Dossier: Kirchenland in (Bio-)Bauernhand?

Dossier: Kirchenland in (Bio-)Bauernhand?

Nach welchen Kriterien verpachtet die Kirche ihr Land?
von Karin Vorländer

Die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) gehört mit geschätzten 300.000 Hektar zu den größten Landeigentümern Deutschlands. Der römisch-katholischen Kirche gehören etwa 200.000 Hektar Acker- und Grünland und Wald. Gemeinsam besitzen die beiden Kirchen etwa 3 Prozent der aktuell 16,5 Millionen Hektar landwirtschaftlich genutzter Fläche in Deutschland größtenteils in den neuen Bundesländern. Das ist eine Größe, die durchaus relevant ist, wenn es um die Frage geht, wie und von wem dieses Land bewirtschaftet wird. Angesichts von zurückgehender Bodenfruchtbarkeit, dramatisch abnehmender Artenvielfalt und immer deutlich werdendem Klimawandel fällt es durchaus ins Gewicht, ob und von wem Kirchenland ökologisch nachhaltig, konventionell oder im Rahmen industrieller Landwirtschaft bearbeitet wird.

Den allergrößten Teil ihres Landes verpachten die Kirchen in den „alten Bundesländern“ zur landwirtschaftlichen Nutzung an Landwirte, deren Familie das kirchliche Pachtland nicht selten schon seit Generationen bewirtschaften. Ausgelaufene Pachtverträge wurden bislang meist mehr oder weniger automatisch verlängert.

Innerkirchlich und in der Gesellschaft mehren sich Stimmen, die von der Kirche eine Vorreiterrolle erwarten, wenn es um die Förderung biologischen Landbaus und die Wertschätzung des Bodens geht. Die Verpflichtung zur Bewahrung der Schöpfung ist in der Kirche, evangelisch und katholisch gleichermaßen, schon seit Jahrzehnten ein wichtiges Thema, das auch für den Umgang mit kircheneigenen Flächen in etlichen Denkschriften und Programmen zum Naturschutz zunehmend relevant wird.

Das Dossier „Kirchenland in (Bio-)Bauernhand?“ von Karin Vorländer können Sie hier herunterladen.

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Interview: Erstmals gemeinwohlorientierte Vergabekriterien von öffentlichem Land

Interview: Erstmals gemeinwohlorientierte Vergabekriterien von öffentlichem Land

Greifswald. Ein nicht unbeträchtlicher Teil der landwirtschaftlichen Flächen in Deutschland ist Pachtland im Besitz von Kirchen, Kommunen, Städten und Bundesländern. Nach welchen Kriterien wird dieses Pachtland eigentlich vergeben? Wie kann der Umgang mit öffentlichem Land in Zukunft umweltgerecht und enkeltauglich gestaltet werden?

Verbreitet ist bislang die unhinterfragte Verlängerung bestehender Pachtverträge – unabhängig davon wie umwelt- und klimagerecht diese Flächen bewirtschaftet werden. In Greifswald hat es das zivilgesellschaftliches Bündnis „Unser Land schafft Wandel“ erstmals geschafft, neue Kriterien für die Vergabe von Pachtland durchzusetzen, das der Hansestadt Greifswald gehört. Im Gespräch mit Karin Vorländer vom IWE erläutert Björn Pasemann, Mitinitiator des Aktionsbündnisses, die Anliegen des Greifswalder Leuchtturmprojektes.

Das Aktionsbündnis „Unser Land schafft Wandel“ hat im November 2019 im Stadtparlament von Greifswald die Neuausrichtung der Vergabe der insgesamt 4700 Hektar landwirtschaftlichen Pachtlandes in Kommunalbesitz durchgesetzt. Wie kam es dazu?

Maßgeblich initiiert wurde das Aktionsbündnis von der Finc Foundation, einer privaten lokalen Naturschutzorganisation aus Greifswald, die auch international tätig ist. Im Frühjahr 2019 schlossen sich Bürgerinnen und Bürger Greifswalds und verschiedene Umweltgruppen zusammen, wie etwa Nabu, Greenpeace, die Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft, das Bündnis Junge Landwirtschaft, Fridays for Future und Climate Justice, alles Gruppen, die in Greifswald aktiv sind. Aber es musste eine Organisation geben, die die Situation aufs Tapet brachte und die Möglichkeiten aufzeigte, die wir in Greifswald haben. Das war in diesem Fall Finc, zu der ich gehöre.

Wie ist das Thema einer gemeinwohlorientierten Vergabepraxis von Pachtland in den Fokus gekommen?

Uns treibt das Thema schon länger um. Wir beobachten negative Auswirkungen auf die Biodiversität rund um Greifswald, die hinlänglich nachgewiesen sind. Wir sehen ausgeräumte Landschaften, riesige Ackerschläge ohne dass da Hecken oder Bäume vorhanden sind, viel Pestizid-Einsatz und das Verschwinden vormals typischer Tiere und Pflanzenarten. Der Greifswalder Fluss Ryck lädt auch nicht gerade zum Baden ein.

Es wurde bekannt, dass die Stadt und die Universität Greifswald Land besitzen. Wir wollten, dass die Eigentümer öffentlichen Landes ihrer Verantwortung gerecht werden. Es sollte anerkannt werden, dass öffentliches Land das Land aller Bürgerinnen und Bürger ist. Das heißt, es geht dabei um das Landeigentum der Städte und Gemeinden, aber auch der Bundesländer. Wir wollen, dass dieses öffentliche Land im Sinne des Gemeinwohls und zukünftiger Generationen bewirtschaftet wird. Dazu gehört dann auch, dass die gesamte Vielfalt der Ökosystemleistungen erhalten bleiben soll und dass auch lokal anerkannt wird, dass die Landnutzung innerhalb planetarer Grenzen stattfindet.

