Gegen die Mutlosigkeit: Der kritische Agrarbericht 2024

Gegen die Mutlosigkeit: Der kritische Agrarbericht 2024

Der vom AgrarBündnis e.V. herausgegebene kritische Agrarbericht 2024 mit dem Schwerpunkt „Tiere und die Transformation in der Landwirtschaft“ ist in Zeiten wütender und eher rückwärtsgewandter Bauernproteste so aktuell und wohl auch so nötig wie selten zuvor. Für die Herausgeber steht fest: „Die Fortschreibung des bisherigen Trends mit intensiver Tierhaltung und immer größeren Ställen ist keine Lösung: Die notwenige Transformation hin zu einer für Mensch und Tier gesunden, gerechten, gentechnikfreien, umweltverträglich und für die Bauern wirtschaftlich tragfähigen Landwirtschaft muss schnell und zukunftsfest kommen.“

In insgesamt 7 Kapiteln, von „Agrarpolitik und soziale Lage“, über „Welthandel und -Ernährung“ und „Tierschutz und Tierhaltung“ bis hin zu „Ökologischer Landbau“ und „Gentechnik“ blättert der Bericht vor dem Hintergrund der europäischen und weltweiten Agrarpolitik die wesentlichen Aspekte des komplexen Themas Transformation der Landwirtschaft auf. Besonders erfreulich ist dabei, dass die insgesamt rund 50 fundierten Beiträge nicht nur das derzeitige Agrarsystem kritisieren, sondern auch einleuchtende und mutige Konzepte, Ideen und gelungene alternative Praxisbeispiele vorstellen. Damit wird der Bericht eine wahre Fundgrube und ein fachliches Kompendium für alle, die in der aktuellen Debatte um die Landwirtschaft überzeugend für den längst überfälligen Wandel eintreten wollen.

Der Kritische Agrarberichtes 2024, 343Seiten, 27 Euro ist zu bestellen beim: ABL Bauernblatt Verlag, Telefon: 02381 492288 oder E-Mail: verlag@bauernstimme.de

Auf Anfrage beim ABL Verlag gibt es den Kritischen Agrarbericht2024 auch gegen eine Spende als Download.

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Globale Agrar- und Ernährungswende würde volkswirtschaftliche Gewinne von 5 bis 10 Billionen US-Dollar erzielen

Globale Agrar- und Ernährungswende würde volkswirtschaftliche Gewinne von 5 bis 10 Billionen US-Dollar erzielen

Pressemitteilung PIK, 29.1.2024

Eine umfassende Transformation der Agrar- und Ernährungssysteme auf der ganzen Welt würde zu sozioökonomischen Gewinnen in Höhe von 5 bis 10 Billionen US-Dollar pro Jahr führen – das zeigt ein neuer globaler Bericht, der von führenden Forschenden der Ökonomie und aus der Food System Economics Commission (FSEC) erstellt wurde. Die bisher umfassendste Studie zur Ökonomie von Agrar- und Ernährungssystemen macht deutlich, dass diese derzeit mehr Wertschöpfung zerstören als sie hervorbringen und dass eine Überarbeitung der politischen Rahmenbedingungen für Ernährungssysteme dringend erforderlich ist. Darüber hinaus wären die Kosten einer Transformation viel geringer als der potenzielle Nutzen, der vielen Hundert Millionen Menschen ein besseres Leben ermöglichen würde.

„Die Kosten, die dadurch entstehen, dass wir das schlecht funktionierende Ernährungssystem nicht aktiv umgestalten, werden die Schätzungen dieses Berichts vermutlich noch übersteigen, da sich die Welt weiterhin auf einem extrem gefährlichen Kurs befindet. Wir werden wahrscheinlich nicht nur die 1,5°C-Grenze überschreiten, sondern auch mit einer jahrzehntelangen Überschreitung konfrontiert sein“, erklärt Johan Rockström, Direktor des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung (PIK) und FSEC-Initiator. „Der einzige Weg, um dann wieder auf 1,5°C zu kommen, ist der Ausstieg aus den fossilen Brennstoffen, die Bewahrung der Natur und die Umwandlung der Agrar- und Ernährungssysteme von einer Quelle für Treibhausgase hin zu einer Senke. Damit hängt die Zukunft der Menschheit auf der Erde von diesem globalen Ernährungssystem ab“, fügt er hinzu. 

Ernährungssysteme als wirksames Mittel, um 174 Millionen Menschen vor vorzeitigem Tod zu bewahren

 Der Bericht liefert die bisher umfassendste Modellierung der Auswirkungen von zwei möglichen Zukunftsszenarien für das globale Ernährungssystem: unseren derzeitigen Pfad der aktuellen Trends und den Pfad der Transformation des Ernährungssystems. Für den Pfad „Aktuelle Trends“ skizziert der Bericht, was bis 2050 passieren würde, selbst wenn die politischen Entscheidungsträger alle derzeitigen Verpflichtungen einhalten: Die Ernährungsunsicherheit wird in einigen Teilen der Welt immer noch dazu führen, dass 640 Millionen Menschen (darunter 121 Millionen Kinder) unterernährt sind, während die Fettleibigkeit weltweit um 70% zunehmen wird. Die Ernährungssysteme werden weiterhin für ein Drittel der globalen Treibhausgasemissionen verantwortlich sein und so auch bis zum Ende des Jahrhunderts zu einer Erwärmung von 2,7 Grad im Vergleich zu vorindustriellen Zeiten beitragen. Zudem wird die Nahrungsmittelproduktion zunehmend anfällig für den Klimawandel, da auch die Wahrscheinlichkeit von Extremereignissen drastisch zunehmen wird.

Der FSEC-Bericht stellt zugleich fest, dass das Ernährungssystem stattdessen einen wichtigen Beitrag zur wirtschaftlichen Entwicklung leisten und Lösungen für Gesundheits- und Klimaprobleme vorantreiben könnte. Auf dem Pfad zur Transformation des Ernährungssystems zeigen die Ökonominnen und Ökonomen, dass bis 2050 bessere Strategien und Maßnahmen dazu führen könnten, Unterernährung zu überwinden und insgesamt 174 Millionen Menschen vor einem vorzeitigen Tod durch ernährungsbedingte chronische Krankheiten zu bewahren. Die Ernährungssysteme könnten bis 2040 zu Netto-Kohlenstoffsenken werden und so dazu beitragen, die globale Erwärmung bis zum Ende des Jahrhunderts auf unter 1,5 Grad zu begrenzen, zusätzliche 1,4 Milliarden Hektar Land zu schützen, die Stickstoffüberschüsse aus der Landwirtschaft fast zu halbieren und den Verlust der biologischen Vielfalt aufzuhalten. Darüber hinaus könnten 400 Millionen Beschäftigte in der Landwirtschaft auf der ganzen Welt ein ausreichendes Einkommen erzielen.

