Walter Haefeker ist Berufsimker und spricht im Interview mit Ines Meier über das Bienensterben, die Intensivierung der Landwirtschaft und die Chancen, die Open Source Lizenzen, Samenbanken und Bienenstrom für das Überleben der Bienen bieten.
Walter Haefeker war ursprünglich IT-Manager und viele Jahre im Silicon Valley tätig. Bei seiner Rückkehr nach Europa stieß er durch sein Interesse an alten landwirtschaftlichen Geräten auf sogenannte Kanitzkörbe für Bienen. Seine Kinder waren von Anfang an begeistert. Sein jüngster Sohn nahm sich eine Sonnenblume aus der Vase und ging damit zum Bienenkorb, um die Bienen zu füttern. Walter Haefeker ist inzwischen seit 15 Jahren Berufsimker und engagiert sich als Vorstand im Deutschen Berufs- und Erwerbsimkerverbund, als Präsident des Europäischen Berufsimkerverbandes sowie als Leiter der Arbeitsgruppe Gentechnik im Weltimkerverband Apimondia.
Um auf das Bienensterben aufmerksam zu machen, hat vor kurzem ein Supermarkt nahe Hannover ohne Ankündigung über Nacht alle Produkte weggeräumt, die es ohne Bienen nicht geben würde. Das Angebot verkleinerte sich um 60%. Wie würde unsere Welt ohne Bienen aussehen?
Ich war in diese Geheimaktion involviert, sie hat sehr eindrücklich gezeigt, was auf dem Spiel steht. Eine Vielfalt von Obst und Gemüse ist von der Bestäubung durch Honigbienen und ihre Verwandten abhängig. Ohne Bienen würden wir uns hauptsächlich von Haferschleim oder ähnlichem ernähren, unser Nahrungsangebot wäre stark verarmt.
Eine Welt, die Bienen existenzgefährdend unter Druck setzt, wäre darüber hinaus in vielen anderen Aspekten lebensfeindlich. Die Auswirkungen sehen wir heute schon in der Vogelwelt. Auch uns würde es physisch und emotional schlecht gehen.
In China müssen Menschen mittlerweile ganze Obstplantagen per Hand bestäuben. Der Einzelhandelsriese Walmart hat in den USA gerade Patente für mehrere autonome Roboter-Bienen angemeldet, die Blüten bestäuben, Schädlinge überwachen und Pestizide spritzen sollen. Warum sterben Bienen weltweit?
Wir haben die Rahmenbedingungen für Bienen an vielen Stellschrauben verschlechtert. Wir haben ausgeräumte Agrarlandschaften mit einem minderwertigen Blütenangebot. Dabei ist vor allem die Vielfalt des Pollens sehr wichtig für die Bienen. Wir setzen Pestizide ein, um die Agrarlandschaft maschinengerecht zu machen. Wir haben Mähtechnik, die mit hoher Geschwindigkeiten blühende Wiesen mäht, dabei kommen jede Menge Bienen zu Schaden. Wir haben bei der Honigbiene eingeschleppte Bienenkrankheiten. Wir haben keine Nistmöglichkeiten für Wildbienen. Es gibt viele Ursachen für das Bienensterben, hinter denen aber jeweils die Intensivierung der Landwirtschaft steht.
Wie unterscheiden sich Wild- von Nutztiervölkern?
Das ist regional verschieden. In Europa haben wir noch eine große genetische Vielfalt bei den Bienen. Die Honigbiene ist hier heimisch, aber durch die eingeschleppte Varroamilbe ohne Unterstützung der Imker nicht überlebensfähig. Dieser Parasit ernährt sich von der sogenannten Hämolymphe, der nährstoffhaltigen Körperflüssigkeit der Honigbienen, und ist ihr gefährlichster Feind. Abgesehen von der notwendigen Behandlung der Varroamilbe wären aber die Bienenvölker, mit denen wir als Imker arbeiten, auch wild lebensfähig. Bienenhaltung ist also nicht vergleichbar mit Schweinemast oder Geflügelhaltung.
Wie werden Bienen gezüchtet und was sind die Zuchtziele?
Ein Bienenvolk vermehrt sich durch Teilung, normalerweise über den Schwarm. Diese Teilung kann der Imker auch selbst vornehmen. Bevor ein Bienenvolk schwärmt, zieht es sich eine oder mehrere neue Königinnen. Die Vermehrung der Königinnen kann der Imker lenken. Es gibt verschiedene Verfahren, um sowohl bei der Königin als auch bei den sogenannten Drohnenvölkern, die die männlichen Bienen liefern, bestimmte Eigenschaften zu selektieren oder zu stärken.
