PIK-Studie: Übergewichtig, Unterernährt, Vergeudet

PIK-Studie: Übergewichtig, Unterernährt, Vergeudet

Credit: Jan von Holleben (2019), CC BY-NC-ND

Eine neue Studie des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung (PIK) unterstreicht die zwingende Notwendigkeit von industrieller Landwirtschaft ebenso Abschied zu nehmen wie von den Ernährungsgewohnheiten der Industrieländer.

Während die einen mit Pizza Hawaii, Eiscreme und Cola oder Limo stetig weiter zunehmen, leben die anderen nur von einer Handvoll Reis und Bohnen und hungern. Diese Kluft wird sich voraussichtlich vergrößern, und der Druck auf die Umwelt wird zunehmen. Zu diesem Ergebnis kommt eine neue Studie des PIK. Die Ergebnisse alarmieren: Bis 2050 könnten 45 Prozent der Weltbevölkerung übergewichtig und davon 16 Prozent fettleibig sein – im Vergleich zu etwa 29 und 9 Prozent im Jahr 2010. Gleichzeitig würden weiterhin 500 Millionen Menschen an Untergewicht leiden und das Ökosystem weit über seine Grenzen belastet sein.

Der Anstieg von Übergewicht und Fettleibigkeit ist u.a. auf den Trend zu unausgewogenen, hochverarbeiteten Speisen mit viel Zucker und Fett zurückzuführen, während Vollkornprodukte und Hülsenfrüchte aus den Mahlzeiten verdrängt werden. Zunehmende Verschwendung von Nahrungsmitteln und der steigende Konsum von Fleisch und Milchprodukten führen dazu, dass die Umweltfolgen des Agrarsystems nicht mehr zu beherrschen sind. Der Schluss der Forscher: „Wir gehen an die Belastungsgrenzen unseres Planeten – und darüber hinaus.“

„Ungesunde Ernährung ist das weltweit größte Gesundheitsrisiko“, erklärt Ko-Autorin Sabine Gabrysch, Leiterin der Forschungsabteilung Klimaresilienz am PIK. „Viele Länder in Asien und Afrika kämpfen derzeit noch mit Unterernährung und den damit verbundenen Gesundheitsproblemen. Gleichzeitig sind sie zunehmend auch mit Übergewicht und in der Folge mit einer steigenden Belastung durch Diabetes, Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Krebs konfrontiert“, so Gabrysch. Die neue Studie biete hier wertvolle Orientierung über den möglichen Entwicklungspfad verschiedener Länder und Regionen. Sie könne auch die dringend benötigte proaktive Politik hin zu einer nachhaltigen und gesunden Ernährung befördern.

Die Studie des PIK können Sie hier lesen.

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Agrarwende konkret – Wie wir die Landnutzung lokal umgestalten

Agrarwende konkret – Wie wir die Landnutzung lokal umgestalten

Kommunen, Städte, Kirchen und öffentliche Institutionen sind häufig Eigentümer*innen von Agrarflächen. Das öffentliche Land bietet eine riesige Chance für eine zukunftsfähige Landnutzung. Dafür muss die lokale Agrarpolitik neu gestaltet werden. Das Handbuch „Agrarwende konkret – Wie wir die Landnutzung lokal umgestalten“ ist für alle geschrieben, die einen konkreten Wandel im Umgang mit öffentlichem Land anstoßen wollen.

Es soll Inspiration bieten, um selbst aktiv zu werden und Wege aufzeigen, die Agrarwende vor Ort einzuleiten. Die gemeinnützige Organisation FINC will damit ihre Erfahrungen teilen, die sie in der Diskussion um die Verpachtung der öffentlichen Agrarflächen der Stadt Greifswald sammeln konnten. Und vor allem will FINC dazu motivieren, die Agrarwende in die eigenen Hände zu nehmen und sich für eine naturverträgliche und faire Verpachtung öffentlicher Agrarflächen einzusetzen.

Lesen Sie hier unser Interview mit dem Autor des Handbuchs und Mitinitiator des Aktionsbündnisses „Unser Land schafft Wandel“ Björn Pasemann.

Das Handbuch „Agrarwende konkret – Wie wir die Landnutzung lokal umgestalten“ können Sie hier als PDF herunterladen.

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Warum die Preise im Supermarkt lügen – Die wirklichen Kosten von Lebensmitteln

Warum die Preise im Supermarkt lügen – Die wirklichen Kosten von Lebensmitteln

Angesichts der Klimakrise, der fortschreitenden Degradierung von Böden und jüngster Nachrichten zu unhaltbaren Zuständen in der Fleischbranche fordert  MISEREOR gemeinsam mit Wissenschaftler*innen und Unternehmer*innen ein neues, integriertes Bilanzierungsverfahren für Unternehmen. Anders als bislang üblich sollten in diese Bilanz entlang der Wertschöpfungskette die Auswirkungen auf die Umwelt mit aufgenommen werden. Ebenso müssen Leistungen zugunsten des ökologischen Gleichgewichts, für Gesundheit und soziale Kosten mit bilanziert sein. 

„Viele Preise im Supermarkt spiegeln nicht die ökologischen und sozialen Folgekosten wider“, erklärt MISEREOR-Geschäftsführer Thomas Antkowiak. „Derzeit bildet der Preis nicht ab, ob Lebensmittel zum Beispiel durch Kinderarbeit hergestellt, unfaire Löhne gezahlt oder unter welchen Umständen die Produkte hergestellt werden.“ Die scheinbar günstigen Preise hätten zur Folge, dass immer mehr Produkte erzeugt werden, die für das Gemeinwohl und die Umwelt schädlich sind. Das Bekanntwerden der Probleme in Schlachthöfen im Zusammenhang mit der Corona-Pandemie sei nur ein Beispiel, das zeige, dass dringender Handlungsbedarf besteht.