„Die Kosten für diese Transformation – schätzungsweise 0,2 bis 0,4 Prozent der weltweiten Wirtschaftsleistung pro Jahr – sind gering im Vergleich zu den Vorteilen, die sich daraus ergeben würden und die wirtschaftlich mehrere Billionen Dollar pro Jahr ausmachen. Ernährungssysteme haben ein einzigartiges Potenzial, um globale Klima-, Umwelt- und Gesundheitsprobleme gleichzeitig anzugehen – und damit Hunderten von Millionen Menschen ein besseres Leben zu ermöglichen“, sagt Hermann Lotze-Campen, FSEC-Kommissionsmitglied und Leiter der Forschungsabteilung „Klimaresilienz“ am PIK.

„Anstatt unsere Zukunft mit einer Hypothek zu belasten und steigende Kosten anzuhäufen, die zu hohen versteckten Gesundheits- und Umweltkosten führen, sollten sich die politischen Entscheidungsträger der Herausforderung der Agrar- und Ernährungswende stellen. Jetzt müssen Veränderungen vorgenommen werden, die kurz- und langfristig weltweit enorme Vorteile bringen werden“, sagt Ottmar Edenhofer, PIK-Direktor und FSEC-Ko-Vorsitzender. „Dieser Bericht sollte die dringend benötigte Diskussion zwischen den wichtigsten Interessengruppen darüber anstoßen, wie wir diese Vorteile nutzen können, ohne jemanden zurückzulassen“, erklärt er abschließend.


Die Food System Economics Commission (FSEC) ist eine unabhängige akademische Kommission, die politische und wirtschaftliche Entscheidungsträgerinnen und Entscheidungsträger mit Instrumenten und Fakten ausstatten soll, um die Ernährungs- und Landnutzungssysteme zu verändern. Sie bringt führende Expertinnen und Experten aus den Bereichen Klimawandel, Gesundheit, Ernährung, Landwirtschaft und natürliche Ressourcen zusammen und umfasst Organisationen wie das Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung, die Weltgesundheitsorganisation, die Weltbank, die London School of Economics, das World Resources Institute Africa und viele andere. Der FSEC Global Policy Report baut auf jahrelangen Studien auf, einschließlich des EAT-Lancet-Berichts. Der Report betrachtet den Wandel der Ernährungsysteme nicht nur unter dem Gesichtspunkt der ökologischen Nachhaltigkeit, sondern auch der globalen Gesundheit, Ernährung, wirtschaftlichen Entwicklung und sozialen Eingliederung.

Hier geht es zum FSEC Global Policy Report „The Economics of the Food System Transformation“.

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Bodenatlas 2024

Bodenatlas 2024

Der Boden unter unseren Füßen ist ein wahres Multitalent. Er ist der artenreichste Lebensraum unserer Erde, er speichert gigantische Mengen Klimagase und Wasser, ernährt Mensch und Tier, lässt Blumen blühen und Bäume wachsen. Der Boden ist eine lebenswichtige Ressource – und er ist bedroht. Rund 60 Prozent der Böden in der EU sind geschädigt, gestern noch fruchtbarer Humus trocknet aus, verwandelt sich in Steppe und Wüste, immer mehr Böden werden für den Bau von Infrastruktur versiegelt. Konflikte um knapper werdendes Land nehmen zu. Der Bodenatlas 2024 beleuchtet nicht nur die Folgen des weltweiten Verlusts an fruchtbarem Boden, sondern zeigt auch die Potentiale nachhaltiger und gerechter Bodennutzung für den Klimaschutz und die Artenvielfalt. Der Bodenatlas ist als kostenlose Online- und als Printausgabe verfügbar – außerdem gibt es dazu noch eine spannende Podcast-Reihe.

Der Bodenatlas 2024 ist ein Kooperationsprojekt von Heinrich-Böll-Stiftung,
Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland e.V. und TMG – Think Tank for Sustainability, TMG Research gGmbH.

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Hidden costs of global agrifood systems worth at least $10 trillion

Hidden costs of global agrifood systems worth at least $10 trillion

Our current agrifood systems impose huge hidden costs on our health, the environment and society, equivalent to at least $10 trillion a year, according to an analysis by the Food and Agriculture Organization of the United Nations (FAO), covering 154 countries. This represents almost 10 percent of global GDP.

According to the 2023 edition of The State of Food and Agriculture (SOFA), the biggest hidden costs (more than 70 percent) are driven by unhealthy diets, high in ultra-processed foods, fats and sugars, leading to obesity and non-communicable diseases, and causing labour productivity losses. Such losses are particularly high in high- and upper-middle-income countries.

One fifth of the total costs are environment-related, from greenhouse gas and nitrogen emissions, land-use change and water use. This is a problem that affects all countries, and the scale is probably underestimated due to data limitations.

Low-income countries are proportionately the hardest hit by hidden costs of agrifood systems, which represent more than a quarter of their GDP, as opposed to less than 12 percent in middle-income countries and less than 8 percent in high-income countries. In low-income countries, hidden costs associated with poverty and undernourishment are the most significant.

The report makes the case for more regular and detailed analysis by governments and the private sector of the hidden or ‘true’ costs of agrifood systems via true cost accounting, followed by actions to mitigate these harms.

There have been other attempts at measuring the hidden costs of agrifood systems, producing similar estimates as FAO. The new FAO report, however, is the first to disaggregate these costs down to the national level and ensure they are comparable across cost categories and between countries.

For the first time ever, FAO will dedicate two consecutive editions of The State of Food and Agriculture to the same theme. This year’s report presents initial estimates, while next year’s will focus on in-depth targeted assessments to identify the best ways to mitigate them. Governments can pull different levers to adjust agrifood systems and drive better outcomes overall. Taxes, subsidies, legislation and regulation are among them.

“In the face of escalating global challenges: food availability, food accessibility and food affordability; climate crisis; biodiversity loss; economic slowdowns and downturns; worsening poverty; and other overlapping crises, the future of our agrifood systems hinges on our willingness to appreciate all food producers, big or small, to acknowledge these true costs, and understand how we all contribute to them, and what actions we need to take. I hope that this report will serve as a call to action for all partners – from policymakers and private-sector actors to researchers and consumers – and inspire a collective commitment to transform our agrifood systems for the betterment of all,” said FAO Director-General QU Dongyu.

The report urges governments to use true cost accounting to transform agrifood systems to address the climate crisis, poverty, inequality and food security. It notes that innovations in research and data, as well as investments in data collection and capacity building, will be needed to scale the application of true cost accounting, so it can inform decision-making in a transparent and consistent way.