Wer hat bislang das Land bearbeitet und genutzt?

Da gibt es verschiedene landwirtschaftliche Betriebe von bäuerlich kleinen, konventionellen Betrieben bis zu industriellen 3000 Hektar großen Betrieben, die dann teilweise auf städtischen Flächen wirtschaften. Nur 8,5 Prozent der städtischen Flächen werden bisher ökologisch bewirtschaftet.

Welche konkreten Forderungen zur Landvergabe hat das Bündnis aufgestellt?

Wir wollen, dass die öffentlichen Landeigentümer ihrer Verantwortung nachkommen. Die Landschaft sollte all ihre Funktionen erfüllen und nicht nur den höchstmöglichen Ertrag bringen. Einerseits soll Land der Produktion hochwertiger Nahrung dienen. Es soll andererseits Lebensraum für Menschen und Habitat für Tiere und Pflanzen sein. Gerade öffentliche Flächen sollten nicht nur dazu dienen, möglichst große Pachteinnahmen zu generieren. Über die Pachtpreise soll auch reguliert werden können, dass Landwirte eine Chance haben, naturverträglich und auskömmlich zu wirtschaften. Ganz konkret gefordert haben wir, dass die Landvergabe reformiert wird. Wir haben die Einführung von ökologischen und sozialen Kriterien bei der Landvergabe gefordert, dass über diese Landvergabe gewährleistet wird, dass die Betriebe zum Zuge kommen, deren Wirtschaftskonzept einen besonderen Mehrwert für die Gesellschaft bringt. Wichtig war uns, dass die übliche intransparente Praxis der uneingeschränkten Weiterverpachtung beendet wird. Nach Ablauf eines 12-jährigen Pachtvertrages sollen die Flächen neu ausgeschrieben werden und Pachtinteressenten können sich darauf bewerben. Dazu werden dann die neuen Kriterien abgefragt.

Was bringt denn nach den neuen Kriterien Punkte bei der Landvergabe?

In dem neuen, klaren Kriterienkatalog wird eine auf Nachhaltigkeit und Klimaschutz ausgerichtete Bewirtschaftungsweise berücksichtigt. Es gibt Punkte für Ökolandbau und Betriebe, die Biodiversitätsmaßnahmen umsetzen, wenn etwa mindestens auf zehn Prozent der Flächen Blühstreifen, Brachen, Gewässerschutzstreifen, extensive Weiden oder Lerchenfenster angelegt werden. Es gibt einen ganzen Katalog von Naturschutzmaßnahmen, die zusätzlich für die Flächen festgelegt werden sollen. Es wird nicht mehr nach Höhe der Pacht, sondern nach Konzept entschieden. Darunter fällt dann auch, dass Junglandwirte und Existenzgründer bevorzugt werden sollen. Auch innovative Konzepte, wie solidarische Landwirtschaft, werden unterstützt. Ausschlusskriterium ist der Einsatz von gentechnisch veränderten Organismen und Massentierhaltung. Der Bewerber muss im Pachtgebiet ortsansässig sein.

Gibt es ein Vorbild für Ihren Kriterienkatalog?

Wir waren im Gespräch mit der Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft und haben auch auf die Evangelische Kirche in Mitteldeutschland geschaut, die ein Punktesystem hat, welches für uns aber nicht ausreichend war, weil dort Biodiversität und Ökologie nicht genügend ins Gewicht fallen Aber an deren grundsätzlichen Vorgehensweise haben wir uns orientiert.

Gab es Widerstände ?

Veränderungen sind häufig anstrengend. Die zuständigen Stellen in der Stadtverwaltung waren anfangs nicht gerade begeistert. Wir wissen bis heute immer noch nicht, wo genau die stadteigenen Pachtflächen liegen. Einige der großen industriellen Agrarbetriebe haben im Vorfeld stark gegen die Vorschläge mobilisiert und konnten den konservativen Block im Stadtparlament für den Erhalt des Status quo gewinnen. Da wurden Briefe geschrieben, Lobbyarbeit gemacht, Einzelgespräche geführt. Da geht es um Besitzstandswahrung und darum, eine Veränderung bei der Landvergabe zu verhindern.

Wir dagegen haben versucht, dass die Bevölkerung von der Thematik was mitbekommt. Wir haben Infostände gemacht, wir haben eine Petition gestartet, um die Dringlichkeit zu verdeutlichen und die Bevölkerung zu sensibilisieren.

Wie bleiben Sie mit denen im Gespräch, die weiter ablehnend sind? Die Abstimmung in der Bürgerschaft war ja mit 24 zu 16 Stimmen durchaus knapp.

Wir sind grundsätzlich dialogbereit. Allerdings muss in der Landwirtschaft ein Wille zur Veränderung erkennbar sein; als Grundlage, dass in der Fläche wirklich etwas passiert. Es muss anerkannt werden, dass es bei der bisherigen Bewirtschaftungspraxis Probleme gibt, aber das wird ja momentan leider häufig noch geleugnet.

Zielt ihre Initiative auf zertifizierten Öko-Anbau oder ist in Ihren Augen auch eine konventionelle Landwirtschaft akzeptabel, die womöglich nachhaltiger und ökologischer als bisher arbeitet?

