Globale Biodiversität in der Krise – Was können Deutschland und die EU dagegen tun?

Globale Biodiversität in der Krise – Was können Deutschland und die EU dagegen tun?

Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus verschiedenen Disziplinen der Biodiversität, Ökologie, Ökonomie, Anthropologie und integrierten Landsystem-Forschung haben sich mit Fragen der globalen Krise der biologischen Vielfalt befasst. In dem daraus resultierenden Diskussionspapier „Globale Biodiversität in der Krise – Was können Deutschland und die EU dagegen tun?“ und in dem dazugehörenden Dokumentationsband zeigen die Autorinnen und Autoren auf, wie Deutschland und Europa reagieren sollten, um das gemeinsame Ziel zu erreichen, den Verlust an Biodiversität zu stoppen.

Die Vielfalt von Pflanzen und Tieren ist eine unserer wichtigsten Lebensgrundlagen. Teil der Evolution war und ist immer auch das Aussterben und die Neuentstehung von Arten. In den letzten Jahrzehnten ist jedoch ein in der Geschichte der Erde bisher nie erreichtes Massenaussterben von Pflanzen- und Tierarten zu beobachten. Der Einfluss des Menschen auf alle Bereiche unserer Umwelt hat so nicht nur zu Klimawandel geführt, sondern auch dazu, dass ein großer Teil der biologischen Vielfalt unwiederbringlich verloren gegangen ist. Was dies für das langfristige Überleben der Menschheit bedeutet, ist aktuell kaum abschätzbar. Wichtig ist jedoch, dass sowohl der Schutz des Klimas als auch der Schutz der Biodiversität untrennbar miteinander verbundene Herausforderungen für die Menschheit sind.

Die Weltgemeinschaft hat bereits bei der Konvention von Rio 1992 die Dringlichkeit anerkannt, die dem Biodiversitätsschutz zukommt. In den letzten fast 30 Jahren verpflichteten sich die Vertragsstaaten zu verschiedenen Zielen, die dem Schutz der Biodiversität dienen sollen und den Verlust der Vielfalt möglichst stoppen sollten. Vieles wurde erreicht, aber der Verlust der Vielfalt geht kaum gebremst weiter.

Publikationen in der Reihe „Leopoldina Diskussion“ sind Beiträge der genannten Autorinnen und Autoren. Mit den Diskussionspapieren bietet die Akademie Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern die Möglichkeit, flexibel und ohne einen formellen Arbeitsgruppen-Prozess Denkanstöße zu geben oder Diskurse anzuregen und hierfür auch Empfehlungen zu formulieren.

Das Diskussionspapier „Globale Biodiversität in der Krise – Was können Deutschland und die EU dagegen tun?“ können Sie hier als PDF herunterladen, den Dokumentationsband hier.

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Bienen und Landwirtschaft: Synergien erforschen, Lösungen entwickeln

Bienen und Landwirtschaft: Synergien erforschen, Lösungen entwickeln

Die Forschungsstrategie „Bienen und Landwirtschaft: Synergien erforschen, Lösungen entwickeln“ der Deutschen Agrarforschungsallianz zeigt, wie die Bedingungen für Honig- und Wildbienen und das Zusammenwirken von Bienen, Imkerei und Landwirtschaft verbessert werden können. Damit soll zum Erhalt der biologischen Vielfalt, zur Verbesserung der Erträge durch optimierte Bestäubungsleistung und zur Resilienz von Agrarökosystemen und landwirtschaftlichen Produktionssystemen beigetragen werden.

Die Strategie formuliert drei Forschungsfelder:

1. Förderung der Bienen-Vitalität (Gesundheit, Leistung, Fitness)

2. Agrarlandschaften und Anbausysteme entwickeln

3. Wechselwirkungen zwischen landwirtschaftlichen Praktiken und Bienen verstehen, um Synergien zu erreichen

Die Empfehlungen beruhen unter anderem auf den Ergebnissen zweier Workshops, an denen insgesamt rund 150 Personen aus Landwirtschaft, Imkerei, Naturschutz, Verwaltung, Wissenschaft und Politik teilgenommen haben. In diesen Veranstaltungen wurden Ist- und Zielzustände verglichen sowie Wege und Forschungsbedarfe für ein synergistisches Zusammenwirken von Bienen und Landwirtschaft diskutiert.

Die Strategie formuliert drei zentrale Forschungsfelder. Dabei steht die Vitalität der Wild- und Honigbienen an erster Stelle, weil diese ihre Rolle im Agrarökosystem bzw. in der Imkerei nur ausfüllen können, wenn sie gesund und leistungsfähig sind. Das zweite Forschungsfeld widmet sich der Frage, wie die Landschaftsstrukturen sowie die Nutzungs- und Bewirtschaftungsformen der Landschaft die Häufigkeit, Diversität und Vitalität der Bienen beeinflussen. Das dritte Forschungsfeld nimmt die Wechselwirkungen zwischen Landwirtschaft, Kulturlandschaft und Bienen in den Blick.

Die Forschung, so eine weitere Forderung, muss flankiert werden durch geeignete Forschungs- und Förderungsstrukturen und eine bessere Kommunikationsstruktur zwischen Forschung, Landwirtschaft, Berufs- und Hobbyimkerei, Amtstierärzten, Beratung und Kommunen. Da neue Erkenntnisse zu Bienengesundheit gegenwärtig über viele verschiedene Einrichtungen, Verbände und Einzelpersonen verbreitet werden müssen, sollte eine zentrale Plattform für Daten-, Wissens- und Kommunikationsmanagement eingerichtet werden.