Read the press release by FAO here.

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Erstmals nachgewiesen: Das Mikrobiom von Obst und Gemüse beeinflusst die Vielfalt im Darm positiv

Erstmals nachgewiesen: Das Mikrobiom von Obst und Gemüse beeinflusst die Vielfalt im Darm positiv

In einer Metastudie hat ein Forschungsteam des Instituts für Umweltbiotechnologie der TU Graz den Nachweis erbracht, dass der Verzehr von Obst und Gemüse positiv zur Bakteriendiversität im menschlichen Darm beiträgt.

Bakterielle Vielfalt im Darm spielt eine wichtige Rolle für die menschliche Gesundheit. Die entscheidende Frage ist jedoch: Wo sind die Quellen für diese Vielfalt? Bekannt ist, dass bei der Geburt ein wichtiger Teil des mütterlichen Mikrobioms auf das Baby übertragen wird, gleiches geschieht während der Stillperiode über die Muttermilch. Weitere Quellen konnten bislang nicht aufgedeckt werden. Einem Team rund um Wisnu Adi Wicaksono und Gabriele Berg vom Institut für Umweltbiotechnologie der TU Graz ist jetzt der Nachweis gelungen, dass pflanzliche Mikroorganismen aus Obst und Gemüse zum menschlichen Mikrobiom beitragen. Das berichten sie in einer Studie, die im Journal Gut Microbes publiziert worden ist.

Du bist, was Du isst
Die Autoren konnten nachweisen, dass die Häufigkeit des Obst- und Gemüseverzehrs und die Vielfalt der verzehrten Pflanzen die Menge der obst- und gemüse-assoziierten Bakterien im menschlichen Darm beeinflusst. Insbesondere die frühe Kindheit stellt ein Zeitfenster für die Besiedlung mit pflanzenassoziierten Bakterien dar. Die Mikroorganismen pflanzlichen Ursprungs verfügen über probiotische und gesundheitsfördernde Eigenschaften, die ebenfalls aufgezeigt wurden.

Unter einem Mikrobiom versteht man die Gesamtheit aller Mikroorganismen, die einen Makroorganismus (Mensch, Tier, Pflanze) oder einen Teilbereich dessen besiedeln, beispielsweise den Darm oder eine Frucht. Während die einzelnen Mikrobiome immer besser verstanden werden, ist über ihre Verbindungen wenig bekannt. „Der Nachweis, dass Mikroorganismen von Früchten und Gemüse den menschlichen Darm besiedeln können, ist jetzt erstmalig gelungen“, erklärt Erstautor Wisnu Adi Wicaksono. Damit liegt die Vermutung nahe, dass der Verzehr von Obst und Gemüse besonders im Babyalter einen positiven Einfluss auf die Entwicklung des Immunsystems in den ersten rund drei Lebensjahren hat, da sich in dieser Zeit das Darmmikrobiom entwickelt. Aber auch danach ist eine gute Diversität an Darmbakterien förderlich für Gesundheit und Widerstandsfähigkeit. „Es beeinflusst einfach alles. Diversität beeinflusst die Widerstandsfähigkeit des ganzen Organismus; höhere Diversität vermittelt mehr Resilienz“, sagt Institutsleitern Gabriele Berg.

Mehrere Milliarden Sequenzen
Um feststellen zu können, dass der Verzehr von Obst und Gemüse mitsamt ihrer Mikrobiome auch wirklich zu Veränderungen im Darmmikrobiom führt, erstellte das Team zunächst einen Katalog mit Mikrobiomdaten aus Früchten und Gemüse, um so deren Bakterien zuordnen zu können. Diese glichen sie mit öffentlich verfügbaren Daten aus zwei Studien zur Darmflora ab. Das Projekt TEDDY betrachtete anhand einer Langzeitstudie die Entwicklung bei Babys und das American Gut Project studierte die Darmflora von Erwachsenen – beide Projekte erhoben dafür auch die Daten zur Nahrungsaufnahme der Proband*innen. Insgesamt standen den Forschenden dadurch Metagenom-Daten aus rund 2500 Stuhlproben zur Verfügung, jede davon enthielt zwischen ein und zehn Millionen Sequenzen – ausgewertet wurden also mehrere Milliarden Sequenzen. Anhand dieses umfangreichen Datensatzes ließ sich das Vorhandensein der Obst- und Gemüse-Mikroflora im Darm nachweisen. Dieser Nachweis ist ein entscheidender Baustein für den Beweis des „One Health“-Konzeptes der WHO, das die Gesundheit von Mensch, Tier und Umwelt eng miteinander verknüpft.

Folgestudie auf drei Kontinenten
Um den entdeckten Zusammenhang noch weiter zu erforschen, arbeitet Gabriele Berg am Institut für Umweltbiotechnologie im Rahmen des von der EU geförderten Projekts HEDIMED (www.hedimed.eu) gemeinsam mit internationalen Kolleg*innen bereits an einer Interventionsstudie, bei der Menschen auf drei Kontinenten für einen gewissen Zeitraum das Gleiche essen und danach deren Ausscheidungen analysiert werden. Aber auch darüber hinaus sieht Gabriele Berg viele Bereiche, die auf Basis des Studienergebnisses beeinflusst werden könnten. Das beginnt bei der Lebensmittelerzeugung, da Erde, Dünger und eingesetzte Pflanzenschutzmittel sich auf das pflanzliche Mikrobiom auswirken. „Frisches Obst und Gemüse wird immer das beste Mikrobiom haben, die Landwirtschaft oder weiterverarbeitende Betriebe haben hier schon einen großen Einfluss. Und auch die Lagerung und Verarbeitung der Nahrung muss kritisch überdacht werden“, erklärt Berg. Abhängig von den Erkenntnissen der geplanten Studie könnte es auch für einzelne Personen spannende Anwendungen geben. „Jedes Obst und Gemüse hat ein einzigartiges Mikrobiom. Also vielleicht lässt sich auf Basis dessen irgendwann eine personalisierte Ernährung zusammenstellen.“

Beitrag von Falko Schoklitsch, 24.10.2023 | TU Graz news | Forschung.

Die Studie „The edible plant microbiome: evidence for the occurrence of fruit and vegetable bacteria in the human gut“ finden Sie hier.

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Buchtipp: Vandana Shiva – Terra Viva. Mein Leben für eine lebendige Erde

Buchtipp: Vandana Shiva – Terra Viva. Mein Leben für eine lebendige Erde

Aufgewachsen in den Bergwäldern des Himalayas im nördlichen Indien, hatte Vandana Shiva von Kindesbeinen an eine intensive Beziehung zur Natur und erlebte schon früh die Bedrohung ihrer Wälder durch Raubbau. Sie entschied sich für ein Studium der Quantenphysik und promovierte in Kanada.