„Umgekehrt haben biologisch und fair produzierte Waren, die viel weniger Folgekosten mit sich bringen, einen höheren Preis. Das ist ein Fall von Marktverzerrung, der uns alle letztlich teuer zu stehen kommt“, so Antkowiak. „Wir alle zahlen die Rechnung für diese Art des Wirtschaftens. Vor allem jedoch Menschen, die unter den Folgen des Klimawandels, wie Dürren oder Überschwemmungen leiden oder Bäuerinnen und Bauern weltweit, deren Trinkwasser mit Pestiziden belastet ist. Und: Die künftigen Generationen!“

Die GLS-Bank hat in einer Studie die Erfolgsrechnung von drei Bio-Höfen mit drei konventionellen Betrieben verglichen. Das Besondere: Hier wurden die  sozialen und ökologischen Kosten mit eingerechnet und die Erträge miteinander verglichen. Das Ergebnis: Die konventionelle Produktion verursacht Schäden in Höhe von durchschnittlich über 3.500 Euro pro Hektar und Jahr. Hochgerechnet auf die Zahl der Höfe und genutzten Fläche der derzeit vorherrschenden konventionellen Landwirtschaft in Deutschland entspricht dies Kosten in Höhe von rund 61 Milliarden Euro pro Jahr. Hingegen erzeugt die Bio-Landwirtschaft einen Nettogewinn in Höhe von durchschnittlich 885 Euro pro Hektar und Jahr, weil sie unter anderem die Artenvielfalt sichert, die Bodenfruchtbarkeit erhöht und CO2-Emissionen verringert. 

Ökologisch unbedenkliche Produkte könnten günstiger werden

„Es gilt also, Folgekosten aus der Produktion von Lebensmitteln nach dem Verursacherprinzip zu errechnen und auf deren Preis aufzuschlagen“, erläutert Dr. Tobias Gaugler von der Universität Augsburg: Das bedeutet, dass Lebensmittel, die dem Klima, der Biodiversität und der Gesundheit schaden, aktuell zu billig sind. Ökologisch unbedenkliche Produkte hingegen könnten in einer solchen „fairen“ Bilanz sogar günstiger werden, weil ihre Leistungen vergünstigend wirken wie zum Beispiel der Humusaufbau oder der Schutz der Artenvielfalt. Erst wenn Kostenwahrheit herrscht, ist ein fairer Wettbewerb möglich“, so Gaugler.

„Nur wenn vergleichbare Akteure am Markt mit gleichem Maßstab gemessen werden, erreichen wir hinsichtlich der Preisgestaltung eine gerechtere Basis“, erklärt auch der Gesellschafter der HiPP Gruppe, Stefan Hipp: „Derzeit tragen die Gesellschaft und wenige Unternehmen die Kosten für Schäden, die sie nicht verursacht haben. Über den Ansatz der wirklichen Kostenberechnung („True Cost Accounting„) würden nachhaltiges Wirtschaften und nachhaltige Investitionen gefördert und belohnt.“ 

MISEREOR ist Gesellschafter des Fair Handelshaus Gepa und Mitglied bei der „True Cost Initiative“, zu der auch Unternehmen wie HiPP, der Bio-Teehersteller Lebensbaum und die GLS-Bank gehören. Die Initiative wird koordiniert vom Beratungsunternehmen Soil&More. Gemeinsam fordern die Mitglieder der „True Cost Initiative“, dass die Bilanzierung der wirklichen Kosten künftig nicht nur in der Lebensmittelwirtschaft, sondern in allen Wirtschaftsbereichen verbindlich angewandt werden. Nur so könne eine grundlegende Transformation unseres Wirtschaftssystems zu mehr Nachhaltigkeit und Gerechtigkeit erzielt werden. 

Zum Thema „Die wirklichen Kosten unserer Lebensmittel – Eine zukunftstaugliche Bilanz“ hat MISEREOR aktuell ein Dossier mit Zahlen, Fakten, Meinungen und Hintergründen zum Thema herausgegeben. 
Es steht hier zum Download zur Verfügung.

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Food security in Africa and Covid 19

Food security in Africa and Covid 19

Christoph Kohlmeyer, Bonn, 15th May 2020

1.             Medium- and long-term perspectives

Food insecurity in Africa has a long-term historic dimension that reaches back to at least post-colonial times and subsequently neo-liberal paradigms in the 90ths together with tremendous global market distortions particularly in the agricultural markets and consequently the overall neglect of the agricultural sector by most African governments. In this context, The AU Maputo Declaration 0f 2003 that committed all African Governments to invest by 2008 at least 10% of their budget into the agricultural sector was a important wake up call. As of today, only few African countries have reached that target and even less countries have reached complete food security. The so-called world food crisis of 2007/2008 (which was in reality a global food price crisis) was another alarm call that the African continent has to invest in its food production.

While the in rich countries in the North about 30% of the food produced ends up in the dustbin, in Africa between 30 and 50 per cent of the crops produced are already destroyed in the field or on the way to the final consumer. If post-harvest losses could be controlled, Africa would be self-sufficient in food production. This is where massive investment is required. It is strategic and at the same time the fastest way to generate stable incomes to farmer families, provide jobs for rural youth and help saving foreign exchange of national economies.

What was true in the end of the 20th century, has nowadays become even more relevant: price volatility in the international markets has been significantly increasing over the last 20 years; climate change has started to have significant negative impacts on agricultural production in the continent; regional outbreaks of plant and animal diseases, pests and recently locust attacks have become more frequent and spread wider; and urbanization going along with changing patterns of food consumption generates additional pressure on existing agricultural resources (already today 50 % of all agricultural land in the North is used for meat production)

In the light of the latter, even more investment is required, above all to make agriculture more resilient against the direct and indirect effects of climate change.

2.             Lessons learned from the 2007/2008 global food price crisis

With regard to the actual crisis, three major lessons are to be taken. First, sustainable, cost efficient and resilient food systems are regional and only seldomly respect national borders. Secondly, foods producers need regular and sufficient income including the legal/political security that this is protected from extreme price volatilities. Thirdly, instruments and policies that are put in place to fulfill the right to food for the vulnerable population, need to be timely and should not interfere in the food markets.

