Alternative zu Herbiziden: Landwirtschaft ohne Glyphosat

Alternative zu Herbiziden: Landwirtschaft ohne Glyphosat

Der neue Bericht „Alternative zu Herbiziden – Landwirtschaft ohne Glyphosat“ von PAN Europe in Zusammenarbeit mit der europäischen Fraktion der Grünen/EFA zeigt, dass es für alle bekannten Hauptanwendungen von Herbiziden auf Glyphosatbasis wesentlich sicherere nicht-chemische Alternativen gibt, sowohl Low- als auch Hightech-Verfahren. Der Bericht schlägt zudem Maßnahmen vor, wie der Übergang zu einer glyphosatfreien Landwirtschaft wirtschaftlich tragfähig machbar ist. In diesem Jahr entscheidet die EU über die Wiederzulassung von Glyphosat.

Im Rahmen der Veröffentlichung der Studie findet am 11. April um 13 Uhr eine Online-Panel-Diskussion statt. Nähere Informationen und die Anmeldung finden Sie hier.

Die deutsche Kurzfassung des Berichts können Sie hier als PDF herunterladen, die komplette englische Fassung hier.

IWEAlternative zu Herbiziden: Landwirtschaft ohne Glyphosat
Der Weg zu regenerativer Landwirtschaft in Deutschland – und darüber hinaus

Der Weg zu regenerativer Landwirtschaft in Deutschland – und darüber hinaus

Mehr als die Hälfte der Ackerflächen der Welt haben ihre Fruchtbarkeit verloren. Was ihnen nicht bekommt, ist die Art der Bewirtschaftung. Lässt sich die Fruchtbarkeit zurückgewinnen?
Und wie für eine Zukunft mit Klimaextremen bewahren? Unter dem Dach der „regenerativen Landwirtschaft“ treffen sich ökologische Einsichten und praktischen Erfahrungen. Das IWE hat ihr ökologisches Potenzial in der Studie „Ernährungswende“ beschrieben. Der NABU und Boston Consulting stellen die Vorzüge der regenerativen Methoden für die ökologische Transformation in der soeben erschienen Studie „Der Weg zu regenerativer Landwirtschaft in Deutschland – und darüber hinaus“ zusammen.

IWEDer Weg zu regenerativer Landwirtschaft in Deutschland – und darüber hinaus
Vorträge zur Ernährungswende

Vorträge zur Ernährungswende

Im Mittelpunkt des IWE-Workshops 2023 in Berlin stand anlässlich unseres 10-jährigen Bestehens ein Rückblick auf die bisherige Arbeit des Instituts für Welternährung sowie ein Ausblick auf die Herausforderungen, die in den kommenden Jahren zu bewältigen sein werden.

Das Thema einer durch die Zivilgesellschaft vorangetriebenen „Ernährungswende von unten“ wird weiterhin im Zentrum der Arbeit des IWE stehen. Das betont Wilfried Bommert, neu gewählter Sprecher des Instituts für Welternährung. Ihn beschäftigen die Fragen: Wo stehen die Leuchttürme der ökologischen Transformation, die die Ernährungswende voranbringen? Was sind die großen Hebel, wie die Ökologisierung der Kantinenwirtschaft, über die eine Ernährungswende möglich gemacht werden kann? Was sind die Bündnisse, über die politischer Einfluss genommen werden muss? Mit welchen Visionen kann eine Ernährungswende Land gewinnen?

Wie werden „Ernährungslandschaften der Zukunft“ aussehen und wie können sie erhalten und neu geschaffen werden? Das war das Thema des Vortrags von Prof. Dr. Franz-Theo Gottwald, der damit einen wesentlichen Impuls für die weitere Arbeit des IWE gab.

Hier finden Sie und Ihr die Aufzeichnungen der Vorträge „Ernährungswende voranbringen – 10 Jahre Institut für Welternährung“ von IWE-Vorstandssprecher Dr. Wilfried Bommert sowie „Ernährungslandschaften der Zukunft“ von Prof. Dr. Franz-Theo Gottwald.

Die IWE-Mitgliederversammlung fand am 20. Januar 2023 in der Neuen Schule für Fotografie Berlin statt.

IWEVorträge zur Ernährungswende
Walter Jehne: The True Costs of Cheap Food

Walter Jehne: The True Costs of Cheap Food

Walter Jehne is a renowned soil microbiologist and climate scientist with Australia’s CSIRO. He is the cofounder of Healthy Soils Australia, Regenerate Earth, and the Rehydrate California Initiative, and works as a consultant for regenerative agricultural projects across the globe. Walter Jehne serves on the Real Organic Project Advisory Board.

In this episode, the Real Organic Podcast gets deep into the real costs of producing industrial food, including the rise of both diseases and healthcare costs, and the overall decline of  nutrients available to eaters. Walter Jehne also speaks to the role healthy soil plays in supplying essential nutrients to our food while also preventing the uptake of toxins.

The Real Organic Podcast is hosted by Dave Chapman and Linley Dixon, engineered by Brandon StCyr, and edited and produced by Jenny Prince.