In diesem Buch beschreibt sie ihren Weg von der akademischen Quantenphysik zu ihren eigentlichen Professorinnen, den Frauen der Chipko-Bewegung zur Bewahrung ihrer Wälder, die sie die Ökologie lehrten und in den Kampf gegen die Übermacht des großen Geldes führten.

Bereits 1981 wurde sie als Sachverständige vom Umweltministerium gehört. 1984 bei einer großen Dürre wurde ihr klar, dass die Gewalt der Grünen Revolution die Natur und die mit ihr im Einklang arbeitenden Bauern zerstörte. Ihr Widerstand erschöpfte sich nicht im Protest gegen etwas, sondern führte zu Gründung einer Samenbank, die zum Beispiel 3000 Reissorten rettet. Nicht nur wurde das Saatgut kostenlos abgegeben, ihre »Earth University« bildete auch mehr als 100.000 Bauern im biologischen Landbau aus.

1993 erhielt die Feministin, die die Rolle der Frauen für den Erhalt der Natur und ihrer Vielfalt immer betont, den »Right Livelihood Award« (gemeinhin Alternativer Nobelpreis genannt), und sie war weltweit unterwegs, um für ihre Anliegen zu werben: so bei der UNO und der FAO, im Schumacher College, auf Protestmärschen gegen Gentechnik. Sie ist Autorin von mehr als 25 Büchern und bis heute eine gefragte Vortragsrednerin und Interviewpartnerin – und für viele Leitfigur und Hoffnung auf eine bessere Zukunft.

Ihr gesamtes Lebenswerk ist von einer tiefen Liebe zum Leben und zur Freiheit durchdrungen. Es ist diese Liebe, die sie anspornt, all das zu verteidigen, was von Unfreiheit bedroht ist – Wälder, Flüsse, Saatgut, Boden, Biodiversität und auch die Menschen, die davon leben. Zusammen mit der quantenphysikalischen Erkenntnis, dass alles miteinander verbunden, alles eins ist, weiß sie Herz und Intellekt zu einer unschlagbaren Waffe im Kampf für das Leben zu vereinen.

Vandana Shiva in einem Interview, April 2021: »Alles, woran ich arbeite, entspringt meinem Innersten, meiner Liebe zum Leben und meiner Liebe zur Freiheit, was auch immer es sein mag: ob es der Schutz der Wälder oder des Saatguts ist oder das Zusammensein mit meinen Schwestern, den Bäuerinnen, deren Land und Boden es zu verteidigen gilt. Es geht darum, das Leben im Geist der Liebe zu verteidigen und die Freiheit im Geist des Widerstands gegen die Unfreiheit.«

„Vandana Shiva: Terra Viva – Mein Leben für eine lebendige Erde“ mit einem Vorwort von Renate Künast, Verlag Neue Erde.

Das könnte Sie auch interessieren: Der Dokumentarfilm „Vandana Shiva – Ein Leben für die Erde“, aktuell zu sehen in der phoenix Mediathek.

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Studie: Inwieweit kann sich München nachhaltig aus der Region ernähren?

Studie: Inwieweit kann sich München nachhaltig aus der Region ernähren?

Die im Februar 2023 veröffentlichte Studie „Foodshed München – Bewertung des Einzugsgebiets und der potenziellen Selbstversorgung mit Nahrungsmitteln in München.“ von Dr. José Luis Vicente-Vicente und Dr. Annette Piorr vom Leibniz-Zentrum für Agrarlandschaftsforschung (ZALF) e.V. wurde vom Bundestagsbüro Karl Bär (Die Grünen) in Auftrag gegeben. Im Zentrum der Studie steht die Frage, inwieweit sich München nachhaltig aus der Region ernähren könnte.

Aus der Zusammenfassung:

„Wie in anderen Großstadtregionen etablieren sich in München und seinem Umland zunehmend neue und flexiblere Modelle von Produktion, Organisation und Konsum, die einen stärkeren Bezug zur Region und ihren Akteuren vor Ort aufweisen. Die Politik sieht hier einen wichtigen Ansatzpunkt, geeignete Rahmenbedingungen für gesunde Ernährungsweisen, faire Ernährungsumfelder und nachhaltigere Erzeugung in der Region zu schaffen.

Ein erster Schritt für Diskussionen und politische Prozesse in diese Richtung sind Potenzialstudien, wozu Foodshed-Modellierungen gehören. Sie berechnen das theoretische Einzugsgebiet von Lebensmitteln, also den Flächenumfang der nötig ist, um die BewohnerInnen unter Berücksichtigung ihres Konsumverhaltens an Lebensmitteln verschiedener Produktgruppen aus dem direkten Umfeld zu ernähren. Wobei lokale z.B. Anbaubedingungen, Erträge und landwirtschaftliche, aber auch naturräumliche Strukturen berücksichtigt werden. Szenarien erlauben die Berücksichtigung alternativer Produktionsmethoden, veränderter Ernährungsweisen, der Beibehaltung bestehender Spezialisierung auf Sonderkulturen oder der Wiedervernässung von Moorgebieten.

Foodshed für München und Region
Die Foodshedmodellierungen dieser Studie zeigen:

  • Eine regionale Versorgung innerhalb der räumlichen Grenzen der drei Regierungsbezirke Oberbayern, Niederbayern und Schwaben wäre zur Sicherstellung der Ernährung der Bevölkerung Münchens und der genannten Regionen möglich. Lässt man die für den globalen Markt relevanten Anbauflächen für Hopfen unverändert, kann theoretisch in der Region immer noch mehr produziert als lokal verbraucht werden, sowohl bei rein konventioneller (Selbstversorgungsgrad rd. 160%) als auch bei rein ökologischer Bewirtschaftung (Selbstversorgungsgrad 117%). Das theoretische Nahrungsmitteleinzugsgebiet um München hätte entsprechend einen Radius von 114km (für konventionelle Produktion) gegenüber 125 km (für ökologische Produktion).
  • Die Vermeidung von Lebensmittelabfällen entlang der Wertschöpfungskette (vor und nach der Ernte, bei Aufbereitung, Weiterverarbeitung, Lagerung, Vertrieb und Handel, in Haushalten) birgt weitere signifikante Flächenpotenziale. Weniger Nahrungsmittelabfälle lassen den Foodshed-Radius um bis zu 10 km sinken, und machen Flächenpotenziale frei für entsprechende alternative Nutzungen oder den Naturschutz.

