologisch mangelhaft
Der Wandel muss von unten kommen – Kommentar von Wilfried Bommert

Der Wandel muss von unten kommen – Kommentar von Wilfried Bommert

Die Regierung hat bisher keine überzeugende Ernährungspolitik für mehr Klimaschutz auf den Weg gebracht. Die Hoffnung ruht daher auf der Kraft der Zivilgesellschaft, die neue Ernährungsumwelten als Ausweg aus der Krise schaffen kann.

Kommentar von IWE-Vorstandssprecher Wilfried Bommert, veröffentlicht in „Ökologie & Landbau“ 03|2021

„Wir haben es satt!“ Demonstration, Foto: Ruben Neugebauer/Campact/CC BY-NC 2.0

Wenn es richtig ist, dass unsere Ernährung zu einem Viertel für die Klimakrise verantwortlich ist und dass wir spätestens in 29 Jahren ein Leben ohne Treibhausgase führen müssen, wenn wir die Erde noch bewohnen wol­len, dann müssten wir eigentlich vom Frühstück bis zum Abendessen, von Sonntag bis Samstag, von Januar bis De­zember über nichts anderes mehr nach­ denken als über unser Essen, und wie wir uns aus der desaströsen Lage be­freien können, selbst die größten Klima­killer zu sein.

Stattdessen beklagen wir unser Schicksal, das uns das Coronavi­rus beschieden hat. Dabei übersehen wir geflissentlich, dass auch dieser Seuchenzug eine Folge unserer Ernährung ist. Das Eindringen in fremde Biotope, das Abfackeln von Urwäldern für Soja­kulturen, das Zerstören tropischer Torf­moore für Ölpalmen bringen uns im­mer neue Viren und Bakterien ins Haus, gegen die unser Immunsystem nicht gewappnet ist.

Was uns am schlech­testen bekommt, ist unsere Gier auf Fleisch. Auf Rindfleisch ganz beson­ders, weil es nach immer neuen Futter­flächen verlangt, nach Brandrodungen und synthetischem Stickstoff, beide als Klimakiller hinlänglich bekannt. Aber auch das Palmöl, in fast allen industriel­len Nahrungsmitteln enthalten, ist kein Klimafreund. Die Palmölplantagen set­zen das Weltklima unter Druck. Und sogar industriell hergestellter Hartkäse, den wir gerne dick auf Pizzen und Lasa­gnen aus der schnellen Küche streuen, gehört zum Arsenal der Klimafeinde.

Sie merken schon, da will Ihnen einer unsere Esskultur madig machen, die wir uns in den letzten 70 Jahren hart erar­beitet haben. Die Teil der Belohnung war für den Stress, dem wir tagein, tag­aus ausgesetzt waren, um voranzutrei­ben, was uns als unverzichtbar galt: Wachstum. Und immer mehr Wachs­tum. Zugegeben, es war ein Wachstum zu einem hohen Preis, und der wird jetzt eingefordert, von uns. Aber wollen wir das einfach so hinnehmen? Lassen wir uns aus Klimagründen in unsere Fleischtöpfe hineinregieren? Wollen wir uns anhören, das dicke Ende von Kottelet, Wurst und Schinken stünde uns noch bevor, falls wir uns nicht ändern?

Ein Systemwechsel ist weit weg

Wir werden wohl keine andere Wahl ha­ben, wenn wir uns nicht morgen in ei­nem Klimabackofen wiederfinden wol­len. Wir müssten uns ändern. Eigentlich. Doch tatsächlich müssen wir nichts fürchten. Solange die Ernährungspolitik fest in den Mauern des deutschen Landwirtschaftsministeriums eingeschlossen ist, sind wir sicher vor einem System­wechsel. Denn dort regiert der Geist, der im Klimawandel bestenfalls einen Grund für Dürrehilfen sieht. Der den Ernährungskonzernen genauso ver­pflichtet ist wie der Agrarindustrie, der Düngerwirtschaft, den Fleischkonzer­nen, dem globalen Agrobusiness und der Kreditwirtschaft, die all diese Wa­ren­ und Geldströme abwickelt und fi­nanziert.