Ohne eine passende politische Gestaltung kann das Zusammenwirken von Bienen und Landwirtschaft jedoch nicht längerfristig erfolgreich sein. Im marktwirtschaftlichen Wettbewerb können es sich Landwirte in der Regel nicht leisten, ihre Produktionssysteme „betriebswirtschaftlich suboptimal“ auszurichten, indem sie unentgeltlich öffentliche Leistungen erbringen.

Die Politik steht somit vor der Herausforderung, den agrar- und ordnungspolitischen Rahmen so zu entwickeln, dass bienenförderndes Handeln für die Landwirte im betriebswirtschaftlichen Interesse liegt oder zumindest keinen Wettbewerbsnachteil darstellt. Dazu müssen geeignete Maßnahmen entwickelt werden, die mit vertretbarem Aufwand rechtssicher kontrollierbar, regional steuerbar und kulturspezifisch ausgearbeitet sind und mögliche Zielkonflikte mit anderen agrarpolitischen Zielen minimieren.

Die DAFA ist eine Gemeinschaftsinitiative der deutschen Agrar- und Ernährungsforschung. Ihr gehören über 60 deutsche Universitäten, Hochschulen, außeruniversitäre Forschungseinrichtungen sowie Bundes- und Landesforschungsinstitute an. Das Netzwerk verfolgt das Ziel, die Leistungsfähigkeit sowie die nationale und internationale Sichtbarkeit der deutschen Agrar- und Ernährungsforschung zu verbessern und für die Praxis wirksam zu machen.

Die DAFA-Strategie „Bienen und Landwirtschaft: Synergien erforschen, Lösungen entwickeln“ kann hier als PDF in deutscher Sprache heruntergeladen werden und hier in der englischen Fassung.

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Ökologische Landwirtschaft und SDGs: Bio ist Teil der Lösung

Ökologische Landwirtschaft und SDGs: Bio ist Teil der Lösung

Da die Weltbevölkerung bis 2050 voraussichtlich auf 9,7 Milliarden steigen wird, wird die Deckung des künftigen Nahrungsmittelbedarfs als große globale Herausforderung angesehen. Um zu verhindern, dass Nahrungsmittel für eine wachsende Bevölkerung knapp werden, müssen sowohl der Klimawandel als auch der weltweite Konsum angepackt werden – hier sind vor allem Maßnahmen zur Erhöhung des weltweiten Angebots und der Verfügbarkeit von Nahrungsmitteln gefragt. Nach Angaben der FAO müssen diese Maßnahmen darauf abzielen, „mehr mit weniger zu produzieren, den Schwerpunkt auf Qualität und Vielfalt zu legen, Produktivität mit Nachhaltigkeit zu verbinden und auf die Bedürfnisse der Menschen einzugehen“.

Am 1. Januar 2016 haben die Vereinten Nationen und all ihre Mitgliedstaaten die Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung verabschiedet, ein auf 17 Nachhaltigkeitszielen basierender Aktionsplan zur Bewältigung der wichtigsten globalen Herausforderungen der kommenden 15 Jahre. Die Lösung dieser komplexen Herausforderungen und das Erreichen der SDGs erfordern einen ganzheitlichen sowie transformativen Ansatz, der auf den Grundsätzen der wirtschaftlichen, sozialen und ökologischen Nachhaltigkeit aufbaut.

Der Bericht „Ökologische Landwirtschaft und die UN-Ziele für nachhaltige Entwicklung“ befasst sich eingehender mit der vorhandenen Literatur, wie eine nachhaltige Landwirtschaft zur Erreichung mehrerer Nachhaltigkeitsziele beitragen kann – genauer gesagt: wie der ökologische Landbau die Erreichung der UN-Ziele für nachhaltige Entwicklung unterstützen kann. Darüber hinaus wird sich auch Bezug auf die negativen Auswirkungen von Agrochemikalien auf die SDGs genommen.

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Landwirtschaft am Scheideweg

Landwirtschaft am Scheideweg

Der Artikel von IWE-Vorstand Wilfried Bommert erschien in der Zeitschrift Ökologie & Landbau.

Auf dem Weg zu einer Ökologisierung des Agrar- und Ernährungssystems gibt es einige Hemmnisse. Diese sind oft in überkommenen Strukturen begründet. Kann ein Systemwechsel also überhaupt gelingen? Für Wilfried Bommert kommt es auf die kritische Masse an, damit die Vision „100% Bio“ Realität wird.

Hat Bio das Potenzial, die Welt zu ernähren? Un­möglich, urteilt die Allianz der industriellen In­tensivlandwirtschaft. Dagegen sprächen allein schon die Erträge, bei einem Minus von 25 Prozent könne der Hunger der zukünftig zehn oder zwölf Milliarden Erdbewoh­ner nicht gestillt werden. Dabei wird stillschweigend übergan­gen, dass das Potenzial des ökologischen Wegs bisher kaum ausgeschöpft ist. Die Vielfalt an ökologischen Systemen der weltweiten Landwirtschaft ist groß, weit größer als die Flä­chen, die nach den Kriterien der Bioanbauverbände zerti­fiziert und bewirtschaftet werden. Und die Produktivität hält jedem Vergleich stand, wenn man nicht nur Hektarerträge, sondern auch Gewinne an Bodenfruchtbarkeit, Wasserhalte­vermögen, Artenvielfalt, Pestizidfreiheit und Resilienz gegenüber Klimaextremen, also die gesamten Ökosystemleistun­gen, berücksichtigt.

