Globale Agrar- und Ernährungswende würde volkswirtschaftliche Gewinne von 5 bis 10 Billionen US-Dollar erzielen

Globale Agrar- und Ernährungswende würde volkswirtschaftliche Gewinne von 5 bis 10 Billionen US-Dollar erzielen

Pressemitteilung PIK, 29.1.2024

Eine umfassende Transformation der Agrar- und Ernährungssysteme auf der ganzen Welt würde zu sozioökonomischen Gewinnen in Höhe von 5 bis 10 Billionen US-Dollar pro Jahr führen – das zeigt ein neuer globaler Bericht, der von führenden Forschenden der Ökonomie und aus der Food System Economics Commission (FSEC) erstellt wurde. Die bisher umfassendste Studie zur Ökonomie von Agrar- und Ernährungssystemen macht deutlich, dass diese derzeit mehr Wertschöpfung zerstören als sie hervorbringen und dass eine Überarbeitung der politischen Rahmenbedingungen für Ernährungssysteme dringend erforderlich ist. Darüber hinaus wären die Kosten einer Transformation viel geringer als der potenzielle Nutzen, der vielen Hundert Millionen Menschen ein besseres Leben ermöglichen würde.

„Die Kosten, die dadurch entstehen, dass wir das schlecht funktionierende Ernährungssystem nicht aktiv umgestalten, werden die Schätzungen dieses Berichts vermutlich noch übersteigen, da sich die Welt weiterhin auf einem extrem gefährlichen Kurs befindet. Wir werden wahrscheinlich nicht nur die 1,5°C-Grenze überschreiten, sondern auch mit einer jahrzehntelangen Überschreitung konfrontiert sein“, erklärt Johan Rockström, Direktor des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung (PIK) und FSEC-Initiator. „Der einzige Weg, um dann wieder auf 1,5°C zu kommen, ist der Ausstieg aus den fossilen Brennstoffen, die Bewahrung der Natur und die Umwandlung der Agrar- und Ernährungssysteme von einer Quelle für Treibhausgase hin zu einer Senke. Damit hängt die Zukunft der Menschheit auf der Erde von diesem globalen Ernährungssystem ab“, fügt er hinzu. 

Ernährungssysteme als wirksames Mittel, um 174 Millionen Menschen vor vorzeitigem Tod zu bewahren

 Der Bericht liefert die bisher umfassendste Modellierung der Auswirkungen von zwei möglichen Zukunftsszenarien für das globale Ernährungssystem: unseren derzeitigen Pfad der aktuellen Trends und den Pfad der Transformation des Ernährungssystems. Für den Pfad „Aktuelle Trends“ skizziert der Bericht, was bis 2050 passieren würde, selbst wenn die politischen Entscheidungsträger alle derzeitigen Verpflichtungen einhalten: Die Ernährungsunsicherheit wird in einigen Teilen der Welt immer noch dazu führen, dass 640 Millionen Menschen (darunter 121 Millionen Kinder) unterernährt sind, während die Fettleibigkeit weltweit um 70% zunehmen wird. Die Ernährungssysteme werden weiterhin für ein Drittel der globalen Treibhausgasemissionen verantwortlich sein und so auch bis zum Ende des Jahrhunderts zu einer Erwärmung von 2,7 Grad im Vergleich zu vorindustriellen Zeiten beitragen. Zudem wird die Nahrungsmittelproduktion zunehmend anfällig für den Klimawandel, da auch die Wahrscheinlichkeit von Extremereignissen drastisch zunehmen wird.

Der FSEC-Bericht stellt zugleich fest, dass das Ernährungssystem stattdessen einen wichtigen Beitrag zur wirtschaftlichen Entwicklung leisten und Lösungen für Gesundheits- und Klimaprobleme vorantreiben könnte. Auf dem Pfad zur Transformation des Ernährungssystems zeigen die Ökonominnen und Ökonomen, dass bis 2050 bessere Strategien und Maßnahmen dazu führen könnten, Unterernährung zu überwinden und insgesamt 174 Millionen Menschen vor einem vorzeitigen Tod durch ernährungsbedingte chronische Krankheiten zu bewahren. Die Ernährungssysteme könnten bis 2040 zu Netto-Kohlenstoffsenken werden und so dazu beitragen, die globale Erwärmung bis zum Ende des Jahrhunderts auf unter 1,5 Grad zu begrenzen, zusätzliche 1,4 Milliarden Hektar Land zu schützen, die Stickstoffüberschüsse aus der Landwirtschaft fast zu halbieren und den Verlust der biologischen Vielfalt aufzuhalten. Darüber hinaus könnten 400 Millionen Beschäftigte in der Landwirtschaft auf der ganzen Welt ein ausreichendes Einkommen erzielen.

„Die Kosten für diese Transformation – schätzungsweise 0,2 bis 0,4 Prozent der weltweiten Wirtschaftsleistung pro Jahr – sind gering im Vergleich zu den Vorteilen, die sich daraus ergeben würden und die wirtschaftlich mehrere Billionen Dollar pro Jahr ausmachen. Ernährungssysteme haben ein einzigartiges Potenzial, um globale Klima-, Umwelt- und Gesundheitsprobleme gleichzeitig anzugehen – und damit Hunderten von Millionen Menschen ein besseres Leben zu ermöglichen“, sagt Hermann Lotze-Campen, FSEC-Kommissionsmitglied und Leiter der Forschungsabteilung „Klimaresilienz“ am PIK.

„Anstatt unsere Zukunft mit einer Hypothek zu belasten und steigende Kosten anzuhäufen, die zu hohen versteckten Gesundheits- und Umweltkosten führen, sollten sich die politischen Entscheidungsträger der Herausforderung der Agrar- und Ernährungswende stellen. Jetzt müssen Veränderungen vorgenommen werden, die kurz- und langfristig weltweit enorme Vorteile bringen werden“, sagt Ottmar Edenhofer, PIK-Direktor und FSEC-Ko-Vorsitzender. „Dieser Bericht sollte die dringend benötigte Diskussion zwischen den wichtigsten Interessengruppen darüber anstoßen, wie wir diese Vorteile nutzen können, ohne jemanden zurückzulassen“, erklärt er abschließend.


Die Food System Economics Commission (FSEC) ist eine unabhängige akademische Kommission, die politische und wirtschaftliche Entscheidungsträgerinnen und Entscheidungsträger mit Instrumenten und Fakten ausstatten soll, um die Ernährungs- und Landnutzungssysteme zu verändern. Sie bringt führende Expertinnen und Experten aus den Bereichen Klimawandel, Gesundheit, Ernährung, Landwirtschaft und natürliche Ressourcen zusammen und umfasst Organisationen wie das Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung, die Weltgesundheitsorganisation, die Weltbank, die London School of Economics, das World Resources Institute Africa und viele andere. Der FSEC Global Policy Report baut auf jahrelangen Studien auf, einschließlich des EAT-Lancet-Berichts. Der Report betrachtet den Wandel der Ernährungsysteme nicht nur unter dem Gesichtspunkt der ökologischen Nachhaltigkeit, sondern auch der globalen Gesundheit, Ernährung, wirtschaftlichen Entwicklung und sozialen Eingliederung.

Hier geht es zum FSEC Global Policy Report „The Economics of the Food System Transformation“.

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Bodenatlas 2024

Bodenatlas 2024

Der Boden unter unseren Füßen ist ein wahres Multitalent. Er ist der artenreichste Lebensraum unserer Erde, er speichert gigantische Mengen Klimagase und Wasser, ernährt Mensch und Tier, lässt Blumen blühen und Bäume wachsen. Der Boden ist eine lebenswichtige Ressource – und er ist bedroht. Rund 60 Prozent der Böden in der EU sind geschädigt, gestern noch fruchtbarer Humus trocknet aus, verwandelt sich in Steppe und Wüste, immer mehr Böden werden für den Bau von Infrastruktur versiegelt. Konflikte um knapper werdendes Land nehmen zu. Der Bodenatlas 2024 beleuchtet nicht nur die Folgen des weltweiten Verlusts an fruchtbarem Boden, sondern zeigt auch die Potentiale nachhaltiger und gerechter Bodennutzung für den Klimaschutz und die Artenvielfalt. Der Bodenatlas ist als kostenlose Online- und als Printausgabe verfügbar – außerdem gibt es dazu noch eine spannende Podcast-Reihe.

Der Bodenatlas 2024 ist ein Kooperationsprojekt von Heinrich-Böll-Stiftung,
Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland e.V. und TMG – Think Tank for Sustainability, TMG Research gGmbH.

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Studie: Inwieweit kann sich München nachhaltig aus der Region ernähren?

Studie: Inwieweit kann sich München nachhaltig aus der Region ernähren?

Die im Februar 2023 veröffentlichte Studie „Foodshed München – Bewertung des Einzugsgebiets und der potenziellen Selbstversorgung mit Nahrungsmitteln in München.“ von Dr. José Luis Vicente-Vicente und Dr. Annette Piorr vom Leibniz-Zentrum für Agrarlandschaftsforschung (ZALF) e.V. wurde vom Bundestagsbüro Karl Bär (Die Grünen) in Auftrag gegeben. Im Zentrum der Studie steht die Frage, inwieweit sich München nachhaltig aus der Region ernähren könnte.

Aus der Zusammenfassung:

„Wie in anderen Großstadtregionen etablieren sich in München und seinem Umland zunehmend neue und flexiblere Modelle von Produktion, Organisation und Konsum, die einen stärkeren Bezug zur Region und ihren Akteuren vor Ort aufweisen. Die Politik sieht hier einen wichtigen Ansatzpunkt, geeignete Rahmenbedingungen für gesunde Ernährungsweisen, faire Ernährungsumfelder und nachhaltigere Erzeugung in der Region zu schaffen.

Ein erster Schritt für Diskussionen und politische Prozesse in diese Richtung sind Potenzialstudien, wozu Foodshed-Modellierungen gehören. Sie berechnen das theoretische Einzugsgebiet von Lebensmitteln, also den Flächenumfang der nötig ist, um die BewohnerInnen unter Berücksichtigung ihres Konsumverhaltens an Lebensmitteln verschiedener Produktgruppen aus dem direkten Umfeld zu ernähren. Wobei lokale z.B. Anbaubedingungen, Erträge und landwirtschaftliche, aber auch naturräumliche Strukturen berücksichtigt werden. Szenarien erlauben die Berücksichtigung alternativer Produktionsmethoden, veränderter Ernährungsweisen, der Beibehaltung bestehender Spezialisierung auf Sonderkulturen oder der Wiedervernässung von Moorgebieten.

Foodshed für München und Region
Die Foodshedmodellierungen dieser Studie zeigen:

  • Eine regionale Versorgung innerhalb der räumlichen Grenzen der drei Regierungsbezirke Oberbayern, Niederbayern und Schwaben wäre zur Sicherstellung der Ernährung der Bevölkerung Münchens und der genannten Regionen möglich. Lässt man die für den globalen Markt relevanten Anbauflächen für Hopfen unverändert, kann theoretisch in der Region immer noch mehr produziert als lokal verbraucht werden, sowohl bei rein konventioneller (Selbstversorgungsgrad rd. 160%) als auch bei rein ökologischer Bewirtschaftung (Selbstversorgungsgrad 117%). Das theoretische Nahrungsmitteleinzugsgebiet um München hätte entsprechend einen Radius von 114km (für konventionelle Produktion) gegenüber 125 km (für ökologische Produktion).
  • Die Vermeidung von Lebensmittelabfällen entlang der Wertschöpfungskette (vor und nach der Ernte, bei Aufbereitung, Weiterverarbeitung, Lagerung, Vertrieb und Handel, in Haushalten) birgt weitere signifikante Flächenpotenziale. Weniger Nahrungsmittelabfälle lassen den Foodshed-Radius um bis zu 10 km sinken, und machen Flächenpotenziale frei für entsprechende alternative Nutzungen oder den Naturschutz.

  • Ernährungsumstellung ist ein weiterer wirksamer Hebel für die Erhöhung der Flächen- produktivität. Bei einer Halbierung des Verzehrs von Lebensmitteln tierischer Herkunft, einer Verdopplung des Gemüseverzehrs und deutlich erhöhtem Anteil von Hülsenfrüchten und Nüssen in der Ernährung könnte der Selbstversorgungsgrad bei konventionellem Anbau auf 172% und bei ökologischem Anbau auf 135% steigen.

  • Die Wiedervernässung ehemaliger Moorflächen wird wegen ihrer Funktion als möglicher Kohlenstoffspeicher als Strategie zum Klimaschutz vielerorts diskutiert. Solche Flächen finden sich auch im Gebiet der drei Regierungsbezirke, die das potenzielle