Therefore, borders need to be open, to allow trade to freely move agricultural products from surplus areas to deficiency areas (against closed borders “starving your neighbor”). However, policy has to make sure that the major share of the value addition flows into the income of the farming population. Compared to intelligent regional trade, national buffer stocks are expensive to hold and difficult to manage. Buffer stocks are not obsolete (see actual locust crisis in East Africa), but they should be organized on regional level and preferably supplied from regional sources. As for policies to guarantee food security for the vulnerable, instruments like school feeding, cash for labor and voucher systems have been proven to be the most cost efficient with the least distorting impact in the markets.

3.             What is different in Covid 19 – times?

There are two major relevant observations:

First, (and in contradiction to the statement in Point 3 on page 4 of the concept note), the prices for important food crops in the world market have rapidly and significantly dropped to another historical low level. This is particularly true for maize, wheat, palm oil and sugar (the latter not been important for human nutrition), all crops that are also used to produce “bio”-fuels. They follow the rapid decline of prices for fossil energy sources. (The exception is rice due to the fact that the two biggest rice exporting countries in Asia have (as in 2008) closed their borders for export of rice.) In the case of the East African food crisis due to the locust plague, the deterioration of those prices could be – exceptionally – used to quickly acquire sufficient food supplies in the world market for very reasonable costs. However, this should not be an invitation for African governments to reduce again (as in the 80’s and the 90’s) their own efforts in investing in sustainable local agriculture.

Secondly, lock down policies make the implementation of best practice in terms of transfer policies. School feeding becomes impossible when schools are closed, the administration of vouchers and cash-for-work becomes impossible, when public administration is confined. This requires in close cooperation with epidemiologists the development specific intelligent innovative alternatives in order to fulfill the right to food for the vulnerable. As for the lock down of national borders, this will probably in the short term have less negative effects. De facto, most borders can already be considered as technically and even sometimes politically closed. Most likely, existing informal systems and practices are going to persist.

4.             Food security and resilience: some reminders of what really matters

Finally, irrespective of the present crisis, there will be more and perhaps heavier challenges to be mastered while we strive to sustain agricultural production and improve food security in Africa.

Investing in the infrastructure gap and in the abolishment of post-harvest losses remains undebatable.

Today and in the medium term there will be relatively little employment opportunities for the majority of rural youth and women outside the agricultural sector including the production of basic inputs and services for the sector as well as processing and transformation of agricultural products for local, national and regional markets. In addition to that, more than anywhere else in the world, African farmers are price takers including all constraints and disadvantages that this implies. Many farming families still live under more or less precarious subsistence conditions confronted with an increasing economic concentration in all segments upstream and downstream along the value chain.

The AU, RECs, African governments, and in support by the AfDB have to intensify their policy work to protect African farmers from the negative effects of market concentration in global and domestic markets. This requires 1) a regulative framework at the pan African level to protect producers and local economies from capital drain due to globally acting oligo- and monopolies as well as 2)  sound regional integration policies including 3) a conducive and supportive infrastructure up to 4) focused financing tools for young (innovative) entrepreneurs and women entrepreneurs in rural areas. These priorities are directly and indirectly anchored in the High 5s of the Bank and should be maintained and intensified.

Another domain of growing importance is the field of adapted agricultural research to cope with the impact of climate change, develop more sustainable and natural resource friendly agricultural production systems including the potential of indigenous crops and animal species.

Important priorities for the improvement of the institutional side are 1) pro-active land policies that legally secure the access to land, in particular for women, 2) creation of legal frameworks and promotion of agricultural  and rural cooperatives, 3) investment in client-oriented extension systems that closely link research and rural practice, 4) develop curricular at all levels of primary and higher education that support the professionalization of rural métiers and reflect the needs of modern agricultural production and of an evolving rural economy, and 5) provide “affirmative” rural finance for youth and women entrepreneurs.

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Globale Biodiversität in der Krise – Was können Deutschland und die EU dagegen tun?

Globale Biodiversität in der Krise – Was können Deutschland und die EU dagegen tun?

Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus verschiedenen Disziplinen der Biodiversität, Ökologie, Ökonomie, Anthropologie und integrierten Landsystem-Forschung haben sich mit Fragen der globalen Krise der biologischen Vielfalt befasst. In dem daraus resultierenden Diskussionspapier „Globale Biodiversität in der Krise – Was können Deutschland und die EU dagegen tun?“ und in dem dazugehörenden Dokumentationsband zeigen die Autorinnen und Autoren auf, wie Deutschland und Europa reagieren sollten, um das gemeinsame Ziel zu erreichen, den Verlust an Biodiversität zu stoppen.

Die Vielfalt von Pflanzen und Tieren ist eine unserer wichtigsten Lebensgrundlagen. Teil der Evolution war und ist immer auch das Aussterben und die Neuentstehung von Arten. In den letzten Jahrzehnten ist jedoch ein in der Geschichte der Erde bisher nie erreichtes Massenaussterben von Pflanzen- und Tierarten zu beobachten. Der Einfluss des Menschen auf alle Bereiche unserer Umwelt hat so nicht nur zu Klimawandel geführt, sondern auch dazu, dass ein großer Teil der biologischen Vielfalt unwiederbringlich verloren gegangen ist. Was dies für das langfristige Überleben der Menschheit bedeutet, ist aktuell kaum abschätzbar. Wichtig ist jedoch, dass sowohl der Schutz des Klimas als auch der Schutz der Biodiversität untrennbar miteinander verbundene Herausforderungen für die Menschheit sind.

Die Weltgemeinschaft hat bereits bei der Konvention von Rio 1992 die Dringlichkeit anerkannt, die dem Biodiversitätsschutz zukommt. In den letzten fast 30 Jahren verpflichteten sich die Vertragsstaaten zu verschiedenen Zielen, die dem Schutz der Biodiversität dienen sollen und den Verlust der Vielfalt möglichst stoppen sollten. Vieles wurde erreicht, aber der Verlust der Vielfalt geht kaum gebremst weiter.