Potenzial zur Ernährung der Welt

Eines der bedeutendsten agrarökologischen Systeme findet sich im Reisanbau. Es setzt auf Extensivierung und bringt dennoch mehr Ertrag hervor. Obwohl es ein extensives Sys­tem ist, erhielt es irreführender Weise den Namen „System of Rice Intensification“. Es verzichtet auf synthetischen Stickstoff und Pestizide, verbessert den Boden, verbraucht nur die Hälf­te des sonst üblichen Wassers und trägt zur Entlastung des Klimas bei, indem es die Nassphase des Reisanbaus, in der Methan entsteht, weitgehend ausfallen lässt. Sein Erfolg be­ruht auf der Erweiterung der Pflanzabstände der Reispflan­zen, die so mehr Wurzelraum erhalten und mehr Triebe bilden können. Auf diese Weise erhöht sich der Ertrag pro Hektar im Schnitt von zwei auf acht Tonnen (Uphoff, 2014). Mittlerweile haben rund fünf Millionen Bauern in über 50 Ländern in Asien, Afrika und Lateinamerika das System übernommen. In China und Indien wird es offiziell von den Behörden gefördert.

Megastädte, die sich ökologisch (selbst) versorgen

Eine besondere Herausforderung für die Zukunft stellen die schnell wachsenden Megastädte dar, wie sie in Afrika, Asien und Lateinamerika entstehen. Wie können sie versorgt wer­den? Südamerika, wo die Städtebildung am weitesten fortge­schritten ist, zeigt mögliche Wege. In der Stadt Rosario in Argentinien schuf die Stadtregierung ein Programm zur Un­terstützung landloser Landarbeiter, die aus dem Hinterland verdrängt wurden, und armer Städter. Sie sollten ihr eigenes Gemüse auf Brachland in der Stadt anbauen, um sich selbst zu versorgen. Die Initiative wurde unter dem Namen „Pro­ grama de Agricultura Urbana (PAU)“ bekannt. Sie führte zu einem Boom städtischer Landwirtschaft, aus dem neue lokale Märkte und Verarbeitungsbetriebe entstanden, die heute ihr Geld damit verdienen, dass sie organisch angebautes Obst und Gemüse, aber auch verarbeitete Produkte an die wohl­habendere Stadtbevölkerung verkaufen. In Brasilien stellte das Zero­Hunger­Programm die Kleinbauern in städtischen Zentren in den Mittelpunkt. Ziel war es, ökologische und da­mit preisgünstige Produkte zu fördern und mit ihnen die ärmere Bevölkerung der Großstädte zu versorgen. Heute wirtschaften 4,3 Millionen brasilianische Kleinbauern nach ökologischen Prinzipien in den großen Städten des Lan­ des und in ihrem Umkreis.

Auf Kuba zeigt das Beispiel Ha­vannas, wie eine Stadt ihre Selbstversorgung steigern kann. Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion musste Kuba eine neue Basis für die eigene Ernährung entwickeln. So wur­den die Brachflächen und Grünanlagen der Städte zu Gärten mit ökologischer Bewirtschaftung, die bei Gemüse mehr als die Hälfte des Bedarfs decken (Koont, 2011). Die hier vorgestellten Beispiele bilden noch keine abgesicherte Strategie zur Versorgung der zukünftigen Megastädte. Sie zeigen jedoch, dass die Zivilgesellschaft weltweit schon heute über eine große Spannbreite erfolgreicher ökologischer Syste­me verfügt. Sie bilden die kritische Masse, mit der ein System­wechsel in ökologischer Vielfalt gestaltet werden kann. Dies auch, weil eine intensivierte Bioforschung und -­praxis noch erhebliche Steigerungen der Erträge erwarten lassen – und das nicht nur in den Entwicklungsländern.

Woran eine zügige Umsetzung zu mehr Bio scheitert

In den Industrieländern und so auch in Deutschland ist die ökologische Agrarforschung ein Stiefkind der Forschungs­förderung. Hier liegt ihr Anteil am gesamten landwirtschaft­lichen Forschungsetat des Bundes bei sechs Prozent. Das wa­ren 2017 rund 278 Millionen Euro. Der geringe Stellenwert des Ökolandbaus im Bereich Forschung spiegelt das geringe politische Interesse wider. Das wird sich grundlegend ändern müssen. Die Zuweisung staatlicher Forschungsmittel muss drastisch steigen, bis 2030 mindestens auf 20 Prozent, um ei­ner flächendeckenden Biolandwirtschaft das notwendige Fundament zu geben.

Einer zügigen und flächendeckenden Ökologisierung steht in Deutschland ein Leitbild der Ernährungspolitik entgegen, das in den 1950er­Jahren geprägt wurde und weiter Bestand hat. Es ist das Leitbild der industrialisierten Landwirtschaft, das im Nachkriegsdeutschland entwickelt wurde. Es sollte die Prinzipien der Industrie auf die Landwirtschaft übertragen. Durch den Einsatz von Technik, Chemie, Hochleistungszucht und Spezialisierung sollte die Produktivität massiv erhöht werden; zum einen, um den Hunger der Nachkriegsjahre zu besiegen, zum anderen, um in der Landwirtschaft Arbeits­kräfte für die boomende Industrie freizusetzen. Der Erfolg dieser Strategie, die aus einem engen Zusammenspiel der landwirtschaftlichen Verbände, der vor­ und nachgelagerten Industrien, der Politik und der Verwaltung bestand, trug zu dem bei, was als deutsches „Wirtschaftswunder“ in die Ge­schichte einging.