Wenn es um Landwirtschaft geht, geht es um Wirtschaft und vor al­lem um Wachstum, weiterhin und zu fast jedem Preis. Um Ernährungspolitik und Klima geht es dort, wenn über­haupt, nur im Streit mit der Umweltministerin: Die will mehr investieren in die Ökologisierung der Landwirtschaft, in natur-­ und klimaverträgliche Produkti­onsverfahren, in Ideen wie Permakultur oder regenerative Landwirtschaft, in re­gionale Ernährungskreisläufe. Also summa summarum in eine ökologische Ernährungswende, aber das nur mit spärlichen Mitteln. Auf dem dicksten Geldtopf sitzt nach wie vor die Agrarbü­rokratie mit ihrem gut verzahnten Lob­byapparat und verteidigt ihre Erbhöfe mit Zähnen und Klauen.

Gut, die Bundeslandwirtschaftsministe­rin hat die erste Niederlage einstecken müssen, von den Brüsseler Agrarmilli­arden sollen nun doch mehr als von ihr vorgeschlagen in eine grüne Landwirt­schaft fließen. Aber das nur langsam. Als hätten wir beliebig viel Zeit für die notwendige Wende. Es bleiben uns aber nur 29 Jahre. Und diese Spanne ist nicht verhandelbar. Das Klima schließt keine politischen Kompromisse, und Naturgesetze lassen sich nicht beugen. Gehandelt werden muss jetzt! Nur wer und wie und was?

Die ökologische Vision fehlt

Sagen wir es grad heraus: Von der der­zeitigen Agraradministration können wir nichts erwarten, weil sie falsch auf­gestellt ist, zu wenig Einsichten, zu wenig Durchblick und keine ökologi­sche Vision besitzt. Wir könnten es auf die Zeit nach der Bundestagswahl am 26. September verschieben und warten, wer denn die oder den nächste(n) Bundeskanzler(in) stellt. Wir könnten mit den neuen Abgeordneten eine Art schnelle Eingreiftruppe bilden, die sich ab Oktober mit Vollgas um die Ernäh­rungswende bei uns und um den Green Deal in Brüssel kümmert. Aber ich glaube nicht an solche Systemsprenger aus einem System, das sich bisher vor allem durch vielstimmige Untätigkeit auszeichnet.

Ich glaube an die Kraft der Zivilgesell­schaft. An die, die schon seit Jahren in Berlin ihr „Wir haben es satt“ skandie­ren. Die in mehr als 40 deutschen Städ­ten begonnen haben, ihre Ernährung lokal und saisonal in Kreisläufen voran­ zubringen. Die dabei sind, den Kanti­nen und ihren Köchinnen zu helfen, ihre Großküchen auf klimafreundliche Portionen aus der Region umzustellen. Ich glaube an jene, die die Solidarische Landwirtschaft als Gemeinschafts­projekt von Landwirtinnen und Bür­gerinnen auf den Weg bringen. Die da­rauf drängen, dass ihre Kinder von der Kita bis zur Schule klimaverträglich es­sen und kochen können. Essen, bei dem sie wissen, wo es gewachsen ist, wie es geerntet, geputzt und zubereitet wird.

Ihre Vision ist eine Zivilgesellschaft, die Ernährungsumwelten organisiert, in denen kein Platz ist für Fastfood­ Kon­zerne, um ihre fetten, überzuckerten Kalorienbomben zu verkaufen. Eine Er­nährungsumwelt, in der nicht immer mehr Kinder ins Übergewicht gedrängt werden, sondern mit gesunder Vielfalt fit bleiben, und die dem Klima nützt, nicht schadet. Es geht um eine Politik von unten, die vorangeht und einer neuen klimaverträglichen Ernährungspolitik den Weg weist. Die dann verordnet, dass die wahren Preise für unsere Lebensmittel angeschlagen werden müssen, inklusive Klimakosten. Die den Klimarechner in den Kantinen zum Standard macht. Die die Fastfood­ Welle, To­Go ­Mentalität und Wegwerfkultur in ihre Schranken weist. Die den Sonntagsbraten wieder zum kulturellen Wert erhebt. Und Frie­den stiftet zwischen Bürgerinnen und Landwirtinnen.