IWEWalter Jehne: The True Costs of Cheap Food
Französischer Rechnungshof: Mehr Unterstützung für Bio-Landwirtschaft und Bio-Lebensmittel notwendig

Französischer Rechnungshof: Mehr Unterstützung für Bio-Landwirtschaft und Bio-Lebensmittel notwendig

Unerwartete Verstärkung – ein Vorwort von Manfred Linz

Beistand ist besonders willkommen, wenn er nicht zu erwarten war. Diese überraschende Stärkung erleben gerade alle, die sich hierzulande für eine zukunftsfähige Landwirtschaft einsetzen und dabei ja allerhand Uneinsicht und Widerstand begegnen. Ihnen, also auch uns, dem Institut für Welternährung, seinen Freunden und Förderern, ist ein tatkräftiger Mitstreiter erstanden. Er kommt aus dem Nachbarland, und kaum jemand hätte in ihm einen Bundesgenossen vermutet. Es ist der Cour des Comptes, der französische Rechnungshof. Er hat im Juni dieses Jahres unter Auswertung der Fachliteratur eine gründliche Bewertung der französischen Bio-Landwirtschaft vorgelegt, Christoph Habermann hat sie ausgewertet und vermittelt in seinem Aufsatz für „Blog Republik“ seine Essenz. Der Rechnungshof macht sich zum Anwalt der Bio-Landwirtschaft und fordert nicht etwa ihre geringere sondern ihre stärkere staatliche Förderung. Gleichzeitig erfährt der deutsche Leser, dass die französische Unzufriedenheit mit dem erzielten Grad der naturgemäßen Landwirtschaft schon heute auf einem deutlich kräftigeren Sockel biologischer Agrikultur Landwirtschaft ruht als bei uns und damit zu einem Animateur vergleichbaren staatlichen Handels in unserem Land werden kann. Exempla trahunt, Beispiele reißen mit.

Französischer Rechnungshof: Mehr Unterstützung für Bio-Landwirtschaft und Bio-Lebensmittel notwendig“

von Christoph Habermann

I.

Der französische Rechnungshof hat am 30. Juni 2022 einen 353 Seiten starken Bericht veröffentlicht, in dem er untersucht, wie und mit welchem Erfolg die Bio-Landwirtschaft in Frankreich in den vergangenen zehn Jahren gefördert worden ist. Allein die Tatsache, dass der französische Rechnungshof sich so ausführlich mit der Bio-Landwirtschaft beschäftigt, ist bemerkenswert. Noch bemerkenswerter ist der Inhalt dieses Berichts. Er beschränkt sich nicht auf Zahlen und Wirtschaftlichkeits-Überlegungen oder fordert gar die Streichung von Fördergeldern, wie man das von Rechnungshof-Berichten gewohnt ist. Nein, der Bericht formuliert – gestützt auf eine Auswertung der wissenschaftlichen Fachliteratur zur Bio-Landwirtschaft – ein starkes Plädoyer für mehr Bio und für mehr staatliche Unterstützung von Bio.

Der Bericht untersucht, ob Politik und Verwaltung in Frankreich die biologische Landwirtschaft seit 2010 ausreichend unterstützt haben, um die beiden wichtigsten politisch definierten Ziele zu erreichen: 15 Prozent der landwirtschaftlich genutzten Flächen sollen biologisch bewirtschaftet werden und 20 Prozent der Verpflegung in öffentlichen Einrichtungen wie Kindertagesstätten, Schulen oder Krankenhäusern sollen Bio sein. Beide Ziele wurde nicht erreicht.

Zusammenfassend kommt er zu folgendem kritischen Ergebnis:

„Allgemein verfolgt die vom Landwirtschafts-Ministerium betriebene Politik zur Unterstützung der biologischen Landwirtschaft anspruchsvolle Ziele ohne ausreichende Mittel zur Verfügung zu stellen. Gewiss wurden beachtliche Ergebnisse erzielt, diese Politik hätte aber stärker treibende Kraft bei der Entwicklung der biologischen Landwirtschaft sein können, die sie tatsächlich aber im günstigen Fall begleitet und manchmal auch gebremst hat.“ (Seite 23)

Die wichtigsten Zahlen zur Entwicklung der biologischen Landwirtschaft in Frankreich in den vergangenen Jahren:

„Die biologische Landwirtschaft, die in Frankreich lange ein Nischendasein führte, hat sich im Lauf des vergangenen Jahrzehnts zwischen 2010 und 2021, vor allem seit 2015, stark verbreitet, und Frankreich liegt mit einer Bio-Fläche von mehr als 2,8 Millionen Hektar im Jahr 2021 in Europa auf Platz eins.

Zwischen 2010 und 2021 ist der Anteil der Bio-Betriebe von 4 Prozent auf 13,4 Prozent gewachsen, die 10,3 Prozent der in Frankreich landwirtschaftlich genutzten Fläche bewirtschaften…“ (Seite 12/13)

In Deutschland waren im Jahr 2021 13, 8 Prozent aller landwirtschaftlichen Betriebe Bio-Höfe, die knapp 1,8 Millionen Hektar bewirtschaften, was 10,8 Prozent der landwirtschaftlich genutzten Fläche in Deutschland entspricht.

II.