Diese agroindustrielle Koalition besteht wei­ter, verfolgt weiterhin das Ziel einer umfassenden Indus­trialisierung und zieht gegen eine Ökologisierung der Landwirtschaft in Deutschland zu Felde. Sie schafft bis heute über die europäische Agrarpolitik immer größere Mono­strukturen auf den Äckern und in den Ställen. Ihr Einfluss ist besonders den Konzernen zuzuschreiben, die zu immer grö­ßeren wirtschaftlichen Machtkomplexen heranwuchsen und mittlerweile globale Dimensionen erreicht haben.
Diese ökonomische Machtballung fördert den politischen Einfluss einer vielfältigen Lobby, die das Konzept der inten­siven Landwirtschaft, des globalen Handels und der indus­triellen Verarbeitung von Lebensmitteln in der ganzen EU sichert und verteidigt.

Zu den stabilisierenden Säulen des Systems gehört auch der Deutsche Bauernverband, dessen Vertreter in den Aufsichtsräten der Agrarkonzerne sitzen und in Deutschland bis in die Ausschüsse des Bundestags vordrin­gen konnten. Ein weiteres Hindernis für die Abkehr vom dominierenden Leitbild sind die Bauern selbst und ihre Investitionen. Getrie­ben von Verbandspolitikern, die die globalen Milch-­ und Fleischmärkte als Heilsversprechen ausgaben, wurde in Ge­bäude und Maschinen investiert. Investitionen in Milliarden­höhe, die über Jahre zurückgezahlt werden müssen und nun den Entschluss erschweren oder auch verhindern, neue Wege einzuschlagen.

Wie die Vision Realität werden kann

Existiert vor dem Hintergrund der Macht­ und Interessen­ballung für ein industrielles Agrarsystem überhaupt die Chance für einen Wechsel hin zu einer Ernährung, die öko­logisch und regional orientiert ist? Die grundlegende Öko­logisierung des Agrar­ und Ernährungssystems kann in Eu­ropa nur ein gesamteuropäisches Projekt sein. Da die Politik sich kaum bewegt, wird die Zivilgesellschaft den notwendigen Systemwechsel einleiten müssen. Die Weichen dafür müssen in Brüssel gestellt werden. Aber die Impulse dafür werden von den europäischen Gemeinschaftsstaaten und von ihren Bür­gern gesetzt. Die Energiewende in Deutschland ist ein Beweis dafür, dass eine solche Strategie „von unten“ Erfolg haben kann. Sie zeigt, welche Hebel dafür in Bewegung gesetzt werden müssen: Beispiel geben, Vorbilder schaffen, Märkte entwickeln, politi­sche Koalitionen schmieden, die öffentliche Förderung neu justieren.

Im Zentrum muss eine neue Weichenstellung in der europä­ischen Agrar-­ und Handelspolitik stehen. Ihr Ziel: Kein Euro darf in Zukunft ohne Prüfung seiner ökologischen Wirkung ausgegeben, kein Vertrag ohne Blick auf die Folgen für die Ernährung der Menschen geschlossen werden. Unter den politischen Maßnahmen, mit denen die Europäische Union die Transformation des Ernährungssystems beginnen muss, steht die Umwidmung der Flächenprämie an vorderster Stelle. Flankierend sollte die Zivilgesellschaft die Diskussion über eine ökologische Transformation des Agrarsystems fördern, indem sie Fragen stellt:

  • nach der Sicherheit von Geldanlagen der Bürger in Fonds und Versicherungen, die ihre Gewinne aus dem Geschäft der Intensivlandwirtschaft ziehen,
  • nach der Praxis der Verpachtung von kirchlichem und kommunalem Land – Kirchen und Kommunen als große Landbesitzer müssen bei der Agrarwende vorangehen,
  • nach der öffentlichen Förderung von Bürgerinitiativen, die in deutschen Städten regionale Ernährungskonzepte entwickeln,
  • nach einem Verbot von Antibiotika in der Tierhaltung, wenn sie Multiresistenzen und damit lebensgefährliche Erkrankungen begünstigen,
  • nach einem Verbot von Pestiziden, die als Hauptursache des massiven Insektensterbens identifiziert und dennoch nicht aus dem Verkehr gezogen werden,
  • und schließlich ob Bauern nicht für Fehlinvestitionen in die industrielle Landwirtschaft entschädigt werden sollten, so wie die Kohle­ und Atomindustrie in der Energiewende.

Nur die Entlastung von diesen Verbindlichkeiten wird es den bäuerlichen Betrieben ermöglichen, dem Zwang zum „Weiter so“ zu entkommen und einen ökologischen Neubeginn zu wagen. Ziel all dieser Aktionen muss es sein, ein politisches Klima zu schaffen, das Ökolandbau bis zur Mitte des Jahrhunderts zum Goldstandard der Landwirtschaft erhebt, wie es der Rat für Nachhaltige Entwicklung schon 2011 empfahl. Die „Vision 100 % Bio“ – so kann sie gelingen.

Zum Weiterlesen: Bommert, W., M. Linz (2018): Landwirtschaft am Scheideweg. Nur eine ökologische Landwirtschaft kann zehn Milliarden Menschen ernähren. Eine Streitschrift. Abrufbar unter kurzlink.de/bommert_linz

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Klimawandel macht Hunger

Klimawandel macht Hunger

Ohne eine ambitionierte Klimapolitik bleibt die Ernährungssicherung auf der Strecke. Die Welthungerhilfe hat in der Publikation „Brennpunkt 1/2019: Klimawandel macht Hunger“ Handlungsempfehlungen zusammengestellt.

