Der Wandel muss von unten kommen – Kommentar von Wilfried Bommert

Die Regierung hat bisher keine überzeugende Ernährungspolitik für mehr Klimaschutz auf den Weg gebracht. Die Hoffnung ruht daher auf der Kraft der Zivilgesellschaft, die neue Ernährungsumwelten als Ausweg aus der Krise schaffen kann.

Kommentar von IWE-Vorstandssprecher Wilfried Bommert, veröffentlicht in „Ökologie & Landbau“ 03|2021

„Wir haben es satt!“ Demonstration, Foto: Ruben Neugebauer/Campact/CC BY-NC 2.0

Wenn es richtig ist, dass unsere Ernährung zu einem Viertel für die Klimakrise verantwortlich ist und dass wir spätestens in 29 Jahren ein Leben ohne Treibhausgase führen müssen, wenn wir die Erde noch bewohnen wol­len, dann müssten wir eigentlich vom Frühstück bis zum Abendessen, von Sonntag bis Samstag, von Januar bis De­zember über nichts anderes mehr nach­ denken als über unser Essen, und wie wir uns aus der desaströsen Lage be­freien können, selbst die größten Klima­killer zu sein.

Stattdessen beklagen wir unser Schicksal, das uns das Coronavi­rus beschieden hat. Dabei übersehen wir geflissentlich, dass auch dieser Seuchenzug eine Folge unserer Ernährung ist. Das Eindringen in fremde Biotope, das Abfackeln von Urwäldern für Soja­kulturen, das Zerstören tropischer Torf­moore für Ölpalmen bringen uns im­mer neue Viren und Bakterien ins Haus, gegen die unser Immunsystem nicht gewappnet ist.

Was uns am schlech­testen bekommt, ist unsere Gier auf Fleisch. Auf Rindfleisch ganz beson­ders, weil es nach immer neuen Futter­flächen verlangt, nach Brandrodungen und synthetischem Stickstoff, beide als Klimakiller hinlänglich bekannt. Aber auch das Palmöl, in fast allen industriel­len Nahrungsmitteln enthalten, ist kein Klimafreund. Die Palmölplantagen set­zen das Weltklima unter Druck. Und sogar industriell hergestellter Hartkäse, den wir gerne dick auf Pizzen und Lasa­gnen aus der schnellen Küche streuen, gehört zum Arsenal der Klimafeinde.

Sie merken schon, da will Ihnen einer unsere Esskultur madig machen, die wir uns in den letzten 70 Jahren hart erar­beitet haben. Die Teil der Belohnung war für den Stress, dem wir tagein, tag­aus ausgesetzt waren, um voranzutrei­ben, was uns als unverzichtbar galt: Wachstum. Und immer mehr Wachs­tum. Zugegeben, es war ein Wachstum zu einem hohen Preis, und der wird jetzt eingefordert, von uns. Aber wollen wir das einfach so hinnehmen? Lassen wir uns aus Klimagründen in unsere Fleischtöpfe hineinregieren? Wollen wir uns anhören, das dicke Ende von Kottelet, Wurst und Schinken stünde uns noch bevor, falls wir uns nicht ändern?

Ein Systemwechsel ist weit weg

Wir werden wohl keine andere Wahl ha­ben, wenn wir uns nicht morgen in ei­nem Klimabackofen wiederfinden wol­len. Wir müssten uns ändern. Eigentlich. Doch tatsächlich müssen wir nichts fürchten. Solange die Ernährungspolitik fest in den Mauern des deutschen Landwirtschaftsministeriums eingeschlossen ist, sind wir sicher vor einem System­wechsel. Denn dort regiert der Geist, der im Klimawandel bestenfalls einen Grund für Dürrehilfen sieht. Der den Ernährungskonzernen genauso ver­pflichtet ist wie der Agrarindustrie, der Düngerwirtschaft, den Fleischkonzer­nen, dem globalen Agrobusiness und der Kreditwirtschaft, die all diese Wa­ren­ und Geldströme abwickelt und fi­nanziert.

Wenn es um Landwirtschaft geht, geht es um Wirtschaft und vor al­lem um Wachstum, weiterhin und zu fast jedem Preis. Um Ernährungspolitik und Klima geht es dort, wenn über­haupt, nur im Streit mit der Umweltministerin: Die will mehr investieren in die Ökologisierung der Landwirtschaft, in natur-­ und klimaverträgliche Produkti­onsverfahren, in Ideen wie Permakultur oder regenerative Landwirtschaft, in re­gionale Ernährungskreisläufe. Also summa summarum in eine ökologische Ernährungswende, aber das nur mit spärlichen Mitteln. Auf dem dicksten Geldtopf sitzt nach wie vor die Agrarbü­rokratie mit ihrem gut verzahnten Lob­byapparat und verteidigt ihre Erbhöfe mit Zähnen und Klauen.