  • Ernährungsumstellung ist ein weiterer wirksamer Hebel für die Erhöhung der Flächen- produktivität. Bei einer Halbierung des Verzehrs von Lebensmitteln tierischer Herkunft, einer Verdopplung des Gemüseverzehrs und deutlich erhöhtem Anteil von Hülsenfrüchten und Nüssen in der Ernährung könnte der Selbstversorgungsgrad bei konventionellem Anbau auf 172% und bei ökologischem Anbau auf 135% steigen.

  • Die Wiedervernässung ehemaliger Moorflächen wird wegen ihrer Funktion als möglicher Kohlenstoffspeicher als Strategie zum Klimaschutz vielerorts diskutiert. Solche Flächen finden sich auch im Gebiet der drei Regierungsbezirke, die das potenzielle Nahrungseinzugsgebiet für München und Region ausmachen. Sie umfassen etwa 6% der landwirtschaftlichen Nutzfläche und weisen eine überdurchschnittliche Produktivität auf. Würde man diese Flächen aus der Nutzung nehmen und wiedervernässen, blieben die Einbussen am potenziellen Selbstversorgungsgrad im einstelligen Bereich (9,89% bzw. 7,25%).

  • Es wäre also möglich, selbst bei Wiedervernässung ehemaliger Moore, die Region aus den eigenen Flächenpotenzialen nachhaltig und divers zu ernähren, und gleichzeitig für den Weltmarkt zu produzieren, im Umfang von 10%-50% der regional abgesetzten Produktmengen (wobei Anbaugebiete für Hopfen im bisherigen Umfang und Markt agieren würden). Bei zusätzlicher Umstellung der Ernährung könnten Moorschutz und gesunde 100% regionale Ernährung sogar noch Exportpotenziale von >25% (ökologisch) – >60% (konventionell) realisieren lassen.

  • Für die Interpretation der Ergebnisse dieser Studie ist es wichtig, zu berücksichtigen, dass es sich um theoretische Modellierungen handelt. Die kreisförmige Repräsentation des Flächenbedarfs für das Nahrungsmitteleinzugsgebiet (Foodshed) in den Abbildungen dieser Studie soll primär einen Eindruck der Größe des möglichen Gebietes für regionale Ernährung vermitteln, wenngleich in der Praxis die Definition von Regionalität bzw. des Einzugsgebietes für unterschiedliche Produktgruppen durchaus Sinn macht.

  • Auch ist zu berücksichtigen, dass im Vergleich von konventioneller und ökologischer Be- wirtschaftung der Flächenbedarf (der beim ökologischen Landbau höher ist) lediglich ein relevanter Aspekt ist. Auf den Umstand, dass im konventionellen System mehr Betriebsmittel (z.B. Futtermittel auf Sojabasis) andernorts hergestellt werden und dort ihren Flächenfootprint hinterlassen, häufig verknüpft mit dortigen teils unerwünschten Umweltwirkungen, konnte im Rahmen dieser Studie nicht vertieft eingegangen werden.“

Die komplette Studie können Sie hier als PFD herunterladen.

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Alternative zu Herbiziden: Landwirtschaft ohne Glyphosat

Alternative zu Herbiziden: Landwirtschaft ohne Glyphosat

Der neue Bericht „Alternative zu Herbiziden – Landwirtschaft ohne Glyphosat“ von PAN Europe in Zusammenarbeit mit der europäischen Fraktion der Grünen/EFA zeigt, dass es für alle bekannten Hauptanwendungen von Herbiziden auf Glyphosatbasis wesentlich sicherere nicht-chemische Alternativen gibt, sowohl Low- als auch Hightech-Verfahren. Der Bericht schlägt zudem Maßnahmen vor, wie der Übergang zu einer glyphosatfreien Landwirtschaft wirtschaftlich tragfähig machbar ist. In diesem Jahr entscheidet die EU über die Wiederzulassung von Glyphosat.

Im Rahmen der Veröffentlichung der Studie findet am 11. April um 13 Uhr eine Online-Panel-Diskussion statt. Nähere Informationen und die Anmeldung finden Sie hier.

Die deutsche Kurzfassung des Berichts können Sie hier als PDF herunterladen, die komplette englische Fassung hier.

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Der Weg zu regenerativer Landwirtschaft in Deutschland – und darüber hinaus

Der Weg zu regenerativer Landwirtschaft in Deutschland – und darüber hinaus

Mehr als die Hälfte der Ackerflächen der Welt haben ihre Fruchtbarkeit verloren. Was ihnen nicht bekommt, ist die Art der Bewirtschaftung. Lässt sich die Fruchtbarkeit zurückgewinnen?
Und wie für eine Zukunft mit Klimaextremen bewahren? Unter dem Dach der „regenerativen Landwirtschaft“ treffen sich ökologische Einsichten und praktischen Erfahrungen. Das IWE hat ihr ökologisches Potenzial in der Studie „Ernährungswende“ beschrieben. Der NABU und Boston Consulting stellen die Vorzüge der regenerativen Methoden für die ökologische Transformation in der soeben erschienen Studie „Der Weg zu regenerativer Landwirtschaft in Deutschland – und darüber hinaus“ zusammen.

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Französischer Rechnungshof: Mehr Unterstützung für Bio-Landwirtschaft und Bio-Lebensmittel notwendig

Französischer Rechnungshof: Mehr Unterstützung für Bio-Landwirtschaft und Bio-Lebensmittel notwendig

Unerwartete Verstärkung – ein Vorwort von Manfred Linz

Beistand ist besonders willkommen, wenn er nicht zu erwarten war. Diese überraschende Stärkung erleben gerade alle, die sich hierzulande für eine zukunftsfähige Landwirtschaft einsetzen und dabei ja allerhand Uneinsicht und Widerstand begegnen. Ihnen, also auch uns, dem Institut für Welternährung, seinen Freunden und Förderern, ist ein tatkräftiger Mitstreiter erstanden. Er kommt aus dem Nachbarland, und kaum jemand hätte in ihm einen Bundesgenossen vermutet. Es ist der Cour des Comptes, der französische Rechnungshof. Er hat im Juni dieses Jahres unter Auswertung der Fachliteratur eine gründliche Bewertung der französischen Bio-Landwirtschaft vorgelegt, Christoph Habermann hat sie ausgewertet und vermittelt in seinem Aufsatz für „Blog Republik“ seine Essenz. Der Rechnungshof macht sich zum Anwalt der Bio-Landwirtschaft und fordert nicht etwa ihre geringere sondern ihre stärkere staatliche Förderung. Gleichzeitig erfährt der deutsche Leser, dass die französische Unzufriedenheit mit dem erzielten Grad der naturgemäßen Landwirtschaft schon heute auf einem deutlich kräftigeren Sockel biologischer Agrikultur Landwirtschaft ruht als bei uns und damit zu einem Animateur vergleichbaren staatlichen Handels in unserem Land werden kann. Exempla trahunt, Beispiele reißen mit.