Die Fridays-for-Future-Bewegung hat die Politik aufgerüttelt. Deutschland diskutiert über die Bepreisung von CO2 und Städte erklären de Klimanotstand. Für die Armen im Globalen Süden ist das zu wenig. Der Klimawandel hat ihr Leben längst verändert und erweist sich als Hungertreiber. Bei der Anpassung brauchen die Betroffenen unsere Unterstützung. Und wir müssen darüber hinaus politisch umsteuern: in der Energie- und Verkehrspolitik, im Konsumverhalten und in der Land- und Forstwirtschaft.

Die Publikation „Brennpunkt 1/2019: Klimawandel macht Hunger“ der Welthungerhilfe können Sie hier als PDF herunterladen.

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Humus in landwirtschaftlich genutzten Böden Deutschlands

Humus in landwirtschaftlich genutzten Böden Deutschlands

Mit der Bodenzustandserhebung Landwirtschaft des Thünen-Instituts wurde erstmalig eine umfassende und repräsentative Inventur der organischen Kohlenstoffvorräte in den landwirtschaftlich genutzten Böden durchgeführt. Dafür sind in enger Zusammenarbeit mit über 3.100 Landwirten in den Jahren von 2012 bis 2018 mehr als 120.000 Bodenproben genommen und analysiert worden.

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Fragen und Antworten

Fragen und Antworten

Fragen und Antworten

In ihrer jetzigen Form  ist die industrielle Landwirtschaft nicht in der Lage dieWelt zu ernähren.  Das hat folgende Gründe

  1. Sie verliert zuviel Boden. Ein Drittel der Bodenfruchtbarkeit ist weltweit durch die derzeitige Form der Bewirtschaftung verloren gegangen.
  2. Sie verbraucht zuviel Süßwasser. 80 Prozent des Süßwasser- Verbrauchs wird benötigt für die Bewässerungsanlagen der Landwirtschaft , Doch nur 10 Prozent des eingesetzten Wassers kommt tatsächlich bei den  Pflanzen an. Der größte Teil geht auf dem Weg dahin verloren, versickert in morschen Kanälen oder verdunstet im Nebel der Beregnungsanlagen . Der Durst der industriellen Landwirtschaft hat die endlichen Grundwasservorräte bereits um die Hälfte verringert.
  3. Sie verbraucht zuviel fossile Energie. Um eine Nahrungs-Kalorie zu erzeugen müssen im industriellen System 10 fossile Kalorien eingesetzt werden. Der größte Teil wird für die Produktion von künstlichem Stickstoff nach den Haber-Bosch-Verfahren benötigt. Um einen Hektar (10.000 m2) zu bewirtschaften, werden bei uns im Schnitt 180 Liter Diesel(Äquivalent) benötigt.
  4. Sie verringert die Artenvielfalt und damit die Stabilität auf den Äckern. Die ist aber wichtig , weil der Klimawandel zusätzlichen Stress für die Kulturen bedeutet.
  5. Sie belastet das Erdklima und trägt mit einem Viertel wesentlich zum Treibhauseffekt bei. Hierfür sind vor allem die Rodungen von Urwald und Sümpfen für Mastfutter verantwortlich.
  6. Sie erfordert viel Kapital und Know-How und ist damit in einer Welt, in der die Mehrheit  der Landwirte auf Kleinbetrieben, ohne Ausbildung und Kapital wirtschaften, kein Modell, das Schule machen könnte.
  7. Sie führt zu deutlich steigenden Nahrungsmittelpreisen. Grund dafür ist ihre Abhängigkeit von Rohöl und von knappen Düngerrohstoffen insbesondere Phospat. Damit gefährdet sie die Lebensmittelversorgung vor allem der ärmeren Teile der Weltbevölkerung. Die Hälfte der Weltbevölkerung hat weniger als zwei Dollar pro Kopf und Tag für ihre Ernährung zur Verfügung
  8. Sie ist heute schon nicht in der Lage die Welt zu ernähren. Rund 1 Milliarde Menschen, überwiegend auf dem Lande, leiden Hunger und 1,5 Milliarden leiden unter Mangelernährung, weil sie zu den gegenwärtigen Preisen nicht satt werden, oder sich nur einseitig ernähren können.

Nein.

Das IWE fordert mehr und schnelleren Fortschritt in der Land- und Ernährungswirtschaft in eine bestimmte Richtung. Sie muss mit wesentlich weniger Wasser, Dünger und Energie wirtschaften und, wie mit agrar- ökologische Methoden,  pro Kalorie eingesetzter Energie bis zu 10 Nahrungskalorien erzeugen, statt wie bisher pro Nahrungskalorie 10 Kalorien zu verbrauchen.
Sie muss widerstandsfähig gegen den Klimawandel werden. Sie muss ihre Abfälle, die heute bei rund 50 Prozent liegen, verringern. Sie muss die schnell wachsenden Städte des Südens krisenfest ernähren.

Dieser Fortschritt wird von der derzeitig vorherrschenden Technik und Wissenschaft nur stiefmütterlich befördert.

Nein.

Das IWE unterstützt alle Technologien, die in der Lage sind für eine stabile, gesunde, erschwingliche Welternährung zu sorgen. Dafür müssen sie jedoch bestimmte Bedingungen erfüllen: Sie müssen die Bodenfruchtbarkeit fördern oder zumindest wahren.  Moderne Technologien müssen darauf ausgerichtet sein den Wasserhaushalt zu stabilisieren und die Artenvielfalt und damit die Widerstandskraft gegenüber Klimaveränderungen erhöhen. Die Technologien der Zukunft müssen  mit Hilfe der Sonne mehr Energie erzeugen als sie selbst verbrauchen. Sie müssen Treibhausgase binden und dürfen nicht  zur Belastung beitragen. Sie müssen für Kleinlandwirte mit wenig Kapital und traditionellem Wissen anwendbar sein. Sie müssen insbesondere die Frauen, auf denen der größte Teil der Landarbeit lastet, entlasten. Sie müssen die Preise für Lebensmittel erschwinglich halten.Die Land- und Ernährungswirtschaft der Zukunft wird wieder mehr in regionale Kreisläufe eingebunden werden müssen. Dabei werden allerdings moderne Kommunikationstechnologien  wie Handy, Computer und Internet eine wichtige Rolle in der individuellen Versorgung übernehmen.Moderne und  innovative Technologien, die diese Kriterien erfüllen, werden vom IWE gefördert.  Ihre Entwicklung gehört zu den zentralen Herausforderungen einer zukunftsfähigen  Landwirtschaft.

