Systemwechsel und Meilensteine – Wording statt Politik

Ein Kommentar von IWE-Vorstand Wilfried Bommert zur EU-Agrarreform

Es sind die Worte, die Realitäten schaffen. Was politisch nicht zu erreichen ist, wird wenigstens verbal hochgehalten, um zu Hause nicht ganz das Gesicht zu verlieren.

Die deutsche Landwirtschaftsministerin Julia Klöckner steht unter Druck von vielen Seiten. Von der Agrarlobby, die ein „weiter so“ mit ihren Traktoren erzwingen will. Von der Ernährungsindustrie, die die Ministerin als willfähriges Aushängeschild für ihre kalorienreiche aber gesundheitsarme Massenproduktion nutzt. Von den Umweltverbänden, die versuchen, ihr eine Ernährungswende abzuringen. Mit der deutschen Präsidentschaft hat sie nun auch noch die unwilligen Staaten Europas am Hals, die in ihrer Mehrheit alles wollen außer Bewegung und schon gar keine ökologische. Wer vor dieser Szenerie nicht verzweifelt, muss ein dickes Fell haben oder ein strategisches Sprachvermögen. Und das kann man der Ministerin nicht absprechen, als sie nach durchgesessener Nacht an die Öffentlichkeit trat und ein Ergebnis verkünden musste, dass keinerlei Taten in Richtung einer klimaverträglichen Landwirtschaft enthält. Was ihr und ihren Berater*innen blieb, um wenigstens die eigene Haut zu retten, war Wording. Die richtige Wortwahl, die verschleiert und beschönigt, was nicht zu beschönigen ist.

Der Kompromiss um die Zukunft der europäischen Agrarpolitik gibt vor, ein Meilenstein in Richtung Umweltverträglichkeit zu sein. Zwanzig Prozent der Mittel, die bisher wahllos verteilt wurden, sollen in Eco-Schemes fließen – Umweltprogramme, die sich die Nationalstaaten selbst ausdenken können. Und wenn die Bauern da nicht anbeißen, fällt das Geld zurück in die alte Gießkannenförderung. Meilenstein, super!

Dieser Mogelpackung auch noch der Titel „Systemwechsel“ umzuhängen, zeigt die Not, in der die Ministerin steht. Sie muss mit einem vorzeigbaren Ergebnis zurück in ein Deutschland kommen, in dem die Grünen immer mehr Land gewinnen. Und wenn das der Kompromiss nicht hergibt, dann zumindest das Wording, mit dem er nun verkauft werden soll. Wer Geschichten kennt, der denkt hier an „Des Kaisers neue Kleider“. Sie sollten die peinliche Nacktheit einer Majestät kaschieren, die längst den Bezug zur Wirklichkeit verloren hat.

Das Verfahren macht klar, das nach wie vor Einsteins Lehrsatz gilt: Die, die mit ihrer Strategie den Karren in den Dreck gefahren haben, werden ihn mit der gleichen Strategie nicht heraus bekommen. Da braucht es andere Kräfte. Und die sitzen nicht in Brüssel oder Straßburg am Verhandlungstisch, sondern in Köln und Hamburg, in Berlin und München – in mehr als 50 deutschen Städten. Sie sitzen als Bürger*innen in Ernährungsräten, die sich vorgenommen haben, das verfahrene Ernährungssystem politisch von unten neu aufzustellen, in der Region, für die Region, fair und klimaverträglich. Für sie ist das Signal aus Brüssel ein Meilenstein, der ihnen klar macht, dass es für ihre Arbeit an einer Ernährungswende von unten keine Alternative gibt. Und es ist ein Aufruf zum Systemwechsel, nicht als rhetorische Hülse, wie die deutsche Agrarministerin ihn nutzt, sondern als Vision, die Realität werden kann, wenn man ehrlich und engagiert daran arbeitet. Politik statt Wording und nicht Wording statt Politik.

IWESystemwechsel und Meilensteine – Wording statt Politik