Buchtipp: „Berlin isst anders“

Die Metropolregion Berlin-Brandenburg hat riesiges Potenzial, zu einem Zentrum der Ernährungswende zu werden – das ist die zentrale These des vom Ernährungsrat Berlin herausgegebenen Buchs „Berlin isst anders. Ein Zukunftsmenü für Berlin und Brandenburg“.

Neben extrem vielen Initiativen und Projekten gibt es in der Region hochrangige Forschungseinrichtungen und Hochschulen, die zum Thema arbeiten. Auch die Landesregierung hat mit ihrer Unterschrift unter das Mailänder Abkommen erklärt, ein nachhaltiges Ernährungssystem aufbauen zu wollen.

Das Buch liefert nicht nur eine kritische Bestandsaufnahme, wie zum Beispiel, dass 21 bis 37 Prozent der klimaschädlichen Gase auf die heutige Art der Ernährung zurückzuführen sind, immer mehr Menschen an Übergewicht und Allergien leiden, und die Lebensmittelvorräte in der Stadt gerade einmal für drei Tage reichen. Es macht auch Hoffnung, vorausgesetzt die Politik nimmt sich des Themas in angemessener Weise an.

Der Leiter des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung (PIK) Johan Rockström hat mit einem Team einen konkreten Speiseplan pro Kopf erarbeitet, der für Planet und Menschheit dauerhaft gesund ist. Die TU Berlin konnte mit einem Praxisversuch nachweisen, dass auf Berlins Dächern große Teile des benötigten Frischgemüses und erhebliche Mengen Fisch produzierbar sind. Die Hochschule für Nachhaltige Entwicklung in Eberswalde (HNEE) erforscht, wie mehr Lebensmittel aus Brandenburg nach Berlin gelangen können – denn heute bauen die meisten Brandenburger Betriebe für den Weltmarkt an. Dabei könnte die Stadt mit ihren 3,7 Millionen Einwohnern aus einem Umkreis von etwa 100 Kilometern ernährt werden, wie das Leibniz-Zentrum für Agrarlandschaftsforschung (ZALF) errechnet hat.

Viele Initiativen und Unternehmen arbeiten an innovativen Lösungen – von Zusammenschlüssen von Bäuerinnen und Konsumenten über Logistikkonzepte bis hin zu vielfältigen Kultur-, Bildungs- und Urban-Gardening-Projekten. „Eine nachhaltigere Ernährung braucht viele Akteure, und die Arbeit von Ernährungsräten und anderen zivilgesellschaftlichen Akteuren ist enorm wichtig” sagte Professor Harald Grethe von der Humboldt-Universität. Unter seiner Leitung hatte der Wissenschaftliche Beirat für Agrarpolitik, Ernährung und gesundheitlichen Verbraucherschutz im vergangenen Jahr das 800-Seiten-Gutachten ‘Politik für eine nachhaltige Ernährung’ veröffentlicht. „Die Agrar- und Ernährungspolitik agiert viel zu zögerlich und es braucht mehr politischen Mut zur Gestaltung der erforderlichen Nachhaltigkeitstransformation”, so Grethe weiter.

Deshalb fordert der Ernährungsrat Berlin von der neuen Landesregierung, dass sie Ernährung als Querschnittsthema ganz oben ansiedelt. Viele Ressorts müssen zusammenarbeiten, denn es geht um Änderungen in den Bereichen Gesundheit, Bildung, Klima- und Umweltschutz, Wirtschaft, Sozialpolitik, Arbeit, Verbraucherschutz, Verkehr, Kultur und Forschung. Außerdem ist insbesondere wegen der Landwirtschaft eine enge Kooperation mit Brandenburg dringend geboten. Zugleich wird die Ernährungswende aber nur gelingen, wenn die Bevölkerung mitzieht.

Deshalb schlägt der Berliner Ernährungsrat die Errichtung einen Ernährungscampus vor, wo die Stadtgesellschaft gemeinsam und partizipativ Antworten sucht auf die drängende Frage: Wie können Produktion und Konsum aller Lebensmittel die planetaren Grenzen wahren und zugleich sozial fair sein? „Heute verdienen einige Wenige Milliarden mit skandalösen Arbeitsbedingungen in Schlachthöfen und durch zentralisierte Handelsstrukturen – und zugleich reichen die Hartz IV-Sätze nicht aus, um Lebensmittel nach dem Standard der Deutschen Gesellschaft für Ernährung einzukaufen“, sagt Sabine Werth, Gründerin und Vorsitzende der Berliner Tafel. Werth verweist außerdem darauf, dass die hohen Mieten und die mangelhafte Versorgung armer Bevölkerungsgruppen mit guten Lebensmitteln einen unmittelbaren Zusammenhang haben. Eltern die Schuld für das Übergewicht ihrer Kinder zu geben, sei vor diesem Hintergrund zynisch.

Der Berliner Ernährungsrat hat für das Buch mit Forscherinnen und Caterern, Bauern, Bäckerinnen und Lehrern, Menschen aus der Verwaltung und Armutsbetroffenen gesprochen. Der Slow Food Chef Alliance-Koch Ottmar Pohl-Hoffbauer arbeitet jetzt in einer Kita und versorgt dort 100 Kinder aller sozialer Herkünfte mit bioregionalem Essen. „Weil wir auf Fleisch verzichten und praktisch nichts wegwerfen, ist das Angebot sogar günstiger als vorher, als noch ein Caterer das Essen geliefert hat“, berichtete Pohl-Hoffbauer. Er selbst wird jetzt wie ein Angestellter im Öffentlichen Dienst bezahlt und ist begeistert von seiner neuen Arbeit: „Ich lerne hier unglaublich viel darüber, wie ich Gemüse zubereiten muss, damit es den Kindern schmeckt.“

Der Ernährungsrat Berlin möchte mit dem Buch Politiker*innen sowie Zivilgesellschaft aufrütteln und Mut machen, sich mehr für das zentrale Thema Ernährung zu engagieren.

Das Buch „Berlin isst anders. Ein Zukunftsmenü für Berlin und Brandenburg“ kann hier kostenlos als PDF heruntergeladen werden. Eine Druckversion kann zum Solidaritätspreis von 20,30 Euro über epubli bestellt werden. Zudem ist das Buch im Buchandel erhältlich.

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