Die Aussagen im Bericht des Rechnungshofs zu den wissenschaftlich gesicherten Vorteilen der Bio-Landwirtschaft gegenüber der konventionellen Landwirtschaft sind auch für die gesellschaftliche und politische Diskussion in Deutschland besonders interessant und wichtig:

„Der Rechnungshof macht eine Bestandsaufnahme der wissenschaftlichen Literatur zu den Vorteilen der Bio-Landwirtschaft. Das bezieht sich sowohl auf die Verringerung negativer Externalitäten anderer Formen der landwirtschaftlichen Praxis als auch auf die eigenen positiven Externalitäten, weil diese Form der landwirtschaftlichen Praxis chemisch-synthetische  Pestizide und Gentechnik verbietet und den Einsatz von Antibiotika in der Viehzucht stark beschränkt.“ (Seite 16)

Der Rechnungshof fasst seine  grundlegenden Feststellungen so zusammen:

„Auch wenn Landwirte insgesamt gesünder sind als der Durchschnitt der französischen Bevölkerung deuten wissenschaftliche Studien auf einen Zusammenhang zwischen der Belastung durch Pestizide und mehreren Krankheiten hin (Krebserkrankungen, Parkinson,etc.) die als Berufskrankheiten von Landwirten anerkannt werden können, wenn der Zusammenhang  nachgewiesen ist. Andere Studien belegen eine substantielle Verringerung mehrerer Krankheiten (u.a. Krebserkrankungen und Diabetes) bei Verbrauchern, die regelmässig Bio-Lebensmittel essen.

Der günstige Einfluss der Bio-Landwirtschaft auf die Umwelt ist ebenfalls gut belegt. Während die Wasserverschmutzung, die wesentlich auf Nitrate, Phosphor und Pflanzenschutzmittel aus der Landwirtschaft zurückzuführen ist, weiter zunimmt, erlaubt die Bio-Landwirtschaft sie zu verringern. Deshalb finanzieren die Wasseragenturen (es gibt in Frankreich sechs Wasseragenturen, die sich in Zusammenarbeit mit den Gemeinden und der Industrie um die Sicherung und Aufbereitung von Trinkwasser kümmern C.H.) immer stärker die Konversion zu biologisch bewirtschafteten Flächen: Vorsorge erweist sich als deutlich kostengünstiger als die Dekontaminierung von Trinkwasser. Trinkwasser-Unternehmen wie das von Paris haben begonnen, die Bio-Landwirtschaft im Bereich ihrer Wassergewinnung zu finanzieren.

Die Bio-Landwirtschaft trägt auch zu einer besseren Bodenfruchtbarkeit bei, dank eines höheren Anteils an organischem Material und weil die Böden mehr Wasser aufnehmen und mehr Kohlenstoff speichern können. Diese landwirtschaftliche Praxis hat aber auch bestimmte Grenzen, z.B. der Einsatz von Kupfer, der oft unvermeidlich ist wegen der fehlenden Möglichkeit synthetische Fungizide einzusetzen und weil wirksame alternative Methoden fehlen, oder die tiefe Bearbeitung der Böden, fehlende Boden-Bedeckung oder die immer mögliche und in der Bio-Landwirtschaft notwendige Fruchtfolge.

Die Bio-Landwirtschaft hat positiven Einfluss auf die Luftqualität, die durch die Ammoniak-Emissionen des in der konventionellen Landwirtschaft genutzten Stickstoffdüngers belastet wird.

Die Bio-Landwirtschaft trägt nicht zuletzt zum Erhalt der Biodiversität bei. Auf biologisch bewirtschafteten Flächen gibt es durchschnittlich 30 Prozent mehr Arten, deren Populationen 50 Prozent grösser sind, während die die Zahl der Feldvögel und der bestäubenden Insekten in Europa seit 1990 um mehr als 30 Prozent zurückgegangen ist.

Diese Form der Landwirtschaft verursacht weniger klimarelevante Emissionen, vor allem Lachgas, weil keine stickstoffhaltigen Dünger eingesetzt werden.Das gilt pro Hektar und bezogen auf die Betriebe, die autonom sein sollen.

Die Verbesserung des Tierwohls durch die Bio-Landwirtschaft ergibt sich aus ihrem Pflichtenheft, das die Käfighaltung und das Anbinden von Tieren verbietet , die Zahl der Tiere begrenzt, stärker natürliches Futter vorschreibt (Futter, Muttermilch) und den Zugang zum Freiland garantiert.

Schliesslich hat die Bio-Landwirtschaft positiven Einfluss auf die Beschäftigungssituation im ländlichen Raum, weil sie für die jungen Landwirtinnen und Landwirte attraktiv ist: ein Drittel der Niederlassungen sind Bio-Betriebe. Weil es arbeitsintensiver ist, schafft dieses Produktionssystem Arbeitsplätze in der Landwirtschaft und in der Bio-Lebensmittelherstellung.

Insgesamt anerkennt die wissenschaftliche Literatur die gesundheitlichen und umweltbezogenen Vorteile der Bio-Landwirtschaft, auch wenn zusätzliche Studien notwendig bleiben, die besonders den Einfluss der Bio-Landwirtschaft auf Gesundheit und Klima betreffen. Das ist auch das Ergebnis einer Studie des Itab-Inrae (staatliche französische Forschungs-Einrichtung zur Bio-Landwirtschaft C.H.) aus dem Jahr 2016 zur Bezifferung ihrer Externalitäten, die regelmässig aktualisiert werden sollte.“ (Seite 16-18)

III.

Das sind klare Aussagen, die sich auf den aktuellen Stand von Wissenschaft und Forschung stützen. Der Rechnungshof setzt sich in seinem Bericht detailliert mit der Frage auseinander, warum Frankreich seine seit 2010 politisch proklamierten Ziele nicht erreicht hat. Aus dieser Analyse leitet er 12 konkrete Empfehlungen ab, die er unter drei grosse Überschriften stellt:

  1. Die Bürgerinnen und die Konsumenten sollen über den Einfluss der Bio-Landwirtschaft und der Herstellung biologischer Lebensmittel auf Umwelt und Gesundheit aufgeklärt werden.
  2. Die öffentliche Unterstützung der gesamten Landwirtschaft soll zugunsten des Bio-Sektors neu ausgerichtet werden.
  3. Die Wertschöpfung in der Bio-Branche soll stärker und besser als bisher unterstützt werden.