Einige wertvolle Errungenschaften der Vergangenheit sind in den vergangenen 60 Jahren im Zuge  allzu großer Technologiegläubigkeit verloren gegangen.  So wird beispielsweise die Düngung wieder stärker auf alte Konzepte wie Mist von Tieren oder Fäkalien von Menschen zurückgreifen müssen. Ganz einfach weil die Düngerrohstoffe wie Stickstoff und Phosphat in Zukunft knapp und teuer werden. Zur Düngung der Felder müssen deshalb neue Formen von Nährstoffkreisläufen entwickelt werden.In einer zukunftsfähigen Landwirtschaft wird die  Artenvielfalt der Nutzpflanzen wieder wesentlich erhöht werden müssen . Dabei  ist es gut auch auf das gesamte Spektrum der alten Sorten zurückzugreifen. Denn darin ist ein Schatz ( Dürre-, Flut-und Schädlings-Resistenzen) von bisher ungenutzten Eigenschaften erhalten. Schließlich liegen in der Abwechslung der Früchte auf den Feldern, in der sogenannten Fruchtfolge, Chancen für ökologische und ökonomische Gewinne. Handarbeit, insbesondere in der Urbanen Landwirtschaft der armen Länder, wird wieder einen größeren Stellenwert erhalten, weil mit ihr Kapital und teure Technik vermieden und  ersetzt werden kann.Die Land- und Ernährungswirtschaft der Zukunft wird wie vor der Industrialisierung wieder in regionale Kreisläufe eingebunden werden müssen. Ernährung wird im 21. Jahrhundert neu gedacht werden.  Dabei gilt es für die Zukunft aus den Erfahrungen der Vergangenheit zu lernen.

Ja! Die Versorgung liegt bei Fleisch und Milch über dem Verbrauch. Deutschland lebt nicht vom Import sondern vom Export von Lebensmittel. Futtermittel für unsere Fleischerzeugung werden allerdings zum großen Teil importiert. (Die Fläche auf denen sie wachsen, entspricht einem erheblichen Teil der deutschen Ackerfläche.)

Unser Fleischkonsum liegt bei 80 Kilo pro Kopf und damit um 40 Kilo über dem Weltdurchschnitt und über dem, was der Gesundheit gut tut.

In Deutschland, wie in allen Industrieländern, landet mehr als die Hälfte der Nahrungsmittel im Müll. Mehr als die Hälfte der Bevölkerung ist übergewichtig, ein Drittel massiv. In Abfall, Fehlernährung und Fleischkonsum liegen die größten Puffer, um auch mit weiniger Produktion auf lange Sicht alle Menschen ausreichend, preisgünstig und gesund zu ernähren, auch  in Deutschland.

Das System der Welternährung hat heute noch riesige Puffer. Fast die Hälfte aller Lebensmittel verschwindet und verrottet zwischen Acker und Teller. Rund ein Viertel der Weltbevölkerung ist überernährt. Der Fleischkonsum liegt in den Ländern des Nordens weit über dem gesundheitlich Vernünftigen. Allein in diesen drei Bereichen liegt Sparpotential von mehr als 50 Prozent des Nahrungsmittelverbrauchs. Damit wäre theoretisch das Doppelte der heutigen Weltbevölkerung zu ernähren, also 14 Milliarden Menschen. Das Problem liegt darin, dass die Nahrungsmittel nicht dort zu zur Verfügung stehen, wo die Weltbevölkerung und damit der Bedarf am schnellsten wächst, insbesondere in den Städten. Jedoch es gibt Wege aus dieser ungleichen Verteilung: Die Förderung der städtischen Landwirtschaft, sowie die Förderung der bäuerliche Landwirtschaft an den Peripherien der Städte. So wäre die Weltbevölkerung in Zukunft angemessen zu ernähren, doch bisher haben sich diese Konzepte politisch nicht durchgesetzt.

Ja. Medikamente werden im Test am Menschen auf ihre gesundheitlichen Risiken und Landzeitschäden geprüft. Gentechnisch veränderte Organismen unterliegen einer solchen Prüfung nicht.

Großen. Die Lobby arbeitet nicht offen, sondern nach einem Tarnkappen-Prinzip. Sie versucht über Dritte „unabhängige“ Wissenschaftler ihren Einfluss auf die Zulassungsinstitutionen zu sichern.

Großen. Die Lobby arbeitet nicht offen, sondern nach einem Tarnkappen-Prinzip. Sie versucht über Dritte „unabhängige“ Wissenschaftler ihren Einfluss auf die Zulassungsinstitutionen zu sichern.

Was ich hier nicht wegwerfe, muss nicht produziert werden. Was nicht produziert wird, erzeugt keine Klimagase, trägt also nicht zur Klimaveränderung bei. Afrika ist der Kontinent, der in Zukunft am stärksten unter der Erderwärmung leiden wird. Jedes Kilo, das wir nicht wegwerfen, ist ein Beitrag zur Klimarettung.