Das ist eine spannende Diskussion. Ich persönlich bin der Meinung, dass wir unbedingt mehr Ökolandbau in der Fläche brauchen. Es sind ja in der deutschen Nachhaltigkeitsstrategie 20 Prozent bis 2030 angestrebt. Das ist eine Zielmarke, aber das ist durchaus zu wenig.
Konventionelle Landwirtschaft, bei der viele Naturschutzmaßnahmen umgesetzt werden, kann aber durchaus hilfreich sein: Kleinere Schläge, Hecken, Randstreifen. Es muss nicht alles öko sein. Aber wir brauchen grundsätzlich einen Paradigmenwechsel. Wir müssen weg davon, dass der Ökolandbau als eine Art Premiumlandwirtschaft wahrgenommen wird. Wir müssen dahin kommen, dass eine naturverträgliche, enkeltaugliche Landwirtschaft der Standard ist.

Auch die Universität Greifswald und die Kirche sind Landbesitzer. Haben Sie sich auch an die gleichermaßen gewandt?

Wir haben uns zunächst auf die Stadt konzentriert, weil dort am offensichtlichsten wird, dass es sich um das Land der Bürgerinnen und Bürger handelt. Nichtsdestotrotz sind wir auch im Gespräch mit der Kirche und auch in der Universität ist ein Prozess angestoßen worden, der von den Studierenden ausgeht. Die Vollversammlung und der Asta haben sich dafür ausgesprochen, dass dort ein ähnlicher Prozess stattfinden muss.

Öffentliches Land gibt es nicht nur in Greifswald. Wie also weiter?

Ich ermutige dazu, in allen Städten nachzuhaken und beim Liegenschaftsamt nachzuforschen, ob und wie viele Flächen in öffentlicher Hand sind. Es wäre nötig, im Bundestag eine kleine Anfrage zu starten, um wirklich einen Überblick zu bekommen. Es geht ja nicht nur um die kommunalen Flächen, es geht ja auch um die Landesflächen. Brandenburg beispielsweise hat 30.000 ha landwirtschaftliche Flächen im Eigentum und die Frage ist, wie soll in Zukunft mit diesen Flächen umgegangen werden. Das muss stärker diskutiert werden. Wir wollen auch andere Gruppen inspirieren lokal aktiv zu werden und vor Ort Druck zu machen. Das gehört auf die Agenda, zu schauen, wie wird mit öffentlichen Flächen umgegangen. Wir haben sehr positive Rückmeldungen bekommen.

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Schweigegeld schafft keinen Frieden

Schweigegeld schafft keinen Frieden

Ein Kommentar von IWE-Vorstand Wilfried Bommert zur „Bauernmilliarde“ .

Eine Milliarde Euro für die Deutschen Bauern, damit Schluss ist mit den Treckerdemos und Bauernaufläufen! Die Bundesregierung will Ruhe an der grünen Front! Den politischen Frieden erkauft sie sich jetzt mit viel Geld, mit Schweigegeld.

Doch dieses Schweigegeld heilt nicht die Wunden, die die Bauern auf die Straßen treiben. Sie protestieren wegen der fehlenden Wertschätzung für ihre Arbeit, die sich in den Preisen für Milch, Getreide und Fleisch ausdrückt, von denen sie nicht leben können. Sie wollen kein ‚Weiter so’ und auch kein ‚Wachsen oder Weichen’. Sie wollen eine solide Zukunft für ihre Höfe, auch für kommende Generationen. Aber die bekommen sie nicht. Stattdessen wird Geld auf die Höfe gepumpt, das dann wieder die anlockt, die schon immer an der Landwirtschaft gut verdient haben, die Dünger-, Agrarchemie-, die Landmaschinen- und Tierarzneimittelkonzerne.

Für die Zukunft wird da wenig blieben. Auch nicht für die große Transformation der Landwirtschaft im 21. Jahrhundert, für Anpassung an eine Welt ohne fossile Brennstoffe, in der der Boden und was darauf wächst Klimagase einfangen und in Form von Humus festlegen muss, in der die Wasserreserven geschont und die Vielfalt auf den Äckern wieder hergestellt werden muss, in der die Region wieder ihre Menschen ernährt und Bauern und Bürger gemeinsam über die Zukunft ihrer Ernährung sprechen wollen.

Was nötig wäre, wäre ein grüner New Deal, eine Ernährungswende für Deutschland und Europa. Doch die bleibt aus. Stattdessen politische Sprach- und Mutlosigkeit bei den Regierenden, das ist es, was die Bauer auf die Barrikaden treibt. Auch eine Milliarde Schweigegeld werden sie dort nicht herunterholen. Wer jetzt politische Befriedung will, muss Friedensverhandlungen anbieten, nicht im Hinterzimmer der Parteien und Verbände, sondern auf den Marktplätzen der Zivilgesellschaft zwischen Bürgern und Bauern über die Zukunft ihrer Ernährung. Doch davon sind wir weit entfernt, solange das Geld regiert.

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Klimabelastung verschiedener Ernährungsformen

Klimabelastung verschiedener Ernährungsformen

Das Statistik-Portal Statista hat mit Hilfe des CO₂-Rechners des Umweltbundesamts eine Info-Grafik zur Klimabelastung verschiedener Ernährungsformen erstellt. Fleischesser belasten demnach das Klima mit einem durchschnittlichen CO₂-Ausstoß von 1.730 Kilogramm pro Jahr am stärksten. Eine vegetarische Ernährung verursacht 1.280 Kilogramm CO₂ pro Jahr. Eine vegane Ernährung schont das Klima am meisten, hier entstehen pro Jahr nur 1.040 Kilogramm CO₂.

Der Berechnung zugrunde liegt eine männliche Person im Alter von 30 bis 59 Jahren. Es wurde weiterhin angenommen, dass alle drei Ernährungsformen zum Teil auf regionalen, saisonalen und biologisch erzeugten Produkten basieren sowie auf gelegentlichen Tiefkühl-Produkten.