Da wir in Europa eine hohe Bevölkerungsdichte haben, ist es wichtig, dass die Bienen sanftmütig sind. Wenn einem Imker auffällt, dass ein Volk besonders aggressiv oder stechlustig ist, wird auf dieser Basis nicht weiter gezüchtet. Eine große Rolle bei der Züchtung spielen natürlich auch die Resistenz gegen Bienenkrankheiten und der Honigertrag.
Wem gehören die Bienen? Gibt es wie im Saatgutbereich auch hier eine zunehmende Marktkonzentration?
Wir sind glücklicherweise in der Situation, in der die Bauern waren, bevor Konzerne in den Bereich eingestiegen sind. Die Bienenzucht ist extrem vielfältig, hier wird kooperativ Zuchtmaterial getauscht. Züchter, die für die Selektion und Vermehrung ein besonderes Händchen haben, beliefern Imkerkollegen, die sich auf die Honigproduktion konzentrieren, mit Königinnen. Diese Königinnen sind frei von Lizenzen und Rechten des Züchters, so dass jeder Imker uneingeschränkt mit diesem Zuchtmaterial arbeiten kann.
Spielen Patente in der Bienenzucht überhaupt eine Rolle?
Gott sei Dank spielen Patente hier noch keine Rolle. Das ist unsere Chance: Wir müssen jetzt dafür einstehen, dass das auch so bleibt. Wir sind Teil der Bewegung, die dafür gesorgt hat, dass Europa weitgehend gentechnikfrei ist. Und wir haben uns natürlich sehr genau angeschaut, was den Bauern mit ihrem Saatgut passiert ist. Da war es plötzlich nicht mehr der Nachbar, der besonders gut züchten konnte. Stattdessen waren es Firmen, die Lizenzen auf Hybrid-Saatgut erhoben haben. Die Einführung des Sortenschutzrechts hat das, was Landwirte machen und verbreiten können, eingeschränkt. Auch das gibt es im Bereich der Imkerei nicht.
Als erster Verband überhaupt arbeitet der Verband Bayerischer Carnicazüchter inzwischen mit einer Open Source Lizenz. Welche Vorteile versprechen diese öffentlichen Lizenzen?
Der Carnicazuchtverband in Bayern war der erste Verband, der diesen Schritt gemacht hat. Aber inzwischen tut sich auch in Nachbarländern wie Holland und Frankreich etwas, auch bei anderen Bienenrassen. Zunächst geht es darum, die gemeinsame Zuchtarbeit, die in einem Verband geleistet wird, vor dem Zugriff durch Dritte zu schützen. Wir wollen sicherstellen, dass wir als Imker auch in Zukunft kooperativ zusammenarbeiten und diese Art der Bienenzucht fortführen können.
Der Weltimkerverband Apimondia hat vor zwei Jahren angekündigt, weltweit ein Open Source System für Bienenhalter einführen zu wollen. Wie wird dieses Vorhaben aufgenommen und wie ist der aktuelle Stand der Entwicklungen?
Ich bin beim Weltimkerverband für das Thema Gentechnik zuständig. Als ich dem Verbandsvorstand diese Strategie vorgeschlagen habe, wurde sie mit großer Begeisterung aufgenommen. Bei einer Open Source Lizenz ist eine juristische Person als Lizenzinhaber formal sehr wichtig. Gegenüber anderen Bereichen der Landwirtschaft sind wir in der glücklichen Lage, dass wir einen Weltverband haben, der diese Rolle übernommen hat. Wenn man einer juristischen Person diese Lizenzrechte einräumt, muss man sicherstellen, dass sie nicht gekauft oder anderweitig beeinflusst werden kann. Diesen großen, breit aufgestellten und neutralen Boden haben wir mit Apimondia. Aktuell erklären wir den einzelnen Imkerverbänden, wie das Open Source System funktioniert und wie man es umsetzen kann.
Auch die Landwirte in der Nutztierzucht haben beobachtet, was im Saatgutbereich passiert ist. Trotzdem gibt es keine vergleichbare strategische Selbstorganisation.
In der Bienenhaltung haben wir eine glückliche Verkettung von Umständen. Ich war in den 80er Jahren als Vertreter für Siemens in der Open Source Foundation, ich kenne also die Open Source Bewegung im IT-Bereich von Anfang an. In diesem Bereich waren die gesamte Computersoftware und vor allem die Betriebssysteme durch Firmen lizensiert und patentiert. Dadurch hatten die Universitäten Schwierigkeiten, Informatik zu lehren.