Publikationen in der Reihe „Leopoldina Diskussion“ sind Beiträge der genannten Autorinnen und Autoren. Mit den Diskussionspapieren bietet die Akademie Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern die Möglichkeit, flexibel und ohne einen formellen Arbeitsgruppen-Prozess Denkanstöße zu geben oder Diskurse anzuregen und hierfür auch Empfehlungen zu formulieren.

Das Diskussionspapier „Globale Biodiversität in der Krise – Was können Deutschland und die EU dagegen tun?“ können Sie hier als PDF herunterladen, den Dokumentationsband hier.

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Bienen und Landwirtschaft: Synergien erforschen, Lösungen entwickeln

Bienen und Landwirtschaft: Synergien erforschen, Lösungen entwickeln

Die Forschungsstrategie „Bienen und Landwirtschaft: Synergien erforschen, Lösungen entwickeln“ der Deutschen Agrarforschungsallianz zeigt, wie die Bedingungen für Honig- und Wildbienen und das Zusammenwirken von Bienen, Imkerei und Landwirtschaft verbessert werden können. Damit soll zum Erhalt der biologischen Vielfalt, zur Verbesserung der Erträge durch optimierte Bestäubungsleistung und zur Resilienz von Agrarökosystemen und landwirtschaftlichen Produktionssystemen beigetragen werden.

Die Strategie formuliert drei Forschungsfelder:

1. Förderung der Bienen-Vitalität (Gesundheit, Leistung, Fitness)

2. Agrarlandschaften und Anbausysteme entwickeln

3. Wechselwirkungen zwischen landwirtschaftlichen Praktiken und Bienen verstehen, um Synergien zu erreichen

Die Empfehlungen beruhen unter anderem auf den Ergebnissen zweier Workshops, an denen insgesamt rund 150 Personen aus Landwirtschaft, Imkerei, Naturschutz, Verwaltung, Wissenschaft und Politik teilgenommen haben. In diesen Veranstaltungen wurden Ist- und Zielzustände verglichen sowie Wege und Forschungsbedarfe für ein synergistisches Zusammenwirken von Bienen und Landwirtschaft diskutiert.

Die Strategie formuliert drei zentrale Forschungsfelder. Dabei steht die Vitalität der Wild- und Honigbienen an erster Stelle, weil diese ihre Rolle im Agrarökosystem bzw. in der Imkerei nur ausfüllen können, wenn sie gesund und leistungsfähig sind. Das zweite Forschungsfeld widmet sich der Frage, wie die Landschaftsstrukturen sowie die Nutzungs- und Bewirtschaftungsformen der Landschaft die Häufigkeit, Diversität und Vitalität der Bienen beeinflussen. Das dritte Forschungsfeld nimmt die Wechselwirkungen zwischen Landwirtschaft, Kulturlandschaft und Bienen in den Blick.

Die Forschung, so eine weitere Forderung, muss flankiert werden durch geeignete Forschungs- und Förderungsstrukturen und eine bessere Kommunikationsstruktur zwischen Forschung, Landwirtschaft, Berufs- und Hobbyimkerei, Amtstierärzten, Beratung und Kommunen. Da neue Erkenntnisse zu Bienengesundheit gegenwärtig über viele verschiedene Einrichtungen, Verbände und Einzelpersonen verbreitet werden müssen, sollte eine zentrale Plattform für Daten-, Wissens- und Kommunikationsmanagement eingerichtet werden.

Ohne eine passende politische Gestaltung kann das Zusammenwirken von Bienen und Landwirtschaft jedoch nicht längerfristig erfolgreich sein. Im marktwirtschaftlichen Wettbewerb können es sich Landwirte in der Regel nicht leisten, ihre Produktionssysteme „betriebswirtschaftlich suboptimal“ auszurichten, indem sie unentgeltlich öffentliche Leistungen erbringen.

Die Politik steht somit vor der Herausforderung, den agrar- und ordnungspolitischen Rahmen so zu entwickeln, dass bienenförderndes Handeln für die Landwirte im betriebswirtschaftlichen Interesse liegt oder zumindest keinen Wettbewerbsnachteil darstellt. Dazu müssen geeignete Maßnahmen entwickelt werden, die mit vertretbarem Aufwand rechtssicher kontrollierbar, regional steuerbar und kulturspezifisch ausgearbeitet sind und mögliche Zielkonflikte mit anderen agrarpolitischen Zielen minimieren.

Die DAFA ist eine Gemeinschaftsinitiative der deutschen Agrar- und Ernährungsforschung. Ihr gehören über 60 deutsche Universitäten, Hochschulen, außeruniversitäre Forschungseinrichtungen sowie Bundes- und Landesforschungsinstitute an. Das Netzwerk verfolgt das Ziel, die Leistungsfähigkeit sowie die nationale und internationale Sichtbarkeit der deutschen Agrar- und Ernährungsforschung zu verbessern und für die Praxis wirksam zu machen.

Die DAFA-Strategie „Bienen und Landwirtschaft: Synergien erforschen, Lösungen entwickeln“ kann hier als PDF in deutscher Sprache heruntergeladen werden und hier in der englischen Fassung.

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Ökologische Landwirtschaft und SDGs: Bio ist Teil der Lösung

Ökologische Landwirtschaft und SDGs: Bio ist Teil der Lösung

Da die Weltbevölkerung bis 2050 voraussichtlich auf 9,7 Milliarden steigen wird, wird die Deckung des künftigen Nahrungsmittelbedarfs als große globale Herausforderung angesehen. Um zu verhindern, dass Nahrungsmittel für eine wachsende Bevölkerung knapp werden, müssen sowohl der Klimawandel als auch der weltweite Konsum angepackt werden – hier sind vor allem Maßnahmen zur Erhöhung des weltweiten Angebots und der Verfügbarkeit von Nahrungsmitteln gefragt. Nach Angaben der FAO müssen diese Maßnahmen darauf abzielen, „mehr mit weniger zu produzieren, den Schwerpunkt auf Qualität und Vielfalt zu legen, Produktivität mit Nachhaltigkeit zu verbinden und auf die Bedürfnisse der Menschen einzugehen“.