Französischer Rechnungshof: Mehr Unterstützung für Bio-Landwirtschaft und Bio-Lebensmittel notwendig“

von Christoph Habermann

I.

Der französische Rechnungshof hat am 30. Juni 2022 einen 353 Seiten starken Bericht veröffentlicht, in dem er untersucht, wie und mit welchem Erfolg die Bio-Landwirtschaft in Frankreich in den vergangenen zehn Jahren gefördert worden ist. Allein die Tatsache, dass der französische Rechnungshof sich so ausführlich mit der Bio-Landwirtschaft beschäftigt, ist bemerkenswert. Noch bemerkenswerter ist der Inhalt dieses Berichts. Er beschränkt sich nicht auf Zahlen und Wirtschaftlichkeits-Überlegungen oder fordert gar die Streichung von Fördergeldern, wie man das von Rechnungshof-Berichten gewohnt ist. Nein, der Bericht formuliert – gestützt auf eine Auswertung der wissenschaftlichen Fachliteratur zur Bio-Landwirtschaft – ein starkes Plädoyer für mehr Bio und für mehr staatliche Unterstützung von Bio.

Der Bericht untersucht, ob Politik und Verwaltung in Frankreich die biologische Landwirtschaft seit 2010 ausreichend unterstützt haben, um die beiden wichtigsten politisch definierten Ziele zu erreichen: 15 Prozent der landwirtschaftlich genutzten Flächen sollen biologisch bewirtschaftet werden und 20 Prozent der Verpflegung in öffentlichen Einrichtungen wie Kindertagesstätten, Schulen oder Krankenhäusern sollen Bio sein. Beide Ziele wurde nicht erreicht.

Zusammenfassend kommt er zu folgendem kritischen Ergebnis:

„Allgemein verfolgt die vom Landwirtschafts-Ministerium betriebene Politik zur Unterstützung der biologischen Landwirtschaft anspruchsvolle Ziele ohne ausreichende Mittel zur Verfügung zu stellen. Gewiss wurden beachtliche Ergebnisse erzielt, diese Politik hätte aber stärker treibende Kraft bei der Entwicklung der biologischen Landwirtschaft sein können, die sie tatsächlich aber im günstigen Fall begleitet und manchmal auch gebremst hat.“ (Seite 23)

Die wichtigsten Zahlen zur Entwicklung der biologischen Landwirtschaft in Frankreich in den vergangenen Jahren:

„Die biologische Landwirtschaft, die in Frankreich lange ein Nischendasein führte, hat sich im Lauf des vergangenen Jahrzehnts zwischen 2010 und 2021, vor allem seit 2015, stark verbreitet, und Frankreich liegt mit einer Bio-Fläche von mehr als 2,8 Millionen Hektar im Jahr 2021 in Europa auf Platz eins.

Zwischen 2010 und 2021 ist der Anteil der Bio-Betriebe von 4 Prozent auf 13,4 Prozent gewachsen, die 10,3 Prozent der in Frankreich landwirtschaftlich genutzten Fläche bewirtschaften…“ (Seite 12/13)

In Deutschland waren im Jahr 2021 13, 8 Prozent aller landwirtschaftlichen Betriebe Bio-Höfe, die knapp 1,8 Millionen Hektar bewirtschaften, was 10,8 Prozent der landwirtschaftlich genutzten Fläche in Deutschland entspricht.

II.

Die Aussagen im Bericht des Rechnungshofs zu den wissenschaftlich gesicherten Vorteilen der Bio-Landwirtschaft gegenüber der konventionellen Landwirtschaft sind auch für die gesellschaftliche und politische Diskussion in Deutschland besonders interessant und wichtig:

„Der Rechnungshof macht eine Bestandsaufnahme der wissenschaftlichen Literatur zu den Vorteilen der Bio-Landwirtschaft. Das bezieht sich sowohl auf die Verringerung negativer Externalitäten anderer Formen der landwirtschaftlichen Praxis als auch auf die eigenen positiven Externalitäten, weil diese Form der landwirtschaftlichen Praxis chemisch-synthetische  Pestizide und Gentechnik verbietet und den Einsatz von Antibiotika in der Viehzucht stark beschränkt.“ (Seite 16)

Der Rechnungshof fasst seine  grundlegenden Feststellungen so zusammen:

„Auch wenn Landwirte insgesamt gesünder sind als der Durchschnitt der französischen Bevölkerung deuten wissenschaftliche Studien auf einen Zusammenhang zwischen der Belastung durch Pestizide und mehreren Krankheiten hin (Krebserkrankungen, Parkinson,etc.) die als Berufskrankheiten von Landwirten anerkannt werden können, wenn der Zusammenhang  nachgewiesen ist. Andere Studien belegen eine substantielle Verringerung mehrerer Krankheiten (u.a. Krebserkrankungen und Diabetes) bei Verbrauchern, die regelmässig Bio-Lebensmittel essen.

Der günstige Einfluss der Bio-Landwirtschaft auf die Umwelt ist ebenfalls gut belegt. Während die Wasserverschmutzung, die wesentlich auf Nitrate, Phosphor und Pflanzenschutzmittel aus der Landwirtschaft zurückzuführen ist, weiter zunimmt, erlaubt die Bio-Landwirtschaft sie zu verringern. Deshalb finanzieren die Wasseragenturen (es gibt in Frankreich sechs Wasseragenturen, die sich in Zusammenarbeit mit den Gemeinden und der Industrie um die Sicherung und Aufbereitung von Trinkwasser kümmern C.H.) immer stärker die Konversion zu biologisch bewirtschafteten Flächen: Vorsorge erweist sich als deutlich kostengünstiger als die Dekontaminierung von Trinkwasser. Trinkwasser-Unternehmen wie das von Paris haben begonnen, die Bio-Landwirtschaft im Bereich ihrer Wassergewinnung zu finanzieren.

Die Bio-Landwirtschaft trägt auch zu einer besseren Bodenfruchtbarkeit bei, dank eines höheren Anteils an organischem Material und weil die Böden mehr Wasser aufnehmen und mehr Kohlenstoff speichern können. Diese landwirtschaftliche Praxis hat aber auch bestimmte Grenzen, z.B. der Einsatz von Kupfer, der oft unvermeidlich ist wegen der fehlenden Möglichkeit synthetische Fungizide einzusetzen und weil wirksame alternative Methoden fehlen, oder die tiefe Bearbeitung der Böden, fehlende Boden-Bedeckung oder die immer mögliche und in der Bio-Landwirtschaft notwendige Fruchtfolge.

Die Bio-Landwirtschaft hat positiven Einfluss auf die Luftqualität, die durch die Ammoniak-Emissionen des in der konventionellen Landwirtschaft genutzten Stickstoffdüngers belastet wird.