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Die Welt ernähren, ohne den Planeten zu schädigen, ist möglich

Die Welt ernähren, ohne den Planeten zu schädigen, ist möglich

Fast die Hälfte der derzeitigen Nahrungsmittelproduktion ist schädlich für unseren Planeten – sie führt zum Verlust biologischer Vielfalt, setzt den Ökosystemen zu und verschärft die Wasserknappheit. Kann das gutgehen, angesichts einer weiter wachsenden Weltbevölkerung? Eine neue Studie unter der Leitung des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung (PIK) untersucht umfassende Lösungsvorschläge, wie man 10 Milliarden Menschen innerhalb der Belastungsgrenzen unseres Planeten ernähren kann. Eine angemessene und gesunde Ernährung für jeden Menschen bei weitgehend intakter Biosphäre erfordert nicht weniger als eine technologische und soziokulturelle Kehrtwende. Dazu gehören etwa die konsequente Umsetzung ressourcenschonender landwirtschaftlicher Methoden, die Reduzierung von Lebensmittelverlusten und schließlich Änderungen im Speiseplan. Die Veröffentlichung der Studie trifft zusammen mit dem Beginn des Weltwirtschaftsforums in Davos und mit der Grünen Woche in Berlin.

„Wenn man sich den Zustand des Planeten Erde und den Einfluss der aktuellen globalen Landwirtschaftspraxis auf ihn ansieht, gibt es viel Grund zur Sorge – aber auch Grund zur Hoffnung, sofern wir sehr bald entschlossenes Handeln sehen“, sagt Dieter Gerten, Leitautor vom PIK und Professor an der Humboldt-Universität zu Berlin. „Derzeit geschieht fast die Hälfte der weltweiten Nahrungsmittelproduktion auf Kosten der planetaren Belastungsgrenzen der Erde. Wir widmen zu viel Land der Tierhaltung und den Nutzpflanzen, düngen zu stark und bewässern übermäßig. Um dieses Problem angesichts einer noch immer wachsenden Weltbevölkerung zu lösen, müssen wir miteinander überdenken, wie wir Lebensmittel produzieren. Die gute Nachricht ist, dass solche Transformationen es ermöglichen, ausreichend Nahrung für bis zu 10 Milliarden Menschen bereitzustellen – das zeigt unsere Forschung.“

Die Forscher stellen die Frage, wie viele Menschen unter Einhaltung eines strengen Standards ökologischer Nachhaltigkeit weltweit ernährt werden könnten. Diese Umweltkapazitäten werden in Form mehrerer planetarer Belastungsgrenzen definiert – wissenschaftlich definierter Höchstwerte für menschliche Eingriffe in zentrale Prozesse des Planeten. In der vorliegenden Studie werden vier der neun planetaren Grenzen erfasst, die für die Landwirtschaft relevant sind: die Integrität der Biosphäre (intakte Artenvielfalt und intakte Ökosysteme), die Veränderung der Landnutzung, die Süßwassernutzung und die Nutzung von Kunstdünger. Basierend auf einem ausgefeilten Computermodell werden die Auswirkungen der Nahrungsmittelproduktion auf diese Grenzen mit einem nie dagewesenen Detailgrad hinsichtlich der räumlichen Auflösung und der Darstellung der Prozesse und auch auf den gesamten Planeten bezogen untersucht. Diese Analyse zeigt auf, wo und wie viele Grenzen durch die derzeitige Nahrungsmittelproduktion verletzt werden und auf welche Weise diese Entwicklung durch Einführung nachhaltigerer Formen der Landwirtschaft rückgängig gemacht werden könnte.

Global differenziertes Bild: In manchen Regionen wäre weniger mehr

Das ermutigende Ergebnis ist, dass theoretisch 10 Milliarden Menschen ernährt werden können, ohne das Erdsystem zu gefährden. Das führt zu sehr interessanten Schlussfolgerungen, wie Johan Rockström, Direktor des PIK, betont: „Wir stellen fest, dass die Landwirtschaft in vielen Regionen derzeit zu viel Wasser, Land oder Dünger verbraucht. Die Produktion in diesen Regionen sollte daher mit ökologischer Nachhaltigkeit in Einklang gebracht werden. In der Tat gibt es enorme Möglichkeiten, die landwirtschaftliche Produktion in diesen und anderen Regionen auf nachhaltige Weise zu steigern. Das gilt zum Beispiel für weite Teile Subsahara-Afrikas, wo ein effizienteres Wasser- und Nährstoffmanagement die Erträge stark verbessern könnte.“

Als positiver Nebeneffekt kann eine nachhaltigere Landwirtschaft die allgemeine Klimaresilienz erhöhen und gleichzeitig die globale Erwärmung begrenzen. An anderen Orten ist die Landwirtschaft jedoch so weit von den lokalen und planetaren Belastungsgrenzen entfernt, dass selbst nachhaltigere Systeme den Druck auf die Umwelt nicht vollständig ausgleichen könnten, wie etwa in Teilen des Nahen Ostens, Indonesiens und teilweise in Mitteleuropa. So wird der Welthandel auch nach der Neuausrichtung der landwirtschaftlichen Produktion ein Schlüsselelement einer nachhaltig ernährten Welt bleiben.