Am 1. Januar 2016 haben die Vereinten Nationen und all ihre Mitgliedstaaten die Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung verabschiedet, ein auf 17 Nachhaltigkeitszielen basierender Aktionsplan zur Bewältigung der wichtigsten globalen Herausforderungen der kommenden 15 Jahre. Die Lösung dieser komplexen Herausforderungen und das Erreichen der SDGs erfordern einen ganzheitlichen sowie transformativen Ansatz, der auf den Grundsätzen der wirtschaftlichen, sozialen und ökologischen Nachhaltigkeit aufbaut.

Der Bericht „Ökologische Landwirtschaft und die UN-Ziele für nachhaltige Entwicklung“ befasst sich eingehender mit der vorhandenen Literatur, wie eine nachhaltige Landwirtschaft zur Erreichung mehrerer Nachhaltigkeitsziele beitragen kann – genauer gesagt: wie der ökologische Landbau die Erreichung der UN-Ziele für nachhaltige Entwicklung unterstützen kann. Darüber hinaus wird sich auch Bezug auf die negativen Auswirkungen von Agrochemikalien auf die SDGs genommen.

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Die Welt ernähren, ohne den Planeten zu schädigen, ist möglich

Die Welt ernähren, ohne den Planeten zu schädigen, ist möglich

Fast die Hälfte der derzeitigen Nahrungsmittelproduktion ist schädlich für unseren Planeten – sie führt zum Verlust biologischer Vielfalt, setzt den Ökosystemen zu und verschärft die Wasserknappheit. Kann das gutgehen, angesichts einer weiter wachsenden Weltbevölkerung? Eine neue Studie unter der Leitung des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung (PIK) untersucht umfassende Lösungsvorschläge, wie man 10 Milliarden Menschen innerhalb der Belastungsgrenzen unseres Planeten ernähren kann. Eine angemessene und gesunde Ernährung für jeden Menschen bei weitgehend intakter Biosphäre erfordert nicht weniger als eine technologische und soziokulturelle Kehrtwende. Dazu gehören etwa die konsequente Umsetzung ressourcenschonender landwirtschaftlicher Methoden, die Reduzierung von Lebensmittelverlusten und schließlich Änderungen im Speiseplan. Die Veröffentlichung der Studie trifft zusammen mit dem Beginn des Weltwirtschaftsforums in Davos und mit der Grünen Woche in Berlin.

„Wenn man sich den Zustand des Planeten Erde und den Einfluss der aktuellen globalen Landwirtschaftspraxis auf ihn ansieht, gibt es viel Grund zur Sorge – aber auch Grund zur Hoffnung, sofern wir sehr bald entschlossenes Handeln sehen“, sagt Dieter Gerten, Leitautor vom PIK und Professor an der Humboldt-Universität zu Berlin. „Derzeit geschieht fast die Hälfte der weltweiten Nahrungsmittelproduktion auf Kosten der planetaren Belastungsgrenzen der Erde. Wir widmen zu viel Land der Tierhaltung und den Nutzpflanzen, düngen zu stark und bewässern übermäßig. Um dieses Problem angesichts einer noch immer wachsenden Weltbevölkerung zu lösen, müssen wir miteinander überdenken, wie wir Lebensmittel produzieren. Die gute Nachricht ist, dass solche Transformationen es ermöglichen, ausreichend Nahrung für bis zu 10 Milliarden Menschen bereitzustellen – das zeigt unsere Forschung.“

Die Forscher stellen die Frage, wie viele Menschen unter Einhaltung eines strengen Standards ökologischer Nachhaltigkeit weltweit ernährt werden könnten. Diese Umweltkapazitäten werden in Form mehrerer planetarer Belastungsgrenzen definiert – wissenschaftlich definierter Höchstwerte für menschliche Eingriffe in zentrale Prozesse des Planeten. In der vorliegenden Studie werden vier der neun planetaren Grenzen erfasst, die für die Landwirtschaft relevant sind: die Integrität der Biosphäre (intakte Artenvielfalt und intakte Ökosysteme), die Veränderung der Landnutzung, die Süßwassernutzung und die Nutzung von Kunstdünger. Basierend auf einem ausgefeilten Computermodell werden die Auswirkungen der Nahrungsmittelproduktion auf diese Grenzen mit einem nie dagewesenen Detailgrad hinsichtlich der räumlichen Auflösung und der Darstellung der Prozesse und auch auf den gesamten Planeten bezogen untersucht. Diese Analyse zeigt auf, wo und wie viele Grenzen durch die derzeitige Nahrungsmittelproduktion verletzt werden und auf welche Weise diese Entwicklung durch Einführung nachhaltigerer Formen der Landwirtschaft rückgängig gemacht werden könnte.

Global differenziertes Bild: In manchen Regionen wäre weniger mehr

Das ermutigende Ergebnis ist, dass theoretisch 10 Milliarden Menschen ernährt werden können, ohne das Erdsystem zu gefährden. Das führt zu sehr interessanten Schlussfolgerungen, wie Johan Rockström, Direktor des PIK, betont: „Wir stellen fest, dass die Landwirtschaft in vielen Regionen derzeit zu viel Wasser, Land oder Dünger verbraucht. Die Produktion in diesen Regionen sollte daher mit ökologischer Nachhaltigkeit in Einklang gebracht werden. In der Tat gibt es enorme Möglichkeiten, die landwirtschaftliche Produktion in diesen und anderen Regionen auf nachhaltige Weise zu steigern. Das gilt zum Beispiel für weite Teile Subsahara-Afrikas, wo ein effizienteres Wasser- und Nährstoffmanagement die Erträge stark verbessern könnte.“

Als positiver Nebeneffekt kann eine nachhaltigere Landwirtschaft die allgemeine Klimaresilienz erhöhen und gleichzeitig die globale Erwärmung begrenzen. An anderen Orten ist die Landwirtschaft jedoch so weit von den lokalen und planetaren Belastungsgrenzen entfernt, dass selbst nachhaltigere Systeme den Druck auf die Umwelt nicht vollständig ausgleichen könnten, wie etwa in Teilen des Nahen Ostens, Indonesiens und teilweise in Mitteleuropa. So wird der Welthandel auch nach der Neuausrichtung der landwirtschaftlichen Produktion ein Schlüsselelement einer nachhaltig ernährten Welt bleiben.