Bei Open Source im Bienenbereich geht es also nicht nur um die Sicherung der Rechte von Imkern, sondern auch um die Sicherung der Forschungsmöglichkeit für die Bienenwissenschaft. Wir haben in der Imkerei Quereinsteiger, die das Prinzip verstehen und wissen, wofür man es nutzen kann. Als deutlich wurde, dass es Versuche gibt, Bienen gentechnisch zu verändern, war klar, dass wir dieser Entwicklung mit einer Open Source Lizenz einen Riegel vorschieben müssen.
Bei meinen Recherchen zur Entwicklung einer solchen Lizenz für die Imkerei stieß ich auf die Open Source Initiative beim Saatgut. Das war ein weiterer glücklicher Umstand. Es gibt in der Landwirtschaft keinen anderen Bereich, in dem die Voraussetzungen für die Umsetzung von Open Source so gut sind wie bei den Bienen. Beim Thema Saatgut ist das Kind bereits in den Brunnen gefallen, in der Nutztierzucht sieht es brandgefährlich aus. Bei den Bienen haben wir aber bisher keine Sortenschutzregeln, Lizenzen oder Patente. Und wir haben eine Weltorganisation, die das System global umsetzen kann.
Als eine Reaktion auf das weltweite Bienensterben gibt es internationale Bestrebungen zum Aufbau von „Bienen-Banken“. Was genau wird da konserviert und wer kann die Banken nutzen?
Wir konservieren das Sperma von Drohnen. Die Bienen-Genbanken sind vergleichbar mit Saatgutbanken. Diese Initiative wird ebenfalls innerhalb des Weltimkerverbandes koordiniert und läuft parallel zu unserer Open Source Lizenz. Auch hier versuchen wir aus den Fehlern zu lernen, die wir beim Saatgut beobachtet haben. Die Landwirte haben brav ihre gesamte Vielfalt bei Saatgutbanken abgeliefert. Wie man beispielsweise in Gatersleben sieht, hat der Staat dann ein Biotech-Zentrum direkt auf diesen Standort gebaut und das Ganze in einen Selbstbedienungsladen für Konzerne verwandelt. Das wollen wir bei den Bienen verhindern. Deswegen kommt in unsere Genbanken nur Material, das unter der Open Source Lizenz steht.
In Städten wie Berlin gibt es inzwischen sehr viele Bienenhalter_innen, während etwa in Brandenburg großer Mangel herrscht.
Wir erleben einen großen Boom der Imkerei in den Städten. Viele Menschen wollen sich für die Bienen engagieren, das finden wir sehr gut. Allerdings hat beispielsweise die Honigbiene einen relativ hohen Betreuungsaufwand, weil sie gegen die Varroamilbe behandelt werden muss. Man sollte also entsprechende Kurse für Bienenhaltung absolvieren und sich überlegen, ob man die Betreuung von einem oder mehreren Bienenvölkern zeitlich leisten kann. Bienen warten nicht, bis man von einer Geschäftsreise zurückkommt, sie schwärmen beispielsweise, wann sie wollen.
Wir müssen verstärkt daran arbeiten, dass wir Menschen, die sich für Bienen interessieren, die ganze Welt der Bienen nahebringen. Für diejenigen, die Bienen halten wollen, aber wenig Zeit haben und auch keinen Honig produzieren möchten, gibt es andere Möglichkeiten. In Deutschland haben wir neben der Honigbiene hunderte weitere Bienenarten. Hummeln und Solitärbienen brauchen genauso Unterstützung wie die Honigbiene. Es gibt für jeden Menschen die passende Biene. Ein Boom der Imkerei in den Städten nutzt der Landwirtschaft allerdings erst einmal nichts.
Noch einmal zurück zur Aktion des Supermarktes in Hannover. Der Rewe-Vorstand resümierte da angesichts der immerhin noch gut bestückten Auswahl an Alkoholika lakonisch: „Besaufen können wir uns in Zukunft noch, aber sonst wird’s eng“. Was muss die Politik tun, um die Bienen zu schützen?
Ein wichtiger Schritt der europäischen Politik war das Verbot bienengefährlicher Neonicotinoide im Freiland, das nächstes Jahr wirksam wird. Wir brauchen auf der politischen Ebene ein Umsteuern hin zu einer bienenfreundlichen Agrarpolitik. Davon würden die Landwirte profitieren. Die Bestäubung durch Honigbienen und andere Bestäuber steigert die Erträge und die Qualität der Produkte und ist den Mitteln der Agrarindustrie häufig überlegen. Open Source ist dabei ein wichtiges Feld, nicht nur bei den Bienen oder beim Saatgut.