Hinzu kommt, die Stabilisierung der Preise. Was nicht gekauft wird, treibt auch die Preise nicht in die Höhe. Hunger ist heute zum größten Teil eine Frage der Preise, die von der ärmeren Bevölkerung nicht bezahlt werden können.

Müllvermeiden ist ein Beitrag zur Stabilisierung der Preise in einer Welt, in der Lebensmittel immer teurer werden.

Nein. Aus der Region kommen Gemüse, Kartoffeln Getreide und Obst. Aus den Ländern des Südens kommen vor allem Bananen, Südfrüchten wie Mangos, Ananas und Kokosnüsse, die nicht in Konkurrenz zu unseren Regionen stehen.

Weil sie organisch aufgezogen werden. Sie benötigen weniger oder gar keinen mineralischen Dünger, kaum Agrarchemikalien, weniger fossile Energie und produzieren weniger Treibhausgase. Ihr Anbau verhindert den Verlust von knappen Boden- und Wasserreserven. Er erhält eine vielfältige Landschaft und eine Vielfalt von Arten, was für die Anpassung an den Klimawandel wichtig ist. Die Risiken von Rückständen und multiresistenten Keinen ist deutlich verringert, weil die Produktion weitgehend ohne Agrarchemikalien und ohne Antibiotika-Einsatz erfolgt. Außerdem lohnt es sich zu überprüfen, von wem diese „Studien“ mit welchem Interesse erstellt wurden, und über Geschmack lässt sich bekanntlich streiten.

Nicht unbedingt. Gesund zu essen bedeutet, hochwertige und möglichst wenig verarbeitete Lebensmittel, die individuell bekömmlich sind, achtsam zu genießen und dadurch genug von allennotwendigen Nährstoffen zu bekommen – aber auch nicht zu viel. Eine Ernährung, auf die diese Definition zutrifft, lässt sich sowohl mit als auch ohne Fleisch, Milch und Eier gestalten. Natürlich können auch Veganer zu viele industrielle Fertigprodukte, Fastfood und Süßkram futtern. Allerdings geht die Entscheidung, vegan zu essen, bei vielen Menschen mit einer insgesamt bewussteren Ernährung einher – und die tut dem Körper immer gut.

Quelle: Ernährungswissen, Natürlich ungd Gesund 4/2014

Ja, aber nur in unserer modernen Welt, die Alternativen auch für Nährstoffe bietet, die man wirklich nur von Tieren bekommen kann. Das ist zum einen Vitamin B12. Zwar kann man sich dieses durch bakteriell fermentierte Produkte, wie etwa Sauerkraut, indirekt mit Pflanzen zuführen, aber das reicht meist nicht. Man muss es also entweder als Nahrungsergängungsmittel einnehmen oder zum Beispiel angereicherte Zahnpasta benutzen, denn B 12 kann auch über die Mundschleimhaut aufgenommen werden.
Die zweite kritische Nährstoffgruppe sind die Omega-3-Fettsäuren, genauer: die im Körper aktiven Formen mit den Abkürzungen DHA und EPA. Sie werden ausschließlich von tierischen Nahrungsmitteln geliefert. Die besten Quellen sind Kaltwasserfisch und Innereien wie etwa Hirn; in geringe-
rem Umfang auch Fleisch von Wild und anderen Tieren, die sich bewegen durften und überwiegend mit Gras gefüttert wurden. Es gibt zwar mit der alpha-Linolensäure (ALA) auch eine pflanzliche Omega-3-Fettsäure, doch diese wird nur in so geringem Maß in die aktiven Formen umgebaut, dass selbst ALA-reiche Quellen wie Leinöl kein Ersatz sein können. Der einzige Ausweg für Veganer: Kapseln mit dem Öl der Meeresalgen Ulkenia oder Schizochytrium einzunehmen. Entsprechende Produkte sind bisher praktisch nur über das Internet zu bekommen. Um sie zu finden, müssen Sie die Begriffe DHA, EPA und vegan zusammen eingeben.

Auf den ersten Blick scheint das eindeutig so, denn 30 bis 50 Prozent des weltweit angebauten Getreides wird an Tiere verfüttert, und man braucht im Mittel zehn Kilo davon, um ein Kilo Fleisch zu erhalten. Andererseits kann man nicht einfach voraussetzen, dass die Probleme der Welternährung gelöst wären, wenn die Früchte all dieser Ackerflächen nicht mehr für Tierfutter genutzt würden. Denn schon jetzt müsste
eigentlich niemand hungern, wenn das vorhandene Getreide
erstens besser verteilt und zweitens auch wirklich gegessen würde – denn die Hälfte aller produzierten Nahrungsmittel landet im Müll. „In den reichen Ländern liegt der Grund vor allem in Überproduktion und Verschwendung, während in armen Ländern vieles wegen schlechter Lagerbedingungen verdirbt“, sagt Dr. Wilfried Bommert vom Institut für Welternährung in Berlin. Hunger ist also vor allem ein wirtschaftliches, organisatorisches und politisches Problem.
Richtig ist allerdings, dass die Gier nach großen Mengen Fleisch, Milch und Eiern für möglichst wenig Geld diese ungerechten Systeme unterstützt. Die Lösung besteht jedoch nicht darin, überhaupt kein Vieh mehr zu halten, sondern es artgerecht leben und das fressen zu lassen, was Menschen ohnehin nicht verdauen können – nämlich Gras und Gestrüpp statt Getreide. „In dieser Rolle brauchen wir die
Tiere“, sagt Professor Franz-Theo Gottwald, Vorstand der renommierten Schweisfurth-Stiftung, die sich mit ethischen Fragen der Nutztierhaltung beschäftigt. „Weltweit leben zwei Milliarden Menschen in Landschaften, die ausschließlich durch eine intelligente Weidewirtschaft auf nachhaltige Weise Nahrung liefern.“ Auch in Deutschland könnte man mehr auf Weidehaltung und weniger auf schnelle Getreidemast setzen, aber dann gäbe es für sehr viel weniger Tiere Platz, so dass die daraus hergestellten Produkte deutlich teurer würden und in vielen Haushalten nur noch selten auf den Tisch kämen. Genau diesen Weg halten die Experten für richtig: „Wir müssen als Einzelne und als Gesellschaft den Konsum von Fleisch, Eiern und Milch drastisch reduzieren“, sagt Bommert. Ein völliger Verzicht sei aber unnötig.