Die Empfehlungen lassen sich in ihrer Grundrichtung umstandslos auf die deutschen Verhältnisse übertragen. Das gilt zum Beispiel für die Anerkennung aller Vorteile der Bio-Landwirtschaft bei der Berechnungsmethode für die künftige Umwelt-Kennzeichnung von Lebensmitteln. Das gilt auch für den Vorschlag, die öffentliche Statistik so zu korrigieren, dass das Erreichen von Zielen in der Bio-Landwirtschaft messbar wird und die unterschiedlichen Formen der landwirtschaftlichen Praxis vergleichbar werden.

Besonders wichtig, auch für die deutschen Verhältnisse, sind aus meiner Sicht zwei Empfehlungen, die in der öffentlichen Diskussion über Bio-Landwirtschaft und Bio-Lebensmittel bisher zu selten eine Rolle spielen.

Der Rechnungshof fordert, die Mittel zur Unterstützung von Forschung und Innovation in der Bio-Landwirtschaft deutlich zu erhöhen und dabei auch die möglichst schnelle Verbreitung und Anwendung neuer wissenschaftlicher Erkenntnisse einzubeziehen.

„Obwohl Forschung und Entwicklung einhellig als Schlüsselfaktoren für das Wachstum der Bio-Landwirtschaft anerkannt sind, besteht weiter grosser Bedarf und die bisherigen Projekte sind weder ausreichend koordiniert noch finanziert. Auch die Angebote für Ausbildung und Betreuung sollten verstärkt werden.“ (Seite 152)

„… scheint es wünschenswert, Forschung und Entwicklung im Bio-Bereich stärker zu unterstützen, dafür mehr Mittel zur Verfügung zu stellen und die Arbeiten stärker aufeinander abzustimmen, um den Erwartungen der Fachleute, vor allem der Landwirte, besser zu entsprechen.“ (Seite 163)

Auch in Deutschland ist das dringend notwendig. Trotz gewisser Fortschritte in den vergangenen Jahren steht nur ein ganz kleiner Teil der öffentlichen Gelder für Forschung und Entwicklung in der Landwirtschaft für Projekte der Bio-Landwirtschaft zur Verfügung. Das steht in keinem vernünftigen Verhältnis zur deutlich gewachsenen Bedeutung dieser Form der Landwirtschaft. Wenn Deutschland das Bio-Ziel von 25 Prozent im Jahr 2030 erreichen will, das die Europäische Union in ihrer „Farm to Fork“-Strategie beschlossen hat, dann müssen so schnell wie möglich mindestens 25 Prozent der Ausgaben für landwirtschaftliche Forschung und Entwicklung in Projekte der Bio-Landwirtschaft fliessen: von der Züchtung ökologischen Saatguts über die umweltverträgliche Steigerung von Erträgen bis hin zur Verbesserung der Bodenqualität. Hier bleibt viel zu tun, damit Erfahrungswissen zusammen mit neuen wissenschaftlichen Erkenntnisse eine landwirtschaftliche Praxis möglich machen, die unsere natürlichen Lebensgrundlagen bewahrt statt sie zunehmend zu gefährden und zu zerstören. Das gilt erst recht, wenn die Bundesregierung bis 2030 den Anteil der Bio-Landwirtschaft in Deutschland auf 30 Prozent erhöhen will, wie das im Koalitionsvertrag vereinbart ist.

Noch grundsätzlicher ist eine weitere Empfehlung des Rechnungshofs. Er sieht in der Bio-Landwirtschaft einen Hebel, die Autonomie der Nahrungsmittelversorgung zu stärken, und setzt sich unter Hinweis auf wissenschaftliche Studien mit dem zentralen Einwand gegen diese Position auseinander:

„Die geringeren Erträge der Bio-Landwirtschaft werden oft als ein Hindernis für die Autonomie der Nahrungsmittelversorgung Frankreichs dargestellt. Allerdings bewegen sich die Erträge und die Produktivität der konventionellen Landwirtschaft nach unten, während die der Bio-Landwirtschaft Potential für Verbesserungen bietet, das von Investitionen in Forschung und Entwicklung abhängt.

Durch mehr pflanzliche Proteine in der Ernährung anstatt tierischer Proteine, führt das Bio-Modell übrigens auch dazu, dass der Teil der landwirtschaftlichen Fläche abnimmt, der für Futtermittel und die Viehzucht genutzt wird. Es gibt also eine Antwort auf die Bedürfnisse, die durch die wachsende Erdbevölkerung entstehen und trägt dazu bei, die Ausweitung landwirtschaftlich genutzter Flächen zu Lasten natürlicher Räume zu vermeiden.

Nach einem von Forschern des „Nationalen Forschungsinstituts für Landwirtschaft“ (Inrae) erarbeiteten Szenarios könnte eine Veränderung der Ernährungsgewohnheiten hin zu mehr pflanzlichen Proteinen und weniger Verschwendung von Lebensmitteln trotz geringerer Erträg dazu führen, dass die für die Bio-Landwirtschaft genutzten Fläche im Vergleich zur konventionellen Nutzung um 18 Prozent geringer sein könnte.