Gut, die Bundeslandwirtschaftsministe­rin hat die erste Niederlage einstecken müssen, von den Brüsseler Agrarmilli­arden sollen nun doch mehr als von ihr vorgeschlagen in eine grüne Landwirt­schaft fließen. Aber das nur langsam. Als hätten wir beliebig viel Zeit für die notwendige Wende. Es bleiben uns aber nur 29 Jahre. Und diese Spanne ist nicht verhandelbar. Das Klima schließt keine politischen Kompromisse, und Naturgesetze lassen sich nicht beugen. Gehandelt werden muss jetzt! Nur wer und wie und was?

Die ökologische Vision fehlt

Sagen wir es grad heraus: Von der der­zeitigen Agraradministration können wir nichts erwarten, weil sie falsch auf­gestellt ist, zu wenig Einsichten, zu wenig Durchblick und keine ökologi­sche Vision besitzt. Wir könnten es auf die Zeit nach der Bundestagswahl am 26. September verschieben und warten, wer denn die oder den nächste(n) Bundeskanzler(in) stellt. Wir könnten mit den neuen Abgeordneten eine Art schnelle Eingreiftruppe bilden, die sich ab Oktober mit Vollgas um die Ernäh­rungswende bei uns und um den Green Deal in Brüssel kümmert. Aber ich glaube nicht an solche Systemsprenger aus einem System, das sich bisher vor allem durch vielstimmige Untätigkeit auszeichnet.

Ich glaube an die Kraft der Zivilgesell­schaft. An die, die schon seit Jahren in Berlin ihr „Wir haben es satt“ skandie­ren. Die in mehr als 40 deutschen Städ­ten begonnen haben, ihre Ernährung lokal und saisonal in Kreisläufen voran­ zubringen. Die dabei sind, den Kanti­nen und ihren Köchinnen zu helfen, ihre Großküchen auf klimafreundliche Portionen aus der Region umzustellen. Ich glaube an jene, die die Solidarische Landwirtschaft als Gemeinschafts­projekt von Landwirtinnen und Bür­gerinnen auf den Weg bringen. Die da­rauf drängen, dass ihre Kinder von der Kita bis zur Schule klimaverträglich es­sen und kochen können. Essen, bei dem sie wissen, wo es gewachsen ist, wie es geerntet, geputzt und zubereitet wird.

Ihre Vision ist eine Zivilgesellschaft, die Ernährungsumwelten organisiert, in denen kein Platz ist für Fastfood­ Kon­zerne, um ihre fetten, überzuckerten Kalorienbomben zu verkaufen. Eine Er­nährungsumwelt, in der nicht immer mehr Kinder ins Übergewicht gedrängt werden, sondern mit gesunder Vielfalt fit bleiben, und die dem Klima nützt, nicht schadet. Es geht um eine Politik von unten, die vorangeht und einer neuen klimaverträglichen Ernährungspolitik den Weg weist. Die dann verordnet, dass die wahren Preise für unsere Lebensmittel angeschlagen werden müssen, inklusive Klimakosten. Die den Klimarechner in den Kantinen zum Standard macht. Die die Fastfood­ Welle, To­Go ­Mentalität und Wegwerfkultur in ihre Schranken weist. Die den Sonntagsbraten wieder zum kulturellen Wert erhebt. Und Frie­den stiftet zwischen Bürgerinnen und Landwirtinnen.

Das Urteil der Verfasssungsrichterinnen zur Klimapolitik lässt hoffen, dass nun auch unsere Ernährung und die Prozes­se, die sie schaffen, einer strengen Kli­maprüfung unterzogen und dann neu aufgestellt werden müssen. Es geht um das Wiederentdecken einer Kultur, die im Alltag fast verschwunden wäre: einer Esskultur, die auf Werten beruht und nicht nur auf Preis und Profit; die hinter dem steht, was wir anspruchsvoll als Global Health bezeichnen. Wir brau­chen eine Ernährung, die keine Klima­gase produziert, die Pflanzen, Saison, Regionalität, Vielfalt und Fairness den Vorrang einräumt. Es ist diese Art von Esskultur, die bei uns einen neuen Platz finden muss. Nicht hinter der Firewall einer Agraradministration, die in Lob­byinteressen verfangen ist, sondern in einem neuen, unabhängigen Ressort. Einem Ministerium, das der Gesundheit der Menschen, Pflanzen und Tiere eben­ so verpflichtet ist wie der Gesundheit des Klimas und unseres Planeten. Wie viel Ernährungspolitik für mehr Klima­schutz möglich ist, entscheiden wir, spä­testens bei der kommenden Wahl.

IWEDer Wandel muss von unten kommen – Kommentar von Wilfried Bommert