Der chemische Pflanzenschutz hat seinen Zenit überschritten, das ist eine gute Nachricht für die Bienen. Es wird immer schwieriger, chemischen Pflanzenschutz zur Zulassung zu bringen. Wenn sich herausstellt, dass das Produkt gefährlicher ist als angenommen – was meist der Fall ist – werden die Produkte wieder verboten. Stark im Kommen ist gerade der digitale Pflanzenschutz, der mit leichten Agrarrobotern und Bilderkennung arbeitet. In der Auseinandersetzung zwischen Zivilgesellschaft und Konzerninteressen wird es darum gehen, wem die Daten gehören. Werden unsere Landwirte nicht nur beim Saatgut, sondern auch bei den digitalen Daten, die sie für die neuen Anbaumethoden brauchen, von großen Konzernen abhängig?
Alle großen Chemiehersteller haben inzwischen eine Digitalabteilung und träumen davon, dass die Landwirte ihre Daten in ihrer Cloud haben. Da müssen wir schnell handeln, denn die Konzerne haben dazu bereits entsprechende Überlegungen. Wenn Uni-Projekte, in denen Agrarroboter und die Erkennung von Unkräutern und Schädlingen erforscht werden, mit öffentlichen Geldern gefördert werden, müssen die Ergebnisse unter eine Open Source Lizenz gestellt werden. Das ist das Know-How, das die moderne Landwirtschaft des 21. Jahrhunderts ausmachen wird. Die Unis dürfen ihre Forschungen nicht patentieren und die Patente an Konzerne verkaufen, um sich zu refinanzieren.
Was kann jede_r Einzelne gegen das Bienensterben tun?
In der Stadt und in den Siedlungsgebieten kann jeder Zierrasen und Zierpflanzen durch Bienenweidepflanzen ersetzen. Es ist schön, wenn der Garten nicht nur blüht, sondern auch summt. Man kann bienenfreundlich zertifizierte Produkte wie die unseres europäischen Siegels „Certified Bee Friendly“ kaufen und alternativ Bio-Produkte.
Unser ältestes Projekt ist beispielsweise die Sternenfair-Milch. Die Milchbauern haben kaputte Preise, weil sie mit sehr intensiven – und bienenschädlichen – Methoden zu viel Milch produzieren. Sie erinnern sich vielleicht an die große Milchkrise 2009, wo die Milchbauern im Streik vor das Kanzleramt gezogen sind. In dieser Zeit hat sich der Bund Deutscher Milchviehhalter (BDM) vom Bauernverband abgespalten. Die Landwirte haben verstanden, dass der Bauernverband nicht die Interessen der Landwirte vertritt, sondern die Interessen derer, die an den Landwirten verdienen.
Die Milchbauern wollten eine faire Milch. Wir haben den Landwirten vorgeschlagen, die Kriterien für ein neues Milchprodukt gemeinsam zu erarbeiten. Ziel war ein rundum faires Produkt – fair für den Landwirt, den Verbraucher und die Bienen. Das war damals eine unideologische Diskussion. Wir haben den konventionellen Landwirten erklärt, wie sich ihre verschiedenen Produktionsmaßnahmen auf die Bienen auswirken. Sie sind mit uns über das Thema Bienen schon die halbe Strecke zu Bio gegangen. Die Sternenfair-Milch existiert bis heute und ist das erfolgreichste faire Milchprodukt überhaupt. Bei der letzten Milchkrise mussten sehr viele Betriebe hier in Bayern aufgeben. Bei keinem der Betriebe, die mit uns zusammenarbeiten, war das der Fall.
Die neueste Errungenschaft in dem Bereich ist der sogenannte Bienenstrom, dafür kooperieren wir mit den Stadtwerken Nürtingen. Je nach Menge des Ökostroms wird von Landwirten eine bestimmte Fläche in der Agrarlandschaft zum Blühen gebracht. Jemand, der selbst nur einen Balkon hat, kann durch den Wechsel des Stromanbieters dafür sorgen, dass es mehr Blüten in der Landschaft gibt. Wir kooperieren dafür auch mit dem Fachverband Biogas, um mittels einer ausreichenden Zahl an Stromkunden vermehrt Blühpflanzen statt Mais in die Biogas-Produktion zu bringen.
Foto: Durch Spritzmittel vergiftete verendete Biene vor dem Flugloch – Urheber/in: Global 2000 / (CC) BY-NC-ND
Das Interview wurde ursprünglich im Rahmen der Aktion „Vielfalt statt Macht“ auf der Website der Heinrich-Böll-Stiftung www.boell.de veröffentlicht.