Das „Institut für nachhaltige Entwicklung und internationale Beziehungen“ (Iddri) hat ein Modell zur europäischen Autonomie von Landwirtschaft und Ernährung bis 2050 entwickelt. Die Untersuchung weist nach, dass das europäische Landwirtschafts- und Ernährungsmodell nicht nachhaltig ist, vor allem durch den hohen Anteil tierischer Proteine in der Ernährung, die 60 Prozent über den Empfehlungen der Weltgesundheits

-organisation liegen und dazu führen, dass mehr als 60 Prozent des Getreides und der Ölsaaten in Europa (von denen ein grosser Teil als Soja importiert wird) als Tierfutter dient und nicht der menschlichen Ernährung. Dazu kommen die Auswirkungen der Intensiv-Landwirtschaft auf Gesundheit und Umwelt. In einem Szenario, das von der Verallgemeinerung agrar-ökologischer Formen der Bewirtschaftung ausgeht, kommt das Iddri zu dem Ergebnis, dass die Ernährungs-Autonomie für Europa mit seinen 500 Millionen Verbrauchern gesichert werden kann, wenn die landwirtschaftliche Produktion zurückgeht (um 40 Prozent in der Viehzucht und um 30 Prozent bei Pflanzen) verbunden mit einer Umstellung der Ernährung, der Beendigung des Imports von Soja unter Beibehaltung von Exportüberschüssen beim Getreide.

Angesichts der Erderwärmung muss die Resilienz der Bio-Betriebe für die künftige Entwicklung berücksichtigt werden, sowohl für die Höhe der Produktion als auch für die öffentlichen Finanzen angesichts der Risiken, die sich aus den Klimaveränderungen ergeben.

Dieser Ausblick führt zu dem Schluss, die Autonomie von Landwirtschaft und Ernährungssystem auf der Ebene der landwirtschaftlichen Betriebe und Regionen, auf nationaler und europäischer Ebene zu einem Ziel der Landwirtschaftspolitik zu machen. Das sollte auf der Grundlage eines Ansatzes geschehen, der die Produktionssysteme zusammen und zukunftsorientiert in den Blick nimmt. Die Autonomie des Ernährungssystems hat mit dem Konflikt in der Ukraine zusätzlich an Bedeutung gewonnen.“ (Seite 171/172)

IV.

Der Bericht des französischen Rechnungshofs über die vielfältigen Vorteile der Bio-Landwirtschaft ist ein wichtiges Dokument, das die Position der Bio-Landwirtschaft in der politischen und gesellschaftlichen Debatte stärkt.

Der französische Rechnungshof ist eine unabhängige Einrichtung, die nicht im Verdacht steht, aus sachfremden Gründen Position gegen die konventionelle Landwirtschaft zu beziehen. Höchst ungewöhnlich ist, dass der Rechnungshof von Politik und Verwaltung in Frankreich ausdrücklich mehr finanzielle Unterstützung für die Bio-Landwirtschaft und für  Bio-Lebensmittel fordert. Zu dieser Empfehlung kommt er auch deshalb, weil er die externen Kosten der konventionellen Landwirtschaft berücksichtigt, die bei den meisten Debatten noch immer aussen vor bleiben.

Bekanntermassen kommt es gerade bei sensiblen gesellschaftspolitischen Debatten, die einzelwirtschaftliche Interessen in Frage stellen, nicht nur darauf an, welche Argumente vorgetragen werden, sondern auch darauf, wer diese Argumente vorträgt. Es ist ein Unterschied, ob eine im Umweltbereich arbeitende Nicht-Regierungs-Organisation mehr Unterstützung für die Bio-Landwirtschaft fordert oder ob das ein Rechnungshof tut.

Der Bericht des französischen Rechnungshofs kann und sollte dazu beitragen, die Diskussion über die Zukunft der Landwirtschaft und die Zukunft des Ernährungssystems insgesamt zu versachlichen und die Orientierung an den Interessen eines agrar-industriellen Komplexes zu überwinden, dessen Einfluss nach wie vor gross ist.

Wenn ein Rechnungshof so klar und mit so überzeugenden Argumenten für die stärkere öffentliche Förderung von Bio-Landwirtschaft und Bio-Lebensmitteln eintritt, dann sollte das auch Organisationen und einzelnen zu denken geben, die bisher aus ganz unterschiedlichen Gründen Berührungsängste mit diesem Thema haben.

Alle, die sich zum Teil schon seit Jahrzehnten für grundlegende Veränderungen von Landwirtschaft und Ernährung einsetzen, haben im französischen Rechnungshof einen ebenso überraschenden wie überzeugenden neuen Mitstreiter.

Über den Autor:
Christoph Habermann hat nach Abschluss des Studiums der Sozialwissenschaften an der Universität Konstanz mehr als dreissig Jahre in der Ministerialverwaltung gearbeitet. Von 1999 bis 2004 war er stellvertretender Chef des Bundespräsidialamts bei Bundespräsident Johannes Rau. Von 2004 bis 2011 Staatssekretär in Sachsen und in Rheinland-Pfalz.

Der Artikel wurde zuerst am 10. August 2022 bei „Blog der Republik“ veröffentlicht.

IWEFranzösischer Rechnungshof: Mehr Unterstützung für Bio-Landwirtschaft und Bio-Lebensmittel notwendig
Arte-Programm: Moderne Landwirtschaft – Zwischen Agrarindustrie und Nachhaltigkeit

Arte-Programm: Moderne Landwirtschaft – Zwischen Agrarindustrie und Nachhaltigkeit

Filmstill „Genlabor Afrika – Die Geschäfte des Bill Gates“, Arte

In seinem Krieg setzt Putin nicht nur Panzer, sondern auch Hunger als Waffe ein. Millionen Tonnen von Getreide lagern derzeit in der Ukraine, eine der größten Kornkammern der Welt. Darunter leiden vor allem Länder im globalen Süden, die vom ukrainischen Korn abhängig sind. Was können wir den Verwerfungen entgegensetzen, die unsere Nahrungssicherheit gefährden?