Für Planet und Gesundheit: Ernährungsumstellungen notwendig

Auch die Seite der Konsumentinnen und Konsumenten ist nicht zu vergessen. Weitreichende Ernährungsumstellungen scheinen unumgänglich zu sein, um das Ernährungssystem wirklich nachhaltig zu machen. Beispielsweise müssten angesichts des steigenden Fleischkonsums in China Teile der tierischen Proteine durch mehr Hülsenfrüchte und anderes Gemüse ersetzt werden. „Veränderungen auf dem täglichen Speiseplan scheinen zunächst vielleicht schwer zu schlucken. Aber auf lange Sicht wird eine Ernährungsumstellung hin zu einem nachhaltigeren Mix auf dem Teller nicht nur dem Planeten, sondern auch der Gesundheit der Menschen zugutekommen“, ergänzt Vera Heck vom PIK. Ein weiterer entscheidender Faktor ist die Reduzierung der Nahrungsmittelverluste. So baut die vorliegende Studie auf Zahlen, die auch der jüngste IPCC-Sonderbericht zur Landnutzung vorgelegt hat und wonach derzeit bis zu 30 Prozent aller produzierten Lebensmittel durch Verschwendung verloren gehen. „Diese Situation erfordert eindeutig entschlossene politische Maßnahmen, um Anreize sowohl auf Seiten der Produzentinnen als auch der Verbraucher zu setzen“, so Heck weiter.

Die vielleicht sensibelste und herausforderndste Konsequenz der Studie betrifft das Landnutzung. „Alles, was mit dem Land zu tun hat, ist in der Praxis mitunter komplex und umstritten, weil die Lebensgrundlagen und Perspektiven der Menschen davon abhängen. Der Übergang zu einer nachhaltigeren Landnutzung und -bewirtschaftung ist daher eine anspruchsvolle Herausforderung für die Politik. Hierbei ist es entscheidend, dass die Menschen in den betroffenen Regionen klare Vorteile für sich erkennen können. Dann besteht eine echte Chance, dass die Unterstützung für diese Veränderungen schnell genug wächst, um das Erdsystem zu stabilisieren“, sagt Wolfgang Lucht, Ko-Vorsitzender des Fachbereichs Erdsystemanalyse am PIK und Mitautor der Studie.

Die Studie „Feeding ten billion people is possible within four terrestrial planetary boundaries“ finden Sie hier.

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Bericht 2020: Globale Agrarwirtschaft und Menschenrechte

Bericht 2020: Globale Agrarwirtschaft und Menschenrechte

Ernährungsindustrie und Landwirtschaft gehören zu den Sektoren, in denen es weltweit am häufigsten zu Menschenrechtsverletzungen kommt. Betroffen sind Produzent*innen, Konsument*innen sowie Anwohner*innen entlang der gesamten Wertschöpfungskette. In einer gemeinsamen Studie haben Germanwatch und Misereor Menschenrechtsverletzungen im Agrarsektor dokumentiert und die menschenrechtliche Sorgfalt deutscher Unternehmen analysiert. Demnach erfüllt keins der 15 untersuchten Unternehmen in ausreichendem Maße die Anforderungen der UN-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte.

Laut Studie bestehen vor allem für die untersuchten fünf Geflügelfleischproduzenten erhebliche menschenrechtliche Risiken:

  • Sojaanbau für Futtermittel führe vielfach zu Landvertreibungen und zu giftigem Pestizideinsatz in Südamerika.
  • Der massive Einsatz von Antibiotika in der Tierhaltung verstärke die Nachfrage in den Antibiotika-Produktionsländern Indien und China. Dies erhöhe das Risiko von Resistenzen dort.
  • Die Arbeitsbedingungen in deutschen Schlachtbetrieben seien zum Teil menschenverachtend.
  • Exporte von Geflügelteilen aus der EU bedrohten in Westafrika das wirtschaftliche Überleben einheimischer Produzenten und gefährdeten ihre Lebensgrundlage.

Kritisch bewertet die Studie auch die Rolle der Bundesregierung. In der Handelspolitik habe sie es bislang versäumt, die Rolle von Menschenrechten zu stärken. Zugleich sind deutsche Unternehmen bislang nicht gesetzlich verpflichtet, die Menschenrechte bei ihrer weltweiten Geschäftstätigkeit zu achten – anders als in einigen europäischen Nachbarländern. Allerdings haben aufgrund des schlechten Abschneidens deutscher Unternehmen beim Monitoring ihrer menschenrechtlichen Sorgfalt die Bundesminister für Arbeit und Soziales sowie für Entwicklung im Dezember 2019 Eckpunkte für ein deutsches Lieferkettengesetz angekündigt.

Zudem gibt es in Deutschland noch keinen ausreichenden Zugang zu Abhilfe für Betroffene von Menschenrechtsverletzungen. Grund ist einerseits die mangelnde Grundlage im deutschen Recht, andererseits gibt es viele prozessuale Hürden. Aber auch das außergerichtliche staatliche Beschwerdeverfahren über die Nationale Kontaktstelle für die OECD-Leitsätze weist erhebliche Mängel auf.

Den Bericht „Globale Agrarwirtschaft und Menschenrechte“ können Sie hier als PDF herunterladen.

IWEBericht 2020: Globale Agrarwirtschaft und Menschenrechte
Landwirtschaft am Scheideweg

Landwirtschaft am Scheideweg

Der Artikel von IWE-Vorstand Wilfried Bommert erschien in der Zeitschrift Ökologie & Landbau.

Auf dem Weg zu einer Ökologisierung des Agrar- und Ernährungssystems gibt es einige Hemmnisse. Diese sind oft in überkommenen Strukturen begründet. Kann ein Systemwechsel also überhaupt gelingen? Für Wilfried Bommert kommt es auf die kritische Masse an, damit die Vision „100% Bio“ Realität wird.

