Filmkritik: Unser Saatgut – Wir ernten, was wir säen

Eine Filmkritik von Ines Meier
DAVID GEGEN GOLIATH

Bei der Rettung des Saatguts ginge es um Sex, Menschen seien besessen von Sex, selbst wenn es nur Steckrüben-Sex sei. Will Bonsall, Gründer des Scatterseed Projekts, wirkt wie ein hippiesker Weihnachtsmann und schwadroniert schmunzelnd vor seinem Holzschuppen. Diese einigermaßen schräge Szene ist der Beginn des Trailers zu Taggart Siegels und Jon Betz’ Dokumentarfilm „Unser Saatgut – Wir ernten, was wir säen“. Der erste Eindruck also: Hier wird ein Film darauf aus sein, mit  den Mitteln des Boulevards eine Zielgruppe zu kapern, die Saatgut sonst in etwa so spannend und relevant wie Briefmarkensammeln findet. Von dem kleinen Fehltritt darf man sich glücklicherweise nicht irritieren lassen: Dieser Dokumentarfilm geht uns alle an.

Saatgut ist die Grundlage unserer Ernährung – und diese zentrale Ressource ist extrem bedroht. Mehr als 90% Prozent aller Saatgutsorten sind im Zuge der Industrialisierung der Landwirtschaft bereits verschwunden. Seit der Übernahme von Monsanto durch Bayer in diesem Jahr beherrschen nur noch drei Konzerne mehr als 60% des weltweiten Saatgut-Marktes. Eine immer größer werdende Bewegung aus Bauern, Gärtnern, Umweltaktivisten, Wissenschaftlern und Bürgern stemmt sich gegen diese Entwicklung. Unser Saatgut – Wir ernten, was wir säen ist nach Queen of the Sun: What Are the Bees Telling Us? über das Bienensterben die zweite Zusammenarbeit der US-amerikanischen Dokumentarfilmer Taggart Siegel und Jon Betz, die auch die gemeinnützige Filmproduktion Collective Eye Films betreiben. Sie machen kein Geheimnis daraus, auf welcher Seite sie im Kampf von David gegen Goliath stehen.

Siegel und Betz führen uns in Unser Saatgut – Wir ernten, was wir säen durch die Geschichte des Saatguts, das über Jahrtausende in der Hand der Bauern lag. Bis vor einigen Jahrzehnten war allen Kulturen quer über den Globus freier Zugang zu Saatgut selbstverständlich, Saatgut war Gemeingut bevor es zum Handelsgut verkam. Für ihre komplexe Bestandsaufnahme mit Fokus auf den amerikanischen Kontinent interviewen Siegel und Betz eine ganze Reihe an Saatgut-Aktivisten – darunter viele indigene Bäuerinnen und Bauern, die Physikerin Vandana Shiva, die Umweltjuristin Claire Hope Cummings, die Primatologin Jane Goodall sowie NGOs und Projekte, die sich dem Aufbau und Erhalt von Saatgutbanken widmen.

Die Geschichte des Saatguts ist letztendlich eine Geschichte des globalen Kapitalismus.  Großindustrielle entwickeln da unter dem Deckmantel des Versprechens auf höhere und bessere Erträge hybrides und genmanipuliertes Saatgut, das vor allem ihrer eigenen Profitmaximierung dient. Da es patentiert ist und nicht mehr von den Bauern vermehrt werden darf, müssen sie es jedes Jahr neu kaufen. Die Saatbanken und Saatgutpraktiken der Bauern werden zerstört, die Bauern und in ihrer Folge die Verbraucher zu Geiseln der Konzerne. Es sind Pflanzen, die nicht von ungefähr auf einen hohen Chemieverbrauch gezüchtet sind, so wie es kein Zufall ist, dass die Konzerne, die den Saatgutmarkt beherrschen, Chemie- und Pharmaunternehmen sind.

Der Film erzählt die Geschichte einer Industrie, die einst Kriegschemikalien verkaufte und sich mit der Landwirtschaft einen neuen Absatzmarkt erschlossen hat. Die Auswirkungen auf Umwelt und Biodiversität sind immens. Der Regen der Pestizide geht direkt neben Siedlungen oder gar Schulen nieder. Auffällig sind in diesen Gegenden erhöhte Raten an Missbildungen, Fehlgeburten und Krebserkrankungen. Massiv drängen die Konzerne in die Länder des Südens, die Kleinbauern dort nehmen Kredite auf, verschulden sich. Die genmanipulierte Saat ist nicht an die regionalen Klimabedingungen angepasst und schädlingsanfällig. Allein in Indien haben sich in den letzten zwanzig Jahren 300.000 Bauern das Leben genommen. Oft, indem sie Pestizide trinken. Die Konzerne stecken riesige Summen in politische Kampagnen und Lobbyismus, sie reagieren auf Klagen mit Gegenklagen, besetzen Regierungspositionen und manipulieren wissenschaftliche Daten.

Man könnte nun vor der Summe dieses Grauens direkt das Handtuch werfen, aber diesem Impuls stemmt sich Unser Saatgut – Wir ernten, was wir säen schon allein stilistisch mit einem gewaltigen Potpourri entgegen. Die eher klassischen Interviewaufnahmen werden flankiert von Nachrichten- und Archivmaterial, Privatfotos, Stock-Footage von umherfliegendem, wasserbeperltem Gemüse und allerlei animierten Sequenzen, bei denen kein Stil dem anderen gleicht. Man reibt sich da eine Weile ungläubig die Augen, bis einem aufgeht: Das stilistische Chaos ist kein Versehen, sondern die Vielfalt der visuellen Stile soll die Forderung nach Vielfalt im Saatgut spiegeln. Was ja wiederum auch eine Art Stringenz ist – und die ist so dermaßen frech verspielt, dass man sich ihrem Charme nach anfänglichem Widerstand schmunzelnd ergibt.

Die passionierten Aktivistinnen und Aktivisten in Unser Saatgut – Wir ernten, was wir säen sind ansteckend. Immerhin steht und fällt mit dem Saatgut nicht nur das Angebot auf unseren Tellern, sondern auch das Überleben zukünftiger Generationen. Nur mit vielfältigem Saatgut werden wir uns den Folgen des Klimawandels anpassen können. Mit dem einher geht eine Landwirtschaft, die künftig nachhaltig wirtschaften muss, statt den Klimawandel weiter voranzutreiben. Man muss Jane Goodall hören, wie sie mit leuchtenden Augen vom Reichtum des Saatguts schwärmt. Den Molekularbiologen Ignacio Chapela, der die Beziehung zwischen Menschen und Pflanzen als Tanz beschreibt, der eine Kultur überhaupt erst ermöglicht. Die zwei botanischen Entdecker, die über in Tütchen abgepacktes Saatgut in eine dermaßen große Aufregung geraten, dass man sich ein paar Sekunden lang fragt, ob da nicht doch eher Marihuana drin ist. Oder eben Emigdio Ballon aus dem Tesuque Pueblo in New Mexico, der erzählt, wie sein Großvater ihm kurz vor seinem Tod eine Handvoll Samen gab, mit den schlichten Worten: „Dies ist Leben.“

Titelbild: Clayton Brascoupe mit Ähren vom einheimischen Mais der Pueblo in New Mexico © W-film / Collective Eye Films

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