Klimawandel und Ernährung: „Der Druck im Kessel steigt“

Wilfried Bommert im Gespräch mit Friedhelm Mühleib

Das folgende Interview wurde am 21.11.2017 auf dem Blog tellerrand veröffentlicht:

Alle reden vom Wetter, kaum einer denkt an die Ernährung. Der Bonner Weltklimagipfel war für die Medien ein willkommener Anlass, wieder einmal über die Folgen des Klimawandels zu berichten.

In (zu Recht) finsteren Szenarien wurde in zahllosen Beiträgen dargestellt, was uns an Katastrophen bevorstehen könnte. Tatsächlich kündigen extreme Wetterlagen wie Überschwemmungen, Stürme, Dürren und Hitzekatastrophen weltweit den realen Klimawandel an. Dass die derzeitige globale Agrarwirtschaft erheblich zum Klimawandel beiträgt und andererseits die Gefährdung unserer Versorgung mit Nahrung zu den gravierendsten Folgen dieses Wandels gehören wird, spielte in den Diskussionen während des Klimagipfels kaum eine Rolle.
Der Agrarwissenschaftler Dr. Wilfried Bommert, während vieler Jahre Leiter der Umweltredaktion des WDR und Mitbegründer des Instituts für Welternährung in Berlin, sieht darin im Interview mit tellerrand ein fatales Versäumnis.

tellerrand: Hat der Fokus der Konferenz auf den Ausstieg aus Kohle und Verbrennungsmotor den Blick der Teilnehmer auf die Rolle der weltweiten Lebensmittelproduktion und die Folgen des Klimawandels für die Ernährungssicherheit verstellt?
Bommert:  Das Thema stand tatsächlich im Hintergrund, was wirklich fatal ist. Wir wissen, dass das Klima zu etwa einem Viertel vom Ernährungssystem beeinflusst wird. Konkret heißt das: Das Ernährungssystem trägt wesentlich zum Klimawandel bei, und ohne die Veränderung des Ernährungssystems ist das Klimasystem nicht zu retten. Wenn das Thema auf der Weltklimakonferenz nicht auf den Tisch kam, hat das natürlich seine Gründe. Die großen Industrienationen sabotieren diese Diskussion, weil sie ihre Landwirtschaften in der herkömmlichen Weise weiter betreiben wollen. Da steckt enorm viel Geld drin, und man möchte die Renditen nach Möglichkeit nicht gefährden.
tellerrand: Optimistische Prognosen gehen davon aus, dass die Erde bis zu 10 Milliarden Menschen ernähren kann. Ist diese Prognose auch angesichts eines bevorstehenden Klimawandels noch haltbar?
Bommert: Sie ist dann haltbar, wenn man die großen Puffer verwertet, die in unserem heutigen Ernährungssystem stecken. Dreißig bis fünfzig Prozent unserer Lebensmittel werden weggeworfen bzw. landen im Abfall. Lebensmittelabfall und Lebensmittelverschwendung stellen riesige Puffer dar! Auch die Überernährung ist eine Art von Verschwendung. Der Ansatz, aus Nahrungsmitteln Brennstoffe für Autos zu machen, gehört ebenfalls zu den Wegen, die für eine vernünftige Welternährung nicht zielführend sind. Bei konsequenter Verwertung dieser Puffer würde das, was wir heute haben, auch dann noch reichen, wenn sich die gegenwärtige Weltbevölkerung verdoppelt.

Was die Menge der für die Versorgung nötigen Nahrung betrifft, wäre zunächst also kein Anlass zur Sorge – selbst wenn Klimaveränderungen kommen. Es geht vielmehr um die Frage, wen die beginnenden Veränderungen am härtesten treffen werden. Die klare Antwort darauf lautet: Am meisten wird es die Menschen im globalen Süden treffen. Die haben schon heute nichts zu nagen und zu beißen und werden am Ende die Klimaveränderung am stärksten spüren. Die Folge werden neue Migrationsströme sein: Wo es nichts mehr zu essen gibt, werden sich die Menschen in Bewegung setzen. Sie werden in Massen ihr Bündel und in Richtung Norden marschieren, denn der Norden wird erstmal am wenigsten betroffen sein.
tellerrand: Erstmals seit drei Jahren verzeichnet der Forscherverbund Global Carbon Project wieder einen Anstieg der globalen CO2-Emissionen aus fossilen Brennstoffen und der Industrie. Mit der Zunahme der CO2-Emissionen auf geschätzte 41 Milliarden Tonnen in diesem Jahr seien die Klimaziele von Paris nur noch schwer zu erreichen. Was wird passieren, wenn sich diese Entwicklung nicht stoppen lässt und das Zwei-Grad-Ziel verfehlt wird?