Hat Bio das Potenzial, die Welt zu ernähren? Un­möglich, urteilt die Allianz der industriellen In­tensivlandwirtschaft. Dagegen sprächen allein schon die Erträge, bei einem Minus von 25 Prozent könne der Hunger der zukünftig zehn oder zwölf Milliarden Erdbewoh­ner nicht gestillt werden. Dabei wird stillschweigend übergan­gen, dass das Potenzial des ökologischen Wegs bisher kaum ausgeschöpft ist. Die Vielfalt an ökologischen Systemen der weltweiten Landwirtschaft ist groß, weit größer als die Flä­chen, die nach den Kriterien der Bioanbauverbände zerti­fiziert und bewirtschaftet werden. Und die Produktivität hält jedem Vergleich stand, wenn man nicht nur Hektarerträge, sondern auch Gewinne an Bodenfruchtbarkeit, Wasserhalte­vermögen, Artenvielfalt, Pestizidfreiheit und Resilienz gegenüber Klimaextremen, also die gesamten Ökosystemleistun­gen, berücksichtigt.

Potenzial zur Ernährung der Welt

Eines der bedeutendsten agrarökologischen Systeme findet sich im Reisanbau. Es setzt auf Extensivierung und bringt dennoch mehr Ertrag hervor. Obwohl es ein extensives Sys­tem ist, erhielt es irreführender Weise den Namen „System of Rice Intensification“. Es verzichtet auf synthetischen Stickstoff und Pestizide, verbessert den Boden, verbraucht nur die Hälf­te des sonst üblichen Wassers und trägt zur Entlastung des Klimas bei, indem es die Nassphase des Reisanbaus, in der Methan entsteht, weitgehend ausfallen lässt. Sein Erfolg be­ruht auf der Erweiterung der Pflanzabstände der Reispflan­zen, die so mehr Wurzelraum erhalten und mehr Triebe bilden können. Auf diese Weise erhöht sich der Ertrag pro Hektar im Schnitt von zwei auf acht Tonnen (Uphoff, 2014). Mittlerweile haben rund fünf Millionen Bauern in über 50 Ländern in Asien, Afrika und Lateinamerika das System übernommen. In China und Indien wird es offiziell von den Behörden gefördert.

Megastädte, die sich ökologisch (selbst) versorgen

Eine besondere Herausforderung für die Zukunft stellen die schnell wachsenden Megastädte dar, wie sie in Afrika, Asien und Lateinamerika entstehen. Wie können sie versorgt wer­den? Südamerika, wo die Städtebildung am weitesten fortge­schritten ist, zeigt mögliche Wege. In der Stadt Rosario in Argentinien schuf die Stadtregierung ein Programm zur Un­terstützung landloser Landarbeiter, die aus dem Hinterland verdrängt wurden, und armer Städter. Sie sollten ihr eigenes Gemüse auf Brachland in der Stadt anbauen, um sich selbst zu versorgen. Die Initiative wurde unter dem Namen „Pro­ grama de Agricultura Urbana (PAU)“ bekannt. Sie führte zu einem Boom städtischer Landwirtschaft, aus dem neue lokale Märkte und Verarbeitungsbetriebe entstanden, die heute ihr Geld damit verdienen, dass sie organisch angebautes Obst und Gemüse, aber auch verarbeitete Produkte an die wohl­habendere Stadtbevölkerung verkaufen. In Brasilien stellte das Zero­Hunger­Programm die Kleinbauern in städtischen Zentren in den Mittelpunkt. Ziel war es, ökologische und da­mit preisgünstige Produkte zu fördern und mit ihnen die ärmere Bevölkerung der Großstädte zu versorgen. Heute wirtschaften 4,3 Millionen brasilianische Kleinbauern nach ökologischen Prinzipien in den großen Städten des Lan­ des und in ihrem Umkreis.

Auf Kuba zeigt das Beispiel Ha­vannas, wie eine Stadt ihre Selbstversorgung steigern kann. Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion musste Kuba eine neue Basis für die eigene Ernährung entwickeln. So wur­den die Brachflächen und Grünanlagen der Städte zu Gärten mit ökologischer Bewirtschaftung, die bei Gemüse mehr als die Hälfte des Bedarfs decken (Koont, 2011). Die hier vorgestellten Beispiele bilden noch keine abgesicherte Strategie zur Versorgung der zukünftigen Megastädte. Sie zeigen jedoch, dass die Zivilgesellschaft weltweit schon heute über eine große Spannbreite erfolgreicher ökologischer Syste­me verfügt. Sie bilden die kritische Masse, mit der ein System­wechsel in ökologischer Vielfalt gestaltet werden kann. Dies auch, weil eine intensivierte Bioforschung und -­praxis noch erhebliche Steigerungen der Erträge erwarten lassen – und das nicht nur in den Entwicklungsländern.

Woran eine zügige Umsetzung zu mehr Bio scheitert

In den Industrieländern und so auch in Deutschland ist die ökologische Agrarforschung ein Stiefkind der Forschungs­förderung. Hier liegt ihr Anteil am gesamten landwirtschaft­lichen Forschungsetat des Bundes bei sechs Prozent. Das wa­ren 2017 rund 278 Millionen Euro. Der geringe Stellenwert des Ökolandbaus im Bereich Forschung spiegelt das geringe politische Interesse wider. Das wird sich grundlegend ändern müssen. Die Zuweisung staatlicher Forschungsmittel muss drastisch steigen, bis 2030 mindestens auf 20 Prozent, um ei­ner flächendeckenden Biolandwirtschaft das notwendige Fundament zu geben.