Für Planet und Gesundheit: Ernährungsumstellungen notwendig

Auch die Seite der Konsumentinnen und Konsumenten ist nicht zu vergessen. Weitreichende Ernährungsumstellungen scheinen unumgänglich zu sein, um das Ernährungssystem wirklich nachhaltig zu machen. Beispielsweise müssten angesichts des steigenden Fleischkonsums in China Teile der tierischen Proteine durch mehr Hülsenfrüchte und anderes Gemüse ersetzt werden. „Veränderungen auf dem täglichen Speiseplan scheinen zunächst vielleicht schwer zu schlucken. Aber auf lange Sicht wird eine Ernährungsumstellung hin zu einem nachhaltigeren Mix auf dem Teller nicht nur dem Planeten, sondern auch der Gesundheit der Menschen zugutekommen“, ergänzt Vera Heck vom PIK. Ein weiterer entscheidender Faktor ist die Reduzierung der Nahrungsmittelverluste. So baut die vorliegende Studie auf Zahlen, die auch der jüngste IPCC-Sonderbericht zur Landnutzung vorgelegt hat und wonach derzeit bis zu 30 Prozent aller produzierten Lebensmittel durch Verschwendung verloren gehen. „Diese Situation erfordert eindeutig entschlossene politische Maßnahmen, um Anreize sowohl auf Seiten der Produzentinnen als auch der Verbraucher zu setzen“, so Heck weiter.

Die vielleicht sensibelste und herausforderndste Konsequenz der Studie betrifft das Landnutzung. „Alles, was mit dem Land zu tun hat, ist in der Praxis mitunter komplex und umstritten, weil die Lebensgrundlagen und Perspektiven der Menschen davon abhängen. Der Übergang zu einer nachhaltigeren Landnutzung und -bewirtschaftung ist daher eine anspruchsvolle Herausforderung für die Politik. Hierbei ist es entscheidend, dass die Menschen in den betroffenen Regionen klare Vorteile für sich erkennen können. Dann besteht eine echte Chance, dass die Unterstützung für diese Veränderungen schnell genug wächst, um das Erdsystem zu stabilisieren“, sagt Wolfgang Lucht, Ko-Vorsitzender des Fachbereichs Erdsystemanalyse am PIK und Mitautor der Studie.

Die Studie „Feeding ten billion people is possible within four terrestrial planetary boundaries“ finden Sie hier.

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Bericht 2020: Globale Agrarwirtschaft und Menschenrechte

Bericht 2020: Globale Agrarwirtschaft und Menschenrechte

Ernährungsindustrie und Landwirtschaft gehören zu den Sektoren, in denen es weltweit am häufigsten zu Menschenrechtsverletzungen kommt. Betroffen sind Produzent*innen, Konsument*innen sowie Anwohner*innen entlang der gesamten Wertschöpfungskette. In einer gemeinsamen Studie haben Germanwatch und Misereor Menschenrechtsverletzungen im Agrarsektor dokumentiert und die menschenrechtliche Sorgfalt deutscher Unternehmen analysiert. Demnach erfüllt keins der 15 untersuchten Unternehmen in ausreichendem Maße die Anforderungen der UN-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte.

Laut Studie bestehen vor allem für die untersuchten fünf Geflügelfleischproduzenten erhebliche menschenrechtliche Risiken:

  • Sojaanbau für Futtermittel führe vielfach zu Landvertreibungen und zu giftigem Pestizideinsatz in Südamerika.
  • Der massive Einsatz von Antibiotika in der Tierhaltung verstärke die Nachfrage in den Antibiotika-Produktionsländern Indien und China. Dies erhöhe das Risiko von Resistenzen dort.
  • Die Arbeitsbedingungen in deutschen Schlachtbetrieben seien zum Teil menschenverachtend.
  • Exporte von Geflügelteilen aus der EU bedrohten in Westafrika das wirtschaftliche Überleben einheimischer Produzenten und gefährdeten ihre Lebensgrundlage.

Kritisch bewertet die Studie auch die Rolle der Bundesregierung. In der Handelspolitik habe sie es bislang versäumt, die Rolle von Menschenrechten zu stärken. Zugleich sind deutsche Unternehmen bislang nicht gesetzlich verpflichtet, die Menschenrechte bei ihrer weltweiten Geschäftstätigkeit zu achten – anders als in einigen europäischen Nachbarländern. Allerdings haben aufgrund des schlechten Abschneidens deutscher Unternehmen beim Monitoring ihrer menschenrechtlichen Sorgfalt die Bundesminister für Arbeit und Soziales sowie für Entwicklung im Dezember 2019 Eckpunkte für ein deutsches Lieferkettengesetz angekündigt.

Zudem gibt es in Deutschland noch keinen ausreichenden Zugang zu Abhilfe für Betroffene von Menschenrechtsverletzungen. Grund ist einerseits die mangelnde Grundlage im deutschen Recht, andererseits gibt es viele prozessuale Hürden. Aber auch das außergerichtliche staatliche Beschwerdeverfahren über die Nationale Kontaktstelle für die OECD-Leitsätze weist erhebliche Mängel auf.

Den Bericht „Globale Agrarwirtschaft und Menschenrechte“ können Sie hier als PDF herunterladen.

IWEBericht 2020: Globale Agrarwirtschaft und Menschenrechte
Landwirtschaft am Scheideweg

Landwirtschaft am Scheideweg

Der Artikel von IWE-Vorstand Wilfried Bommert erschien in der Zeitschrift Ökologie & Landbau.

Auf dem Weg zu einer Ökologisierung des Agrar- und Ernährungssystems gibt es einige Hemmnisse. Diese sind oft in überkommenen Strukturen begründet. Kann ein Systemwechsel also überhaupt gelingen? Für Wilfried Bommert kommt es auf die kritische Masse an, damit die Vision „100% Bio“ Realität wird.