Und wie schaffen wir eine Wende hin zu fairem und nachhaltigem Umgang mit öden, Pflanzen und Tieren? Die Folgen der konventionellen Landwirtschaft zeigen sich bereits: Insektensterben, Antibiotikaresistenzen, zerstörte Böden durch Monokulturen. Untersuchungen belegen, dass der vermehrte Einsatz von Pestiziden nicht nur das Gleichgewicht der Natur, sondern auch die Gesundheit des Menschen beeinträchtigt.

Filmstill „Die Brotrebellen“, Arte

Arte widmet dem Thema „Moderne Landwirtschaft – Zwischen Agrarindustrie und Nachhaltigkeit“ einen Schwerpunkt. Zum Programm gehören unter anderem der Dokumentarfilm „Neue Felder beackern“ über Projekte alternativer Landwirtschaft, die sich an Nachhaltigkeit und familiärem Unternehmertum orientieren sowie der Dokumentarfilm „Genlabor Afrika – Die Geschäfte des Bill Gates“ über die Kehrseite des Philanthrokapitalismus à la Bill Gates. Die fünfteilige Dokureihe „Die Brotrebellen“ portraitiert fünf Vorkämpfer:innen, die Innovation, Nachhaltigkeit, Tradition und Leidenschaft in die Backstube bringen.

Die Filme und Serien des Arte-Schwerpunkts „Moderne Landwirtschaft – Zwischen Agrarindustrie und Nachhaltigkeit“ finden Sie hier.

Titelbild Beitrag: Filmstill „Neue Felder beackern“, Arte

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Dokumentation Werkstattgespräch zur Zukunft der Ernährung: Die Rolle der Gesundheit

Dokumentation Werkstattgespräch zur Zukunft der Ernährung: Die Rolle der Gesundheit

Eine Ernährungsstrategie für Deutschland – die Rolle der Gesundheit. Ein Überblick.

MS. Marie-Luise Dörffel

Auf Einladung von Slow Food Deutschland e. V. und dem Institut für Welternährung fand am 8. Juni 2022 in der Landesvertretung Baden-Württemberg ein weiteres Berliner Werkstattgespräch zur Zukunft der Ernährung statt. Im Fokus stand die Frage nach einer Ernährungsstrategie für Deutschland unter dem Aspekt der Gesundheit.

Welche Eckpunkte diese Strategie haben sollte und wie sie zügig umgesetzt werden könnte, versuchten Dr. Nina Wolff, Vorsitzende von Slow Food Deutschland, Dr. Wilfried Bommert, Vorstand des Instituts für Welternährung und Autor des Buches „Stille Killer“, Dr. Doris Heberle, Leiterin der Unterabteilung Ernährung im Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft BMEL sowie Niklas Oppenrieder, Mitgründer und Global Director Strategy & Development von Physicians Association for Nutrition PAN, gemeinsam mit dem live und virtuell anwesenden Publikum zu klären. Moderiert wurde die Diskussion von Simone Zeil.

Warum eine Ernährungsstrategie zwingend ist, zeigte Wilfried Bommert auf. Nach seinen Recherchen leidet Deutschland unter wachsender Fehlernährung, besonders dramatisch sichtbar in der Zunahme von übergewichtigen Kindern und Erwachsenen. Die Ursache liegt für Bommert in der Ernährungsindustrie, die seit den 1990 Jahren Massenproduktion und Gewinnmaximierung kultiviert und dies durch billige Zutaten und hochprozessierte, zucker- und fettreiche Syntheseprodukte erreicht, die als Nahrungsmittel in die Märkte gedrückt werden. Die Folgen dieser profitorientierten Industriestrategie kommen den Betroffenen und die Gesellschaft teuer zu stehen, heute schon sind es jährlich 29 Mrd. Euro direkte Kosten durch Krankheit, Arbeitsausfall etc. Tendenz deutlich steigend.

Um gegenzusteuern, so Niklas Oppenrieder sei gesunde Ernährung die beste Prävention und eine Ernährungsstrategie daher gleichzeitig eine Gesundheitsstrategie. Als Vertreter von Physicians Association for Nutrition PAN fordert er daher unter anderem, Krankenhaus- und Gemeinschaftsverpflegungen zu optimieren und dabei Steuerungsmöglichkeiten über eine angepasste Mehrwertsteuer zu nutzen.

Die Bundesregierung wird, so Dr. Doris Heberle, bis 2023 eine Ernährungsstrategie formulieren, deren Kernziel die Förderung einer gesunderhaltenden und nachhaltigen Ernährung sein soll. In einem mehrjährigen, dynamischen Prozess mit vielen verschiedenen Stakeholdern sollen bis 2050 die Weichen für eine gesunde ökologische Ernährung gestellt werden.

Dr. Nina Wolff forderte vor allem schnell zu handeln, denn das jetzige Ernährungssystem belaste zunehmend Umwelt und das soziale Miteinander. Sie wies darauf hin, dass Ernährungskultur und Vielfalt essentiell seien. Und, dass ohne Vielfalt und entsprechende Produktions- und Ernährungsumgebungen auf Sicht kein Leben möglich sei.