Bommert: Dann wird es kritisch: Die Hochleistungspflanzen, die wir zur Zeit anbauen, sind nur für eine bestimmte Temperaturspanne ausgelegt. Temperaturen, die während der Vegetationsperiode unserer hochgezüchteten Nahrungspflanzen dauerhaft über 27 Grad liegen, führen zwangsläufig zu Ertragsminderungen. Sollte die globale Durchschnittstemperatur um mehr als 2 Grad und mehr steigen, dann werden Hitzewellen in bisher nicht gekanntem Ausmaß um die Welt ziehen. Das wiederum wird die Ernten einbrechen lassen.
tellerrand: Wie schnell wird sich das auf die weltweiten Ernährungssysteme auswirken?
Bommert: Schneller als wir denken! Je schneller und höher die Temperatur steigt, desto weniger kann unser Biosystem die Umstellung abfedern. Dann sind wir in richtig großen Schwierigkeiten. In der Zeit, die uns dann bleibt, lassen sich keine neuen, angepassten Pflanzen oder Tiere selektieren oder züchten. Je mehr Zeit wir haben, desto größer unsere Chancen. Es wird insbesondere in den Ländern des Südens sehr schnell gehen, die werden die Konsequenzen am stärksten spüren. Die haben zudem den Nachteil, auf der internationalen Bühne mit ihren Anliegen kaum politisches Gehör zu finden, obwohl es für sie um die Existenz geht. Die laufen in den ökonomischen Ruin. Zum einen, weil der Klimawandel dort Arbeitsplätze und ganze Wirtschaftszweige vernichtet.

Zum anderen, weil er die Ernährungssicherheit gefährdet. Nehmen sie zum Beispiel Brasilien – ein Land, das noch immer von den Erträgen seiner Agrarwirtschaft abhängig ist. Kaffee, Soja und Zitrusfrüchte – insbesondere Orangen – gehören dort zu den wichtigsten Kulturen, von denen die Agrarwirtschaft lebt. Alle drei sind massiv vom Klimawandel bedroht. Schätzungen zufolge wird die Anbaufläche für Kaffee um 80% zurückgehen, weil es einfach zu warm für die Pflanze wird. Tausende von Menschen werden ihre Jobs und ihr Einkommen verlieren. Am Ende werden auch wir es merken – wenn der Kaffee zum teuren Luxus wird.
tellerrand: Ist nicht gerade Brasilien ein Beispiel dafür, wie ohnmächtig die Regierungen dieser Länder selbst im eigenen Land sind? Im Oktober wurde ein Viertel des brasilianischen Nationalparks Chapada dos Veadeiros durch Brände zerstört – insgesamt mehr als 10.000 Quadratkilometer. Das entspricht etwa einem Drittel der Fläche Belgiens oder der zwölffachen Fläche Berlins. Die Brände wurden vermutlich von Großgrundbesitzern gelegt aus Wut über die Naturschutzpolitik der Regierung.
Bommert: Aus diversen Recherchereisen nach Brasilien weiß ich, dass es dort genug kriminelle Banden gibt, für die der persönliche Profit an erster Stelle steht, und die auch vor einer Erpressung von Politikern und der Regierung nicht zurückschrecken. Brasilien ist von Korruption durchzogen. Das hat nach der Diktatur nie aufgehört: Dort feiern Illegalität und Gewinnsucht noch immer freudige Urständ. Das Land wird regiert von einer kleinen Clique von Reichen und Mächtigen, die jenseits der demokratischen Spielregeln machen, was sie wollen. Die Bevölkerung hat leider noch einen langen Weg vor sich, bis ihre junge Demokratie diesen Namen verdient.
tellerrand: Brasilien ist kein Einzelfall – schon gar nicht, wenn es um Umweltzerstörung und Klimafrevel geht – man denke nur an die riesigen Brandrodungen auf den Philippinen. Sind angesichts solcher Umweltzerstörung und Freisetzung von CO2 in gigantischem Ausmaß die hiesigen klimapolitischen Streitereien – etwa derzeit bei den Jamaika-Sondierungen – nicht reine Symbolpolitik?  
Bommert: Natürlich kann man sich fragen, warum wir uns hier bemühen ein paar Gramm CO2 mehr einzusparen, während dort die Urwälder brennen. Ich würde die Gleichung stattdessen so aufmachen: Es ist wichtig, dass wir hier anfangen, denn Deutschland war und ist Vorbild. Wenn man weltweit umherreist, merkt man, dass es die Welt interessiert, was die Deutschen machen. Überall fragen Dich die Leute, warum man in Deutschland bestimmte Dinge macht und andere Dinge nicht macht.

Was wir machen – so meine feste Erfahrung und Überzeugung – wirkt am Ende auch stimulierend auf Veränderungen in anderen Ländern. Das ist die eigentliche Bedeutung unseres relativ kleinen Landes in der globalen Klimapolitik. Wir spielen weltweit eine wichtige Rolle als politischer Katalysator für Veränderungen.
tellerrand: Kritiker der Bonner Konferenz monieren die mageren Ergebnisse des Klimamarathons. Für wie hoch ist die Chance, dass es in absehbarer Zeit zu wirksamen Veränderungen und Maßnahmen kommt?  
Bommert: Der Druck im Kessel steigt. Die Frage wird am Ende nicht mehr sein, was wir machen wollen, sondern was wir machen müssen. Da wird es dann nicht mehr um freiwillige Vereinbarungen gehen. Spätestens dann wird die Politik begreifen, dass tiefgreifende Einschnitte und Veränderungen der einzige Ausweg sind, um der ganz großen Katastrophen noch aus eigener Kraft zu entgehen. Das wird nicht auf freiwilliger Basis laufen – ohne administrative Einschränkungen wird das nicht abgehen. Die Verhältnisse werden die Politik zum Handeln zwingen, und dann muss die Politik reagieren.

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