Das Urteil der Verfasssungsrichterinnen zur Klimapolitik lässt hoffen, dass nun auch unsere Ernährung und die Prozes­se, die sie schaffen, einer strengen Kli­maprüfung unterzogen und dann neu aufgestellt werden müssen. Es geht um das Wiederentdecken einer Kultur, die im Alltag fast verschwunden wäre: einer Esskultur, die auf Werten beruht und nicht nur auf Preis und Profit; die hinter dem steht, was wir anspruchsvoll als Global Health bezeichnen. Wir brau­chen eine Ernährung, die keine Klima­gase produziert, die Pflanzen, Saison, Regionalität, Vielfalt und Fairness den Vorrang einräumt. Es ist diese Art von Esskultur, die bei uns einen neuen Platz finden muss. Nicht hinter der Firewall einer Agraradministration, die in Lob­byinteressen verfangen ist, sondern in einem neuen, unabhängigen Ressort. Einem Ministerium, das der Gesundheit der Menschen, Pflanzen und Tiere eben­ so verpflichtet ist wie der Gesundheit des Klimas und unseres Planeten. Wie viel Ernährungspolitik für mehr Klima­schutz möglich ist, entscheiden wir, spä­testens bei der kommenden Wahl.

IWEDer Wandel muss von unten kommen – Kommentar von Wilfried Bommert
Gentechnik muss auch in Zukunft strikt reguliert werden

Gentechnik muss auch in Zukunft strikt reguliert werden

Gentechnik muss auch in Zukunft strikt reguliert werden: Breites Bündnis von Organisationen stellt Positionspapier vor
 
Seit Jahren lobbyieren Industrie und Gentechnik-Befürworter*innen dafür, neue Gentechnikverfahren wie CRISPR/Cas von der Gentechnik-Gesetzgebung auszunehmen. Sie wollen damit die derzeitige Definition von Gentechnik aufweichen. Das gefährdet die Wahlfreiheit und die Sicherheit von Mensch und Umwelt.
 
Insgesamt 94 Organisationen aus den Bereichen Umwelt-, Tier- und Naturschutz, Entwicklungspolitik, Kirchen, Verbraucherschutz, Landwirtschaft, Züchtung, Lebensmittelwirtschaft und Imkerei sowie Jugendorganisationen fordern die Bundesregierung in einem heute veröffentlichten Positionspapier auf, in Deutschland und auf europäischer Ebene alle derzeitigen wie künftigen Gentechnikmethoden und die daraus entstehenden gentechnisch veränderten Organismen (GVO) weiterhin unter dem bestehenden EU-Gentechnikrecht zu regulieren und zu kennzeichnen.
 
„Es steht viel auf dem Spiel. Wenn die neue Gentechnik nicht wie bisher reguliert wird, ist die Freiheit bedroht, gentechnikfreie Lebensmittel zu erzeugen und zu wählen. Der überfällige Umbau zu einer nachhaltigen, bäuerlich-ökologischen Landwirtschaft würde damit massiv gefährdet,“ kommentiert Florian Schöne, Geschäftsführer des Umweltdachverbands Deutscher Naturschutzring (DNR). „Hinzu kommt: Neue Anwendungen wie Gene-Drive-Organismen betreffen auch wildlebende Arten und könnten damit negative Folgen für ganze Ökosysteme zur Folge haben“, ergänzt Schöne.

„Die Behauptung der Befürworter gentechnischer Manipulationen, dass damit Klimaextreme oder der Verlust der biologischen Vielfalt zu meistern sei, halte ich für leere Versprechen und vergeudete Zeit,“ erklärt Wilfried Bommert, Vorstandssprecher des Institut für Welternährung. „Die zunehmende Instabilität unseres Ernährungssystems angesichts von Klimakrise und schwindender Biodiversität kann nur mit mehr Vielfalt, mit agrarökologischen Anbausystem wirkungsvoll begegnet werden.“

 Die Organisationen fordern deshalb, dass auch für neue Gentechnik das Vorsorgeprinzip weiterhin gilt und die Wahl- und Gentechnikfreiheit durch Kennzeichnung und Transparenz, Zulassung und Rückverfolgbarkeit gesichert bleibt.
 
Das gemeinsame Positionspapier „Gentechnik auch in Zukunft strikt regulieren“ finden Sie hier zum Download.

IWEGentechnik muss auch in Zukunft strikt reguliert werden
Buchbesprechung: „Einfach Essen“ von Thomas A. Vilgis

Buchbesprechung: „Einfach Essen“ von Thomas A. Vilgis

„Einfach Essen – Gegen den Ernährungswahn in unseren Köpfen“
von Thomas A. Vilgis

Eine Buchbesprechung von Wilfried Bommert

Thomas Vilgis ist Professor der Physik. Seine Spezialität ist die weiche Materie, sein Arbeitsplatz das Max-Plank-Institut in Mainz. Und er liebt es zu essen, einfaches Essen. Darum geht es ihm in seinem Buch „Einfach Essen – Gegen den Ernährungswahn in unseren Köpfen“ über 261 genussvolle Seiten.