Hat Bio das Potenzial, die Welt zu ernähren? Un­möglich, urteilt die Allianz der industriellen In­tensivlandwirtschaft. Dagegen sprächen allein schon die Erträge, bei einem Minus von 25 Prozent könne der Hunger der zukünftig zehn oder zwölf Milliarden Erdbewoh­ner nicht gestillt werden. Dabei wird stillschweigend übergan­gen, dass das Potenzial des ökologischen Wegs bisher kaum ausgeschöpft ist. Die Vielfalt an ökologischen Systemen der weltweiten Landwirtschaft ist groß, weit größer als die Flä­chen, die nach den Kriterien der Bioanbauverbände zerti­fiziert und bewirtschaftet werden. Und die Produktivität hält jedem Vergleich stand, wenn man nicht nur Hektarerträge, sondern auch Gewinne an Bodenfruchtbarkeit, Wasserhalte­vermögen, Artenvielfalt, Pestizidfreiheit und Resilienz gegenüber Klimaextremen, also die gesamten Ökosystemleistun­gen, berücksichtigt.

Potenzial zur Ernährung der Welt

Eines der bedeutendsten agrarökologischen Systeme findet sich im Reisanbau. Es setzt auf Extensivierung und bringt dennoch mehr Ertrag hervor. Obwohl es ein extensives Sys­tem ist, erhielt es irreführender Weise den Namen „System of Rice Intensification“. Es verzichtet auf synthetischen Stickstoff und Pestizide, verbessert den Boden, verbraucht nur die Hälf­te des sonst üblichen Wassers und trägt zur Entlastung des Klimas bei, indem es die Nassphase des Reisanbaus, in der Methan entsteht, weitgehend ausfallen lässt. Sein Erfolg be­ruht auf der Erweiterung der Pflanzabstände der Reispflan­zen, die so mehr Wurzelraum erhalten und mehr Triebe bilden können. Auf diese Weise erhöht sich der Ertrag pro Hektar im Schnitt von zwei auf acht Tonnen (Uphoff, 2014). Mittlerweile haben rund fünf Millionen Bauern in über 50 Ländern in Asien, Afrika und Lateinamerika das System übernommen. In China und Indien wird es offiziell von den Behörden gefördert.

Megastädte, die sich ökologisch (selbst) versorgen

Eine besondere Herausforderung für die Zukunft stellen die schnell wachsenden Megastädte dar, wie sie in Afrika, Asien und Lateinamerika entstehen. Wie können sie versorgt wer­den? Südamerika, wo die Städtebildung am weitesten fortge­schritten ist, zeigt mögliche Wege. In der Stadt Rosario in Argentinien schuf die Stadtregierung ein Programm zur Un­terstützung landloser Landarbeiter, die aus dem Hinterland verdrängt wurden, und armer Städter. Sie sollten ihr eigenes Gemüse auf Brachland in der Stadt anbauen, um sich selbst zu versorgen. Die Initiative wurde unter dem Namen „Pro­ grama de Agricultura Urbana (PAU)“ bekannt. Sie führte zu einem Boom städtischer Landwirtschaft, aus dem neue lokale Märkte und Verarbeitungsbetriebe entstanden, die heute ihr Geld damit verdienen, dass sie organisch angebautes Obst und Gemüse, aber auch verarbeitete Produkte an die wohl­habendere Stadtbevölkerung verkaufen. In Brasilien stellte das Zero­Hunger­Programm die Kleinbauern in städtischen Zentren in den Mittelpunkt. Ziel war es, ökologische und da­mit preisgünstige Produkte zu fördern und mit ihnen die ärmere Bevölkerung der Großstädte zu versorgen. Heute wirtschaften 4,3 Millionen brasilianische Kleinbauern nach ökologischen Prinzipien in den großen Städten des Lan­ des und in ihrem Umkreis.

Auf Kuba zeigt das Beispiel Ha­vannas, wie eine Stadt ihre Selbstversorgung steigern kann. Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion musste Kuba eine neue Basis für die eigene Ernährung entwickeln. So wur­den die Brachflächen und Grünanlagen der Städte zu Gärten mit ökologischer Bewirtschaftung, die bei Gemüse mehr als die Hälfte des Bedarfs decken (Koont, 2011). Die hier vorgestellten Beispiele bilden noch keine abgesicherte Strategie zur Versorgung der zukünftigen Megastädte. Sie zeigen jedoch, dass die Zivilgesellschaft weltweit schon heute über eine große Spannbreite erfolgreicher ökologischer Syste­me verfügt. Sie bilden die kritische Masse, mit der ein System­wechsel in ökologischer Vielfalt gestaltet werden kann. Dies auch, weil eine intensivierte Bioforschung und -­praxis noch erhebliche Steigerungen der Erträge erwarten lassen – und das nicht nur in den Entwicklungsländern.

Woran eine zügige Umsetzung zu mehr Bio scheitert

In den Industrieländern und so auch in Deutschland ist die ökologische Agrarforschung ein Stiefkind der Forschungs­förderung. Hier liegt ihr Anteil am gesamten landwirtschaft­lichen Forschungsetat des Bundes bei sechs Prozent. Das wa­ren 2017 rund 278 Millionen Euro. Der geringe Stellenwert des Ökolandbaus im Bereich Forschung spiegelt das geringe politische Interesse wider. Das wird sich grundlegend ändern müssen. Die Zuweisung staatlicher Forschungsmittel muss drastisch steigen, bis 2030 mindestens auf 20 Prozent, um ei­ner flächendeckenden Biolandwirtschaft das notwendige Fundament zu geben.

Einer zügigen und flächendeckenden Ökologisierung steht in Deutschland ein Leitbild der Ernährungspolitik entgegen, das in den 1950er­Jahren geprägt wurde und weiter Bestand hat. Es ist das Leitbild der industrialisierten Landwirtschaft, das im Nachkriegsdeutschland entwickelt wurde. Es sollte die Prinzipien der Industrie auf die Landwirtschaft übertragen. Durch den Einsatz von Technik, Chemie, Hochleistungszucht und Spezialisierung sollte die Produktivität massiv erhöht werden; zum einen, um den Hunger der Nachkriegsjahre zu besiegen, zum anderen, um in der Landwirtschaft Arbeits­kräfte für die boomende Industrie freizusetzen. Der Erfolg dieser Strategie, die aus einem engen Zusammenspiel der landwirtschaftlichen Verbände, der vor­ und nachgelagerten Industrien, der Politik und der Verwaltung bestand, trug zu dem bei, was als deutsches „Wirtschaftswunder“ in die Ge­schichte einging.