Einer zügigen und flächendeckenden Ökologisierung steht in Deutschland ein Leitbild der Ernährungspolitik entgegen, das in den 1950er­Jahren geprägt wurde und weiter Bestand hat. Es ist das Leitbild der industrialisierten Landwirtschaft, das im Nachkriegsdeutschland entwickelt wurde. Es sollte die Prinzipien der Industrie auf die Landwirtschaft übertragen. Durch den Einsatz von Technik, Chemie, Hochleistungszucht und Spezialisierung sollte die Produktivität massiv erhöht werden; zum einen, um den Hunger der Nachkriegsjahre zu besiegen, zum anderen, um in der Landwirtschaft Arbeits­kräfte für die boomende Industrie freizusetzen. Der Erfolg dieser Strategie, die aus einem engen Zusammenspiel der landwirtschaftlichen Verbände, der vor­ und nachgelagerten Industrien, der Politik und der Verwaltung bestand, trug zu dem bei, was als deutsches „Wirtschaftswunder“ in die Ge­schichte einging.

Diese agroindustrielle Koalition besteht wei­ter, verfolgt weiterhin das Ziel einer umfassenden Indus­trialisierung und zieht gegen eine Ökologisierung der Landwirtschaft in Deutschland zu Felde. Sie schafft bis heute über die europäische Agrarpolitik immer größere Mono­strukturen auf den Äckern und in den Ställen. Ihr Einfluss ist besonders den Konzernen zuzuschreiben, die zu immer grö­ßeren wirtschaftlichen Machtkomplexen heranwuchsen und mittlerweile globale Dimensionen erreicht haben.
Diese ökonomische Machtballung fördert den politischen Einfluss einer vielfältigen Lobby, die das Konzept der inten­siven Landwirtschaft, des globalen Handels und der indus­triellen Verarbeitung von Lebensmitteln in der ganzen EU sichert und verteidigt.

Zu den stabilisierenden Säulen des Systems gehört auch der Deutsche Bauernverband, dessen Vertreter in den Aufsichtsräten der Agrarkonzerne sitzen und in Deutschland bis in die Ausschüsse des Bundestags vordrin­gen konnten. Ein weiteres Hindernis für die Abkehr vom dominierenden Leitbild sind die Bauern selbst und ihre Investitionen. Getrie­ben von Verbandspolitikern, die die globalen Milch-­ und Fleischmärkte als Heilsversprechen ausgaben, wurde in Ge­bäude und Maschinen investiert. Investitionen in Milliarden­höhe, die über Jahre zurückgezahlt werden müssen und nun den Entschluss erschweren oder auch verhindern, neue Wege einzuschlagen.

Wie die Vision Realität werden kann

Existiert vor dem Hintergrund der Macht­ und Interessen­ballung für ein industrielles Agrarsystem überhaupt die Chance für einen Wechsel hin zu einer Ernährung, die öko­logisch und regional orientiert ist? Die grundlegende Öko­logisierung des Agrar­ und Ernährungssystems kann in Eu­ropa nur ein gesamteuropäisches Projekt sein. Da die Politik sich kaum bewegt, wird die Zivilgesellschaft den notwendigen Systemwechsel einleiten müssen. Die Weichen dafür müssen in Brüssel gestellt werden. Aber die Impulse dafür werden von den europäischen Gemeinschaftsstaaten und von ihren Bür­gern gesetzt. Die Energiewende in Deutschland ist ein Beweis dafür, dass eine solche Strategie „von unten“ Erfolg haben kann. Sie zeigt, welche Hebel dafür in Bewegung gesetzt werden müssen: Beispiel geben, Vorbilder schaffen, Märkte entwickeln, politi­sche Koalitionen schmieden, die öffentliche Förderung neu justieren.

Im Zentrum muss eine neue Weichenstellung in der europä­ischen Agrar-­ und Handelspolitik stehen. Ihr Ziel: Kein Euro darf in Zukunft ohne Prüfung seiner ökologischen Wirkung ausgegeben, kein Vertrag ohne Blick auf die Folgen für die Ernährung der Menschen geschlossen werden. Unter den politischen Maßnahmen, mit denen die Europäische Union die Transformation des Ernährungssystems beginnen muss, steht die Umwidmung der Flächenprämie an vorderster Stelle. Flankierend sollte die Zivilgesellschaft die Diskussion über eine ökologische Transformation des Agrarsystems fördern, indem sie Fragen stellt:

  • nach der Sicherheit von Geldanlagen der Bürger in Fonds und Versicherungen, die ihre Gewinne aus dem Geschäft der Intensivlandwirtschaft ziehen,
  • nach der Praxis der Verpachtung von kirchlichem und kommunalem Land – Kirchen und Kommunen als große Landbesitzer müssen bei der Agrarwende vorangehen,
  • nach der öffentlichen Förderung von Bürgerinitiativen, die in deutschen Städten regionale Ernährungskonzepte entwickeln,
  • nach einem Verbot von Antibiotika in der Tierhaltung, wenn sie Multiresistenzen und damit lebensgefährliche Erkrankungen begünstigen,
  • nach einem Verbot von Pestiziden, die als Hauptursache des massiven Insektensterbens identifiziert und dennoch nicht aus dem Verkehr gezogen werden,
  • und schließlich ob Bauern nicht für Fehlinvestitionen in die industrielle Landwirtschaft entschädigt werden sollten, so wie die Kohle­ und Atomindustrie in der Energiewende.

Nur die Entlastung von diesen Verbindlichkeiten wird es den bäuerlichen Betrieben ermöglichen, dem Zwang zum „Weiter so“ zu entkommen und einen ökologischen Neubeginn zu wagen. Ziel all dieser Aktionen muss es sein, ein politisches Klima zu schaffen, das Ökolandbau bis zur Mitte des Jahrhunderts zum Goldstandard der Landwirtschaft erhebt, wie es der Rat für Nachhaltige Entwicklung schon 2011 empfahl. Die „Vision 100 % Bio“ – so kann sie gelingen.

Zum Weiterlesen: Bommert, W., M. Linz (2018): Landwirtschaft am Scheideweg. Nur eine ökologische Landwirtschaft kann zehn Milliarden Menschen ernähren. Eine Streitschrift. Abrufbar unter kurzlink.de/bommert_linz

IWELandwirtschaft am Scheideweg