In der anschließenden lebhaften Diskussion mit dem Publikum wurde deutlich, dass das eine Ernährung, bei der Gesundheit und nachhaltige, pflanzenbasierte Kost im Vordergrund steht, einen komplexen Veränderungsprozess voraussetzt, bei dem viele Akteure einbezogen werden müssen. Es wurde klar, dass politisch Resort-übergreifend gedacht und gehandelt und alle Ebenen bis hin zu den Kommunen integriert werden müssen. Ausbildung und Bildung sind in diesem Prozess grundlegend, verbunden damit auch eine neue Wertschätzung der Arbeit von Köchinnen, Köchen und des Lebensmittelhandwerks.

Unterstrichen wurde auch, dass durch die aktuellen Lebens- und Arbeitssituationen von Familien vielfach keine Zeit mehr für die Vermittlung von guter Ernährung und eigenem Kochen bleibt. In diesem Zusammenhang müsse die Familienarbeit eine neue Wertschätzung erfahren und über Kita- und Schulverpflegung entsprechend positive Ernährungsumgebungen und Esserlebnisse geschaffen werden. Diese Veränderung der Ernährungslage und des Ernährungsbewusstseins wird zukünftig mehr Geld kosten. Entscheidend für die Umsetzung einer gesunden Ernährungsstrategien, so ein Fazit des Berliner Werkstattgesprächs zur Zukunft der Ernährung sei jedoch, statt der Kosten die Gewinne auf allen Ebenen in den Vordergrund zu stellen und zu kommunizieren, um politische Stopp-Schilder von vornherein zu vermeiden.

Das Positionspapier vom Bündnis #ErnährungswendeAnpacken können Sie hier herunterladen.

IWEDokumentation Werkstattgespräch zur Zukunft der Ernährung: Die Rolle der Gesundheit
Podcast „Plan C“: Krieg in der Ukraine – Wer bekommt jetzt noch was zu essen?

Podcast „Plan C“: Krieg in der Ukraine – Wer bekommt jetzt noch was zu essen?

IWE-Vorstandssprecher Wilfried Bommert war zu Gast beim Podcast „Plan C – weil Plan B hat eh nicht funktioniert“ von Severin von Hoensbroech und Valentin Thurn zum Thema „Krieg in der Ukraine – Wer bekommt jetzt noch was zu essen?“.

Die Folge könnt ihr hier nachhören:

IWEPodcast „Plan C“: Krieg in der Ukraine – Wer bekommt jetzt noch was zu essen?
Buchtipp: „Stille Killer. Wie Big Food unsere Gesundheit gefährdet“

Buchtipp: „Stille Killer. Wie Big Food unsere Gesundheit gefährdet“

Suchtstoffe aus dem Supermarkt: Wilfried Bommert und Christina Sartori liefern mit „Stille Killer. Wie Big Food unsere Gesundheit gefährdet“ die schonungslose Analyse einer weltweiten Epidemie

Das mächtigste Drogenkartell des 21. Jahrhunderts verkauft Pizzen, Schokoriegel, Toastbrot, Würstchen und bunte Brause. Doch wo die Verpackung oft Landidylle oder Mamas gute Küche suggeriert, wartet ein Cocktail aus Wirkstoffen, der vor allem auf eines zielt: Sucht. Der angeblich schnelle Genuss für kleines Geld ist in Wahrheit „Nahrung“, die nicht nährt, sondern abhängig und dick macht. Investoren hingegen beschert sie fette Profite. Wilfried Bommert und Christina Sartori liefern in ihrem neuen Buch eine schonungslose Analyse: „Wer das System Adipositas verstehen will, muss Suchterkrankungen studieren. Muss wissen, dass Sucht nicht vom Himmel fällt, sondern von Interessen getrieben ist, von Profitinteressen.“ 

Wissenschaftlich fundiert liefert das Autorenduo Fakten zu dieser weltweiten Epidemie. In Deutschland steigt der Verkauf von Fertiggerichten stetig und der Trend geht zu XXL-Formaten. Während „Big Food“ immer mächtiger wird, drohen die Kosten, die durch die Folgen von Fettleibigkeit verursacht werden, die Gesundheitskassen zu sprengen. Doch alle Warnungen, dass die um sich greifende Fettsucht die Gesundheitssysteme ruinieren werde und ganze Volkswirtschaften in den Abgrund reißen könnte, wie sie von der Weltgesundheitsorganisation und der Weltbank veröffentlicht wurden, verhallen im Nirgendwo.

Die zehn größten Lebensmittelkonzerne diktieren die Preise für Mais, Bohnen, Weizen etc. Die Folgen sind Monokulturen, die mit Pestiziden auf Höchsterträge getrimmt sind. Bommert und Sartori gehen außerdem darauf ein, warum Diäten dick machen und berichten über das „Netz der Food-Lobby“ in Europa. Dass es möglich ist, auch Fast-Food-Kartelle zu Zugeständnissen zu bewegen – wenn auch meist nur per Gericht –, auch das wird in diesem umfassend informativen Buch belegt.

Über die Autor:innen

Wilfried Bommert studierte Agrarwissenschaften und ist u. a. Journalist für den WDR sowie Vorstandssprecher des Instituts für Welternährung. Als Leiter der ersten Umweltredaktion im WDR-Hörfunk beschäftigt er sich seit vielen Jahren mit den Themen Gentechnik, Klimawandel und Welternährung.