Quelle: Ernährungswissen, Natürlich ungd Gesund 4/2014

Ja, das stimmt. Wenn Kühe, Schafe oder Ziegen Milch geben sollen, müssen sie immer wieder Jungtiere zur Welt bringen. Zumindest die männliche Hälfte des Nachwuchses wird für die Fleischproduktion aufgezogen und schließlich geschlachtet. Bei den Legerassen der Hühner werden die männlichen Küken sogar gleich nach dem Schlüpfen ge-
tötet, weil deren Mast als unwirtschaftlich gilt. Zwar arbeitet die Biobranche intensiv an neuen Züchtungen, bei denen die weiblichen Tiere legefreudig sind und die männlichen gut Fleisch zum Verzehr ansetzen, aber noch sind Eier dieser sogenannten „Zweinutzungshühner“ nur schwer zu bekommen. Und außerdem werden natürlich auch die Hähne dieser neuen Rassen am Ende geschlachtet und landen in der Pfanne oder im Suppentopf.

Quelle: Ernährungswissen, Natürlich ungd Gesund 4/2014

Das kommt darauf an, was man darunter versteht. Wenn man es ablehnt, dass die Tiere irgendwann getötet werden, ist tatsächlich nicht mal Fleisch von frei lebendem Wild
akzeptabel. Bommert und Gottwald halten dagegen Bio-
Produkte für empfehlenswert, vor allem von den Anbauverbänden wie Demeter, Bioland etc., weil diese strengere Vorgaben machen als das EU-Siegel. Wer sich mehr Mühe machen will, kann auch direkt beim Bauern einkaufen und sich selbst überzeugen, dass es den Tieren gut geht. Noch konsequenter ist es, sich der Solidarischen Landwirtschaft anzuschließen. Bei diesem Konzept bildet eine Gruppe von Menschen eine Wirtschaftsgemeinschaft mit einem Bauernhof, den jeder mit einem festen monatlichen Beitrag finanziert. Dafür entscheiden alle mit, welche Pflanzen angebaut und wie viel Vieh gehalten werden soll. So kann der Landwirt aus dem Zwang zur Massenproduktion aussteigen und die Konsumenten bestimmen direkt über das Schicksal der Tiere. Klingt utopisch, funktioniert aber auf immer mehr Höfen in Deutschland, teilweise seit über 20 Jahren (Adressen unter: www. solidarische-landwirtschaft.org).Wichtig sind aber nicht nur die Lebensbedingungen, sondern auch, wie die Schlachtung der Tiere organisiert ist: Sie sollten vorher keine Angst und keine Qualen erleiden. Das ist zum Beispiel dann garantiert, wenn sie schnell und sicher direkt auf der Weide oder dem vertrauten Heimathof erschossen werden – anstatt stundenlang auf einem Transporter eingepfercht zu sein und dann zu geradezu abgestumpften Menschen getrieben zu werden, die im Akkord töten, aber diesen Job nicht immer wirklich präzise erledigen.

Quelle: Ernährungswissen, Natürlich ungd Gesund 4/2014

Durchaus, denn zugleich haben auch überzeugte Bratenfans ihre persönliche Liste von Tieren, deren Fleisch sie niemals anrühren würden – obwohl es beispielsweise zwischen Schwein und Hund, zwischen Kuh und Pferd keine prinzipiellen Unterschiede gibt. Trotzdem ist die Behauptung vermessen, nur Veganer würden Tiere wirklich lieben, alle anderen seien Schwätzer. Selbst unter Menschen mit einer geradezu spirituellen Verbindung zu Tieren gibt es Fleischesser. Sie sehen sich selbst, die Pflanzen und die Tiere im gleichen Kreislauf der Natur eingebunden.
Viele Veganer lehnen sich gegen die Tatsache auf, dass niemand leben kann, ohne dass etwas Anderes sterben muss. Das betrifft allerdings auch Pflanzen, so dass sich die Frage stellt, ob und inwieweit es eine Hierarchie in der Natur gibt; warum gelten Schnecken und andere Lebewesen, die im Garten und auf den Feldern unerwünscht sind (oder beim Umgraben auf der Strecke bleiben) weniger als ein Huhn? Und je intensiver Landwirtschaft betrieben wird, desto mehr Wildtiere sterben, weil ihnen keine Lebensgrundlage bleibt. „Dieser Schaden, der den Tod ganzer Ökosysteme bringen kann, wird von kaum jemandem gesehen“, sagt Gottwald. Wenn man Leben schützen will, hält er es daher für wichtiger, mit dem Einkauf eine naturverträgliche Landwirtschaft zu fördern – und nicht so sehr, ob man nur Möhren und Tofu
oder auch Wurst, Joghurt und Eiersalat im Korb hat.

Quelle: Ernährungswissen, Natürlich ungd Gesund 4/2014

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