Diese agroindustrielle Koalition besteht wei­ter, verfolgt weiterhin das Ziel einer umfassenden Indus­trialisierung und zieht gegen eine Ökologisierung der Landwirtschaft in Deutschland zu Felde. Sie schafft bis heute über die europäische Agrarpolitik immer größere Mono­strukturen auf den Äckern und in den Ställen. Ihr Einfluss ist besonders den Konzernen zuzuschreiben, die zu immer grö­ßeren wirtschaftlichen Machtkomplexen heranwuchsen und mittlerweile globale Dimensionen erreicht haben.
Diese ökonomische Machtballung fördert den politischen Einfluss einer vielfältigen Lobby, die das Konzept der inten­siven Landwirtschaft, des globalen Handels und der indus­triellen Verarbeitung von Lebensmitteln in der ganzen EU sichert und verteidigt.

Zu den stabilisierenden Säulen des Systems gehört auch der Deutsche Bauernverband, dessen Vertreter in den Aufsichtsräten der Agrarkonzerne sitzen und in Deutschland bis in die Ausschüsse des Bundestags vordrin­gen konnten. Ein weiteres Hindernis für die Abkehr vom dominierenden Leitbild sind die Bauern selbst und ihre Investitionen. Getrie­ben von Verbandspolitikern, die die globalen Milch-­ und Fleischmärkte als Heilsversprechen ausgaben, wurde in Ge­bäude und Maschinen investiert. Investitionen in Milliarden­höhe, die über Jahre zurückgezahlt werden müssen und nun den Entschluss erschweren oder auch verhindern, neue Wege einzuschlagen.

Wie die Vision Realität werden kann

Existiert vor dem Hintergrund der Macht­ und Interessen­ballung für ein industrielles Agrarsystem überhaupt die Chance für einen Wechsel hin zu einer Ernährung, die öko­logisch und regional orientiert ist? Die grundlegende Öko­logisierung des Agrar­ und Ernährungssystems kann in Eu­ropa nur ein gesamteuropäisches Projekt sein. Da die Politik sich kaum bewegt, wird die Zivilgesellschaft den notwendigen Systemwechsel einleiten müssen. Die Weichen dafür müssen in Brüssel gestellt werden. Aber die Impulse dafür werden von den europäischen Gemeinschaftsstaaten und von ihren Bür­gern gesetzt. Die Energiewende in Deutschland ist ein Beweis dafür, dass eine solche Strategie „von unten“ Erfolg haben kann. Sie zeigt, welche Hebel dafür in Bewegung gesetzt werden müssen: Beispiel geben, Vorbilder schaffen, Märkte entwickeln, politi­sche Koalitionen schmieden, die öffentliche Förderung neu justieren.

Im Zentrum muss eine neue Weichenstellung in der europä­ischen Agrar-­ und Handelspolitik stehen. Ihr Ziel: Kein Euro darf in Zukunft ohne Prüfung seiner ökologischen Wirkung ausgegeben, kein Vertrag ohne Blick auf die Folgen für die Ernährung der Menschen geschlossen werden. Unter den politischen Maßnahmen, mit denen die Europäische Union die Transformation des Ernährungssystems beginnen muss, steht die Umwidmung der Flächenprämie an vorderster Stelle. Flankierend sollte die Zivilgesellschaft die Diskussion über eine ökologische Transformation des Agrarsystems fördern, indem sie Fragen stellt:

  • nach der Sicherheit von Geldanlagen der Bürger in Fonds und Versicherungen, die ihre Gewinne aus dem Geschäft der Intensivlandwirtschaft ziehen,
  • nach der Praxis der Verpachtung von kirchlichem und kommunalem Land – Kirchen und Kommunen als große Landbesitzer müssen bei der Agrarwende vorangehen,
  • nach der öffentlichen Förderung von Bürgerinitiativen, die in deutschen Städten regionale Ernährungskonzepte entwickeln,
  • nach einem Verbot von Antibiotika in der Tierhaltung, wenn sie Multiresistenzen und damit lebensgefährliche Erkrankungen begünstigen,
  • nach einem Verbot von Pestiziden, die als Hauptursache des massiven Insektensterbens identifiziert und dennoch nicht aus dem Verkehr gezogen werden,
  • und schließlich ob Bauern nicht für Fehlinvestitionen in die industrielle Landwirtschaft entschädigt werden sollten, so wie die Kohle­ und Atomindustrie in der Energiewende.

Nur die Entlastung von diesen Verbindlichkeiten wird es den bäuerlichen Betrieben ermöglichen, dem Zwang zum „Weiter so“ zu entkommen und einen ökologischen Neubeginn zu wagen. Ziel all dieser Aktionen muss es sein, ein politisches Klima zu schaffen, das Ökolandbau bis zur Mitte des Jahrhunderts zum Goldstandard der Landwirtschaft erhebt, wie es der Rat für Nachhaltige Entwicklung schon 2011 empfahl. Die „Vision 100 % Bio“ – so kann sie gelingen.

