Ernährungsrat Berlin schafft den Sprung ins Politische

Wie viel zukunftsfähige urbane Ernährungspolitik steht in Berlin zur Wahl?

Selbstverständlich ist das nicht, dass Vertreter von allen vier Parteien im Berliner Stadtrat gemeinsam auf einer Euro-Palette Platz nehmen um sich auf den Zahn fühlen lassen. Doch am vergangenen Freitagnachmittag hat es geklappt. In der Markthalle Neun in Berlin fand die erste ernährungspolitische Fühlungnahme der Zivilgesellschaft mit den Parteien Berlins statt.

Gekommen waren Turgut Altug (Bündnis 90/Die Grünen, Sprecher für Natur- und Verbraucherschutz), Sabine Toepfer-Kataw (CDU, Staatssekretärin für Verbraucherschutz), Marion Platta (Die Linke, Sprecherin für Umwelt), Irene Köhne (SPD, Sprecherin für Verbraucherschutz) und für den Ernährungsrat Berlin Christine Pohl.

Die Frage war: Schafft das Thema Ernährung den Sprung in die Berliner Lokalpolitik? Werden die Parteien nach den Wahlen zum Abgeordnetenhaus am 18. September 2016 der Ernährung aus der Region Priorität einräumen? Das Fazit von zwei Stunden intensiver Befragung durch den Ernährungsrat Berlin lautet: Im Prinzip ja, aber…

Das „Ja“ ist zunächst einmal das Wichtigste Ergebnis. Alle geladenen Vertreter stehen einem regionalen Ernährungskonzept für Berlin positiv gegenüber. Nicht irgendwie, sondern sehr konkret. Sie sind sich erstaunlich einig darüber, dass dafür politisch Einiges geändert werden muss.

Da ist zunächst einmal der Staatsvertrag zwischen Berlin und Brandenburg, in dem hat Berlin 1994 seine Landwirtschaftsinteressen an Brandenburg übertragen. Die gilt es jetzt zurück zu holen, um eine eigene Berliner Ernährungspolitik zu entwickeln. Die Kleingärtner in der Stadt, die bisher mit befristeten Pachtverträgen leben müssen, sollen in Zukunft unbefristet auf ihren Parzellen gärtnern können.

Berlin soll  sich auf den Weg zur „Essbaren Stadt“ machen. In Parks und an Wegrändern soll mehr Obst und Gemüse für die Anwohner wachsen. Außerdem soll es in der Stadt künftig mehr Raum für Startups in Sachen regionaler Ernährung geben. Brenner, Brauer, Metzger, Bäcker, und Kaffeeröster sollen künftig in  Berlin nicht mehr um Räume betteln müssen, sie sollen bei der Stadtplanung ernst genommen werden. Und die Lebensmittelverschwendung soll in Zukunft auch weiter eingedämmt werden, durch mehr Aufklärung in Schulen und Kitas aber auch durch Wegwerfverbote, wie sie in Frankreich von der Politik gegenüber den großen Supermärkten schon durchgesetzt wurden.

Einer der größten Hebel der Stadt  zur Veränderung der Ernährungslandschaft liegt in ihren Einkaufsentscheidungen. Nicht nur in dem, was auf den offiziellen Empfängen gegessen und getrunken wird, sondern auch, was in den Mensen, Kantinen der Stadt, in den Kitas und Schulen auf den Tisch kommt. Das alles könnte über neue Vergabevorschriften Berlins geregelt und damit regionalisiert und ökologisiert werden.

Auch auf europäische Ebene soll der zukünftige Senat in Sachen Ernährung mitreden. Da geht es dann um den ganz großen Rahmen der Land- und Ernährungspolitik. Unter anderem um den ökologischen Fußabdruck, den Europäer in der Welt hinterlassen durch die gigantischen Futtermittelimporte, die in der deutschen Fleischproduktion enden.

Aus Brüssel kommen auch die Subventionen für die Industrielandwirtschaft in Brandenburg vor der Toren Berlins. Die schaffen Konkurrenzvorteile für die Großen, besonders beim Pachten und Kaufen von Boden und machen es angehenden Junglandwirten schwer, die Ernährung Berlins aus der Region zu sichern. Auch das könnte sich mit einen neuen Senat ändern. Das Subventionssystems Europas würde nicht mehr stillschweigend akzeptiert.

All das wäre denkbar – theoretisch jedenfalls. Vorausgesetzt, die befragten Volksvertreter finden Gehör bei ihren Parteien, und noch wichtiger, sie mischen noch mit nach der kommenden Berliner Landtagswahl.

Wie dem auch sei – am Ende stand in der Markhalle Neun ein Art Kontrakt zwischen Zivilgesellschaft und Politikern aller Parteien, an dem sich die Berliner Politik in Zukunft messen lassen muss. Der Ernährungsrat für Berlin hat damit die erste Hürde auf dem Weg zu einer regionalen und nachhaltigen Ernährungspolitik für die Bundeshauptstadt geschafft. Wie immer die Wahl ausgeht, nach dem 18. September wird Ernährung aus der Region in Berlin einen neuen Stellenwert haben, einen Politischen.

Sabine Jacobs

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