Christina Sartori studierte Biologie und Wissenschaftsjournalismus. Seit mehr als 20 Jahren berichtet sie über die Themengebiete Medizin und Gesundheit, mehrere Jahre als Redakteurin in der WDR-Wissenschaftsredaktion, heute als Autorin für WDR, Deutschlandfunk, Deutschlandfunk Nova und ARD.

Stille Killer. Wie Big Food unsere Gesundheit gefährdet“ von Wilfried Bommert und Christina Sartori, erschienen im Hirzel Verlag.

IWEBuchtipp: „Stille Killer. Wie Big Food unsere Gesundheit gefährdet“
Der Irrsinn der Verhältnisse: Buchkritik zu „Die Neuerfindung des Unternehmertums“

Der Irrsinn der Verhältnisse: Buchkritik zu „Die Neuerfindung des Unternehmertums“

„Die Neuerfindung des Unternehmertums: Solidarische Ökonomie, radikale Demokratie und kulturelle Evolution“ von Reinhard Pfriem

Eine Buchkritik von Wilfried Bommert

 „Die Frage ist, ob wir da noch einmal rauskommen.“ Reinhard Pfriem, der Professor Emeritus für Unternehmensführung und betriebliche Umweltpolitik an der Carl von Ossietzky Universität Oldenburg, ist sich am Ende seines Opus Magnum nicht mehr sicher. Kriegen wir die Kurve noch einmal hin? Oder steuern wir sehenden Auges auf das Ende unserer Zivilisation zu, auf die thermische Vernichtung unserer Welt?

Dabei sollten wir wissen, so Pfriem, wo das rettende Ufer liegt. In einer solidarischen Gesellschaft, in einer solidarischen Ökonomie, in einer Transformation des Unternehmertums. Weg von der Idee, dass die Märkte die Misere schon wieder bereinigen werden, die sie angerichtet haben, weg von dem alles beherrschenden Prinzip der Gewinnmaximierung.

Für Reinhard Pfriem müssen die Unternehmer:innen der Zukunft weder Schlips noch Kragen tragen, dafür aber ein gerütteltes Maß an Verantwortung gegenüber der Welt, in der sie wirtschaften. Ist dies im Kapitalismus machbar? Oder wird hier Unmögliches gefordert? Ohne die Hoffnung, dass die Grenzen des Systems zu überwinden sind, geht es für Pfriem nicht. Auch nicht ohne radikale Demokratie, in der Teilhabe wichtiger ist als Repräsentation, in der die Ökonomie wieder das Pferd wird, dass den Karren zieht und nicht der Kutscher, der den Weg bestimmt. Dazu muss sich auch die Wissenschaft anders aufstellen. Weg von einer Wissenschaft, die ohne Ansehen der gesellschaftlichen Probleme in ihrem Elfenbeinturm forscht, hin zu einer, die die Kräfte des gesellschaftlichen Wandels unterstützt und sich selbst als Möglichkeitswissenschaft versteht.

Utopien? Ja, für Reinhard Pfriem gilt es das Unmögliche zu fordern, damit das Undenkbare abgewendet werden kann. Zum Ausgang seines Werkes bringt er das ins Spiel, was dringend zu tun und deshalb zu fordern ist. Er benennt die Bausteine einer besseren Zukunft. Wenn es uns gelingt, die Klimakatastrophe und damit die thermische Vernichtung unserer Zivilisation auszubremsen, indem wir unsere Mobilität und unsere Energiesysteme solar organisieren, unseren Fleischkonsum drosseln, eine Ernährungswende mit einer ökologischen Landbewirtschaftung auf den Weg bringen, wäre ein Anfang gemacht.

Aber damit ist die Welt für den politischen Ökonomen Reinhard Pfriem noch keineswegs auf zukunftsfähigen Kurs. Ohne eine solidarische Weltpolitik, die sich Vertreibung und Flucht ernsthaft annimmt, ohne eine Friedenspolitik, die vor Verteidigungspolitik rangiert, ohne eine Wirtschaftspolitik, die globale Gerechtigkeit vor nationale Bereicherung stellt und ohne ein Europa, dass sich der Solidarität verschreibt, anstatt die Schwächeren auszugrenzen, ohne all dies wird es nicht getan sein. Es ist eine Frage der Vernunft, der Selbsterhaltung, des wohlverstanden Eigennutzes.

Wenn Reinhard Pfriem sein letztes Kapitel mit dem Zitat einleitet „Immer mehr Affen bezweifeln, dass der Mensch von ihnen abstammt“, dann leuchtet noch einmal der Irrsinn der Verhältnisse auf, in die wir uns in den letzten 100 Jahren gebracht haben und auch ein Hauch von Resignation, dass die Affen am Ende recht haben könnten. Und „die Frage ist, ob wir da noch einmal rauskommen“.

Reinhard Pfriem führt uns in seinem Buch mit klarem politischen Blick vor Augen, wie weit wir vom enkeltauglichen Weg abgekommen sind. Aber er zeigt uns auch die politischen Möglichkeiten auf, die wir haben, um unser Schicksal doch noch zu wenden. Ein engagiertes, lesenswertes und tiefgründiges Werk, empfehlenswert.
 
Pfriem, R. (2021) Die Neuerfindung des Unternehmertums: Solidarische Ökonomie, radikale Demokratie und kulturelle Evolution, Theorie der Unternehmung, Bd. 73, Metropolis Verlag. 

IWEDer Irrsinn der Verhältnisse: Buchkritik zu „Die Neuerfindung des Unternehmertums“