Zum Weiterlesen: Bommert, W., M. Linz (2018): Landwirtschaft am Scheideweg. Nur eine ökologische Landwirtschaft kann zehn Milliarden Menschen ernähren. Eine Streitschrift. Abrufbar unter kurzlink.de/bommert_linz

IWELandwirtschaft am Scheideweg
The role of artificial intelligence in achieving the Sustainable Development Goals

The role of artificial intelligence in achieving the Sustainable Development Goals

ABSTRACT: The emergence of artificial intelligence (AI) and its progressively wider impact on many sectors requires an assessment of its effect on the achievement of the Sustainable Development Goals. Using a consensus-based expert elicitation process, we find that AI can enable the accomplishment of 134 targets across all the goals, but it may also inhibit 59 targets. However, current research foci overlook important aspects. The fast development of AI needs to be supported by the necessary regulatory insight and oversight for AI-based technologies to enable sustainable development. Failure to do so could result in gaps in transparency, safety, and ethical standards.

Download Publication „The role of artificial intelligence in achieving the Sustainable Development Goals“ here.

IWEThe role of artificial intelligence in achieving the Sustainable Development Goals
Es grünt so grün

Es grünt so grün

Ein Kommentar von IWE-Vorstand Wilfried Bommert.

So grün war es noch nie zur Grünen Woche in Berlin. Selbst die industriefreundliche Bundeslandwirtschaftsministerin überschlägt sich mit ökologischen Bekenntnissen. Weniger Pestizide, weniger Antibiotika, weniger Fastfood, weniger Nitrat, weniger Fleisch, weniger Klimagase. Dafür mehr Bienen und Insekten in der Feldflur, mehr Vielfalt auf dem Acker, mehr Tierwohl im Maststall, mehr Lebensmittel aus der Region, mehr Selbstgekochtes auf den Tischen in Kitas, Schulen und Universitäten. Ja, das wollen wir. Zumindest ist es schön gesagt und wohlfeil applaudiert. Die Politik hat verstanden: Ab jetzt zählt grün, grüner, am grünsten. Wirklich?

Oder sind es nur verbale Nebelkanonen, die in Berlin in Stellung gebracht werden, um die unangenehme Wirklichkeit der Agrarwirtschaft zu verdecken? Nebelkanonen, die verschleiern sollen, dass die deutsche Landwirtschaft 20 Milliarden Wertschöpfung erbringt, dafür aber Umwelt- und andere Kosten in Höhe von 100 Milliarden produziert. Ökologische Kosten, die für ausgeräumte Landschaften, verlorene Bodenfruchtbarkeit und schrumpfende Wasserreserven, sterbende Bienenvölker und eine ausgezehrte Vogel- und Tierwelt hier und auf den Mastfuttersteppen in Südamerika anfallen. Kosten, die wir und unsere Enkel werden zahlen müssen. Wenn wir die Schwüre, die unter dem Funkturm Berlins geleistet werden, ernst nehmen sollen, dann muss genau diese Rechnung auf den Tisch. Und auf den Tisch muss auch, was wir für eine enkeltaugliche Landwirtschaft tun können. Anstelle von Schönrederei – harte Fakten, klare Ziele, konsequente Umsetzung. Dafür haben wir unsere Politiker gewählt.

Mein Vorschlag: Pro Jahr 5 Prozent verringern bei allem, was nicht mehr ökologisch zu verantworten ist: 5 Prozent pro Jahr weniger bei Pestiziden, Antibiotika, Nitrat, Futtermitteln aus Übersee, Billigfleisch und Klimagasen. Und 5 Prozent pro Jahr mehr von dem, was dringend notwendig ist: Glückliche Tiere, mehr Bienen, mehr Vielfalt auf dem Acker, mehr sauberes Grundwasser und gesunder Boden, mehr Bauern und Bäuerinnen, die mit Stolz und Anerkennung ihre Felder bestellen. In 20 Jahren wären das 100 Prozent, also die komplette ökologische Wende auf den Äckern und auf den Tellern bis 2040.

Eine grüne 5-Prozent Diät für die nächsten 20 Jahre – das wäre mal eine konkrete Ansage. Und sie würde das umsetzen, was uns die Regierung bis 2050 versprochen hat, ein klima- und umweltverträgliches Land. 

IWEEs grünt so grün
Insektenatlas 2020

Insektenatlas 2020

Es summt, brummt und krabbelt immer weniger – vor allem dort, wo intensive Landwirtschaft betrieben wird. Große Felder, Pestizide und monotone Landschaften nehmen den Insekten ihre Lebensräume. Daher hat das Insektensterben in Deutschland, Europa und weltweit bedrohliche Ausmaße angenommen. Das ist umso dramatischer, als Insekten eine der fundamentalen Lebensgrundlagen unserer Welt sind. Die Landwirtschaft und somit Ernährung von Milliarden von Menschen sind untrennbar mit Insekten verknüpft: Unzählige landwirtschaftliche Kulturpflanzen profitieren von Bestäubern. Ohne ihre Leistung würden gerade Obst und Gemüse in unseren Kühlschränken zur Mangelware.  

Warum insbesondere die industrielle Agrarindustrie die Lebensräume der Insekten so massiv bedroht, welche Auswege möglich sind und viele weitere spannende Aspekte erklärt der Insektenatlas, der von der Heinrich-Böll-Stiftung, BUND und Le Monde Diplomatique herausgegeben wird. Er liefert Daten und Fakten über Nütz- und Schädlinge in der Landwirtschaft, formuliert die Kritik an der zu zögerlichen Politik und benennt auch gerade mit Blick auf die 15. Weltnaturschutzkonferenz in China und den Vorsitz Deutschlands im Rat der Europäischen Union im kommenden Jahr, die dringend notwendigen Schritte zum Schutz der Insekten.

Die Publikation „Insektenatlas – Daten und Fakten über Nütz- und Schädlinge in der Landwirtschaft“ können Sie hier als Printversion bestellen oder hier als PDF herunterladen.

IWEInsektenatlas 2020