Wer hier ein abgeklärtes Sachbuch erwartet, wird enttäuscht. Wer ein akademisches Kochbuch lesen möchte auch. Aus Thomas Vilgis spricht ein Genussforscher, der das einfache Essen schätzt und verabscheut, was in den Kochshows und -zeitschriften als Trend gefeiert und als Unheil verteufelt wird. Und er weiß süffisant zu beschreiben, was er vor seinem Publikum seziert und zelebriert.
 
Thomas Vilgis beginnt dort, wo unser Sinn für Essen entstand, auf dem Weg zur Menschwerdung. Wo er vor der Steinzeit schon eine „Happy Hour“ ausmacht. Wir erfahren, wie das Feuer die Esskultur verwandelte, wie Sesshaftigkeit und Fermentieren den Speiseplan erweitert haben und damit die Grundlage für das legten, was die eigentlichen „Mittel zum Leben“ sind.

Dann aber beginnt so etwas wie eine Abrechnung mit dem, was wir mit Gesundheits- und Selbstoptimierungswahn aus unserer Esskultur gemacht haben. Ein Denkgebäude, in dem Aberglauben und Einfalt regieren, in dem immer neue Ernährungsmythen durch die Gazetten getrieben werden. Rotes Fleisch, Acrylamid, Glyphosat, Nitrosamine. Für Vilgis ein Kessel voller „fettgesättigter Ängste“. Er nimmt sich die neuen Trends von Superfood über „Frei vom Tier“ bis „Frei von vegan“ vor, geißelt das Essen auf Mausklick, und kritisiert die neue Küche als “Brutal, regional“. Und landet dort, wo man bei einer solchen Höllenfahrt landen muss, beim Ausruf: So kann es nicht weitergehen!
 
Aber es muss ja weiter gehen. Und für diesen Fall bietet er eine Küche an, deren Zutaten einfach daher kommen, aber schwierig zu beschaffen sind: Gelassenheit, Fantasie und Kreativität. Dieses Kapitel wie auch die anderen spickt Vilgis mit Rezepten über „Lauchwurzel im Bierteig“, „Röstspaghetti mit Nussbutter, Knoblauch und Haselnüssen“ und mit dem Hinweis, dass auch ein wenig oral aufgenommener Dreck nicht schaden könne.
 
Der Autor macht aus seiner Seele keine Mördergrube. Er zieht hinlänglich von Leder gegenüber wissenschaftlichen Studien, wie sie im Bereich Ernährung an der Tagesordnung sind, aber nach seinen Recherchen nicht einmal primitivsten Maßstäben wissenschaftlicher Glaubwürdigkeit entsprechen. Dabei stürzt er vieles von seinen tönernen Beinen und lässt an allzu einfachen Glaubenssätzen der Ernährungswissenschaft kein gutes Haar.  
 
Doch er endet nicht im Zorn, sondern entlässt den Leser versöhnlich mit 10 Ratschlägen für ein besseres Essen. Die beginnen mit: Koche selbst, misstraue der Werbung, lass die Finger von Superfood, esse, was der Bauer um die Ecke anbaut, nutze die Saison. Und wem das zu frugal erscheint, der findet am Ende dann doch noch eine Empfehlung, die den Autor endgültig als Genussmenschen entlarvt: Koche und iss mindestens ein Menü am Tag, das die Komponenten roh, gekocht und fermentiert enthält. Beginne mit einem kleinen Aperitif, dazu ein paar Nüssen und/oder Oliven. Schließe es mit ein wenig Käse nach dem Hauptgang und frischem Obst als Dessert und einem finalen Stückchen Schokolade.

Thomas Vilgis ist ein unterhaltsames und sehr engagiertes Buch zur Esskultur im 21. Jahrhundert gelungen. Es spart nicht mit Witz und Ironie, es ist ein Genuss. Und wie der Titel schon andeutet: Einfach zu Lesen.

„Einfach Essen  – Gegen den Ernährungswahn in unsern Köpfen“ von Thomas A. Vilgis; S. Hirzel Verlag 2020

IWEBuchbesprechung: „Einfach Essen“ von Thomas A. Vilgis