Die Bio-Landwirtschaft trägt nicht zuletzt zum Erhalt der Biodiversität bei. Auf biologisch bewirtschafteten Flächen gibt es durchschnittlich 30 Prozent mehr Arten, deren Populationen 50 Prozent grösser sind, während die die Zahl der Feldvögel und der bestäubenden Insekten in Europa seit 1990 um mehr als 30 Prozent zurückgegangen ist.

Diese Form der Landwirtschaft verursacht weniger klimarelevante Emissionen, vor allem Lachgas, weil keine stickstoffhaltigen Dünger eingesetzt werden.Das gilt pro Hektar und bezogen auf die Betriebe, die autonom sein sollen.

Die Verbesserung des Tierwohls durch die Bio-Landwirtschaft ergibt sich aus ihrem Pflichtenheft, das die Käfighaltung und das Anbinden von Tieren verbietet , die Zahl der Tiere begrenzt, stärker natürliches Futter vorschreibt (Futter, Muttermilch) und den Zugang zum Freiland garantiert.

Schliesslich hat die Bio-Landwirtschaft positiven Einfluss auf die Beschäftigungssituation im ländlichen Raum, weil sie für die jungen Landwirtinnen und Landwirte attraktiv ist: ein Drittel der Niederlassungen sind Bio-Betriebe. Weil es arbeitsintensiver ist, schafft dieses Produktionssystem Arbeitsplätze in der Landwirtschaft und in der Bio-Lebensmittelherstellung.

Insgesamt anerkennt die wissenschaftliche Literatur die gesundheitlichen und umweltbezogenen Vorteile der Bio-Landwirtschaft, auch wenn zusätzliche Studien notwendig bleiben, die besonders den Einfluss der Bio-Landwirtschaft auf Gesundheit und Klima betreffen. Das ist auch das Ergebnis einer Studie des Itab-Inrae (staatliche französische Forschungs-Einrichtung zur Bio-Landwirtschaft C.H.) aus dem Jahr 2016 zur Bezifferung ihrer Externalitäten, die regelmässig aktualisiert werden sollte.“ (Seite 16-18)

III.

Das sind klare Aussagen, die sich auf den aktuellen Stand von Wissenschaft und Forschung stützen. Der Rechnungshof setzt sich in seinem Bericht detailliert mit der Frage auseinander, warum Frankreich seine seit 2010 politisch proklamierten Ziele nicht erreicht hat. Aus dieser Analyse leitet er 12 konkrete Empfehlungen ab, die er unter drei grosse Überschriften stellt:

  1. Die Bürgerinnen und die Konsumenten sollen über den Einfluss der Bio-Landwirtschaft und der Herstellung biologischer Lebensmittel auf Umwelt und Gesundheit aufgeklärt werden.
  2. Die öffentliche Unterstützung der gesamten Landwirtschaft soll zugunsten des Bio-Sektors neu ausgerichtet werden.
  3. Die Wertschöpfung in der Bio-Branche soll stärker und besser als bisher unterstützt werden.

Die Empfehlungen lassen sich in ihrer Grundrichtung umstandslos auf die deutschen Verhältnisse übertragen. Das gilt zum Beispiel für die Anerkennung aller Vorteile der Bio-Landwirtschaft bei der Berechnungsmethode für die künftige Umwelt-Kennzeichnung von Lebensmitteln. Das gilt auch für den Vorschlag, die öffentliche Statistik so zu korrigieren, dass das Erreichen von Zielen in der Bio-Landwirtschaft messbar wird und die unterschiedlichen Formen der landwirtschaftlichen Praxis vergleichbar werden.

Besonders wichtig, auch für die deutschen Verhältnisse, sind aus meiner Sicht zwei Empfehlungen, die in der öffentlichen Diskussion über Bio-Landwirtschaft und Bio-Lebensmittel bisher zu selten eine Rolle spielen.

Der Rechnungshof fordert, die Mittel zur Unterstützung von Forschung und Innovation in der Bio-Landwirtschaft deutlich zu erhöhen und dabei auch die möglichst schnelle Verbreitung und Anwendung neuer wissenschaftlicher Erkenntnisse einzubeziehen.

„Obwohl Forschung und Entwicklung einhellig als Schlüsselfaktoren für das Wachstum der Bio-Landwirtschaft anerkannt sind, besteht weiter grosser Bedarf und die bisherigen Projekte sind weder ausreichend koordiniert noch finanziert. Auch die Angebote für Ausbildung und Betreuung sollten verstärkt werden.“ (Seite 152)

„… scheint es wünschenswert, Forschung und Entwicklung im Bio-Bereich stärker zu unterstützen, dafür mehr Mittel zur Verfügung zu stellen und die Arbeiten stärker aufeinander abzustimmen, um den Erwartungen der Fachleute, vor allem der Landwirte, besser zu entsprechen.“ (Seite 163)

Auch in Deutschland ist das dringend notwendig. Trotz gewisser Fortschritte in den vergangenen Jahren steht nur ein ganz kleiner Teil der öffentlichen Gelder für Forschung und Entwicklung in der Landwirtschaft für Projekte der Bio-Landwirtschaft zur Verfügung. Das steht in keinem vernünftigen Verhältnis zur deutlich gewachsenen Bedeutung dieser Form der Landwirtschaft. Wenn Deutschland das Bio-Ziel von 25 Prozent im Jahr 2030 erreichen will, das die Europäische Union in ihrer „Farm to Fork“-Strategie beschlossen hat, dann müssen so schnell wie möglich mindestens 25 Prozent der Ausgaben für landwirtschaftliche Forschung und Entwicklung in Projekte der Bio-Landwirtschaft fliessen: von der Züchtung ökologischen Saatguts über die umweltverträgliche Steigerung von Erträgen bis hin zur Verbesserung der Bodenqualität. Hier bleibt viel zu tun, damit Erfahrungswissen zusammen mit neuen wissenschaftlichen Erkenntnisse eine landwirtschaftliche Praxis möglich machen, die unsere natürlichen Lebensgrundlagen bewahrt statt sie zunehmend zu gefährden und zu zerstören. Das gilt erst recht, wenn die Bundesregierung bis 2030 den Anteil der Bio-Landwirtschaft in Deutschland auf 30 Prozent erhöhen will, wie das im Koalitionsvertrag vereinbart ist.

Noch grundsätzlicher ist eine weitere Empfehlung des Rechnungshofs. Er sieht in der Bio-Landwirtschaft einen Hebel, die Autonomie der Nahrungsmittelversorgung zu stärken, und setzt sich unter Hinweis auf wissenschaftliche Studien mit dem zentralen Einwand gegen diese Position auseinander:

„Die geringeren Erträge der Bio-Landwirtschaft werden oft als ein Hindernis für die Autonomie der Nahrungsmittelversorgung Frankreichs dargestellt. Allerdings bewegen sich die Erträge und die Produktivität der konventionellen Landwirtschaft nach unten, während die der Bio-Landwirtschaft Potential für Verbesserungen bietet, das von Investitionen in Forschung und Entwicklung abhängt.

Durch mehr pflanzliche Proteine in der Ernährung anstatt tierischer Proteine, führt das Bio-Modell übrigens auch dazu, dass der Teil der landwirtschaftlichen Fläche abnimmt, der für Futtermittel und die Viehzucht genutzt wird. Es gibt also eine Antwort auf die Bedürfnisse, die durch die wachsende Erdbevölkerung entstehen und trägt dazu bei, die Ausweitung landwirtschaftlich genutzter Flächen zu Lasten natürlicher Räume zu vermeiden.

Nach einem von Forschern des „Nationalen Forschungsinstituts für Landwirtschaft“ (Inrae) erarbeiteten Szenarios könnte eine Veränderung der Ernährungsgewohnheiten hin zu mehr pflanzlichen Proteinen und weniger Verschwendung von Lebensmitteln trotz geringerer Erträg dazu führen, dass die für die Bio-Landwirtschaft genutzten Fläche im Vergleich zur konventionellen Nutzung um 18 Prozent geringer sein könnte.

Das „Institut für nachhaltige Entwicklung und internationale Beziehungen“ (Iddri) hat ein Modell zur europäischen Autonomie von Landwirtschaft und Ernährung bis 2050 entwickelt. Die Untersuchung weist nach, dass das europäische Landwirtschafts- und Ernährungsmodell nicht nachhaltig ist, vor allem durch den hohen Anteil tierischer Proteine in der Ernährung, die 60 Prozent über den Empfehlungen der Weltgesundheits

-organisation liegen und dazu führen, dass mehr als 60 Prozent des Getreides und der Ölsaaten in Europa (von denen ein grosser Teil als Soja importiert wird) als Tierfutter dient und nicht der menschlichen Ernährung. Dazu kommen die Auswirkungen der Intensiv-Landwirtschaft auf Gesundheit und Umwelt. In einem Szenario, das von der Verallgemeinerung agrar-ökologischer Formen der Bewirtschaftung ausgeht, kommt das Iddri zu dem Ergebnis, dass die Ernährungs-Autonomie für Europa mit seinen 500 Millionen Verbrauchern gesichert werden kann, wenn die landwirtschaftliche Produktion zurückgeht (um 40 Prozent in der Viehzucht und um 30 Prozent bei Pflanzen) verbunden mit einer Umstellung der Ernährung, der Beendigung des Imports von Soja unter Beibehaltung von Exportüberschüssen beim Getreide.

Angesichts der Erderwärmung muss die Resilienz der Bio-Betriebe für die künftige Entwicklung berücksichtigt werden, sowohl für die Höhe der Produktion als auch für die öffentlichen Finanzen angesichts der Risiken, die sich aus den Klimaveränderungen ergeben.

Dieser Ausblick führt zu dem Schluss, die Autonomie von Landwirtschaft und Ernährungssystem auf der Ebene der landwirtschaftlichen Betriebe und Regionen, auf nationaler und europäischer Ebene zu einem Ziel der Landwirtschaftspolitik zu machen. Das sollte auf der Grundlage eines Ansatzes geschehen, der die Produktionssysteme zusammen und zukunftsorientiert in den Blick nimmt. Die Autonomie des Ernährungssystems hat mit dem Konflikt in der Ukraine zusätzlich an Bedeutung gewonnen.“ (Seite 171/172)

IV.

Der Bericht des französischen Rechnungshofs über die vielfältigen Vorteile der Bio-Landwirtschaft ist ein wichtiges Dokument, das die Position der Bio-Landwirtschaft in der politischen und gesellschaftlichen Debatte stärkt.

Der französische Rechnungshof ist eine unabhängige Einrichtung, die nicht im Verdacht steht, aus sachfremden Gründen Position gegen die konventionelle Landwirtschaft zu beziehen. Höchst ungewöhnlich ist, dass der Rechnungshof von Politik und Verwaltung in Frankreich ausdrücklich mehr finanzielle Unterstützung für die Bio-Landwirtschaft und für  Bio-Lebensmittel fordert. Zu dieser Empfehlung kommt er auch deshalb, weil er die externen Kosten der konventionellen Landwirtschaft berücksichtigt, die bei den meisten Debatten noch immer aussen vor bleiben.

Bekanntermassen kommt es gerade bei sensiblen gesellschaftspolitischen Debatten, die einzelwirtschaftliche Interessen in Frage stellen, nicht nur darauf an, welche Argumente vorgetragen werden, sondern auch darauf, wer diese Argumente vorträgt. Es ist ein Unterschied, ob eine im Umweltbereich arbeitende Nicht-Regierungs-Organisation mehr Unterstützung für die Bio-Landwirtschaft fordert oder ob das ein Rechnungshof tut.

Der Bericht des französischen Rechnungshofs kann und sollte dazu beitragen, die Diskussion über die Zukunft der Landwirtschaft und die Zukunft des Ernährungssystems insgesamt zu versachlichen und die Orientierung an den Interessen eines agrar-industriellen Komplexes zu überwinden, dessen Einfluss nach wie vor gross ist.

Wenn ein Rechnungshof so klar und mit so überzeugenden Argumenten für die stärkere öffentliche Förderung von Bio-Landwirtschaft und Bio-Lebensmitteln eintritt, dann sollte das auch Organisationen und einzelnen zu denken geben, die bisher aus ganz unterschiedlichen Gründen Berührungsängste mit diesem Thema haben.

Alle, die sich zum Teil schon seit Jahrzehnten für grundlegende Veränderungen von Landwirtschaft und Ernährung einsetzen, haben im französischen Rechnungshof einen ebenso überraschenden wie überzeugenden neuen Mitstreiter.

Über den Autor:
Christoph Habermann hat nach Abschluss des Studiums der Sozialwissenschaften an der Universität Konstanz mehr als dreissig Jahre in der Ministerialverwaltung gearbeitet. Von 1999 bis 2004 war er stellvertretender Chef des Bundespräsidialamts bei Bundespräsident Johannes Rau. Von 2004 bis 2011 Staatssekretär in Sachsen und in Rheinland-Pfalz.

Der Artikel wurde zuerst am 10. August 2022 bei „Blog der Republik“ veröffentlicht.

IWEFranzösischer Rechnungshof: Mehr Unterstützung für Bio-Landwirtschaft und Bio-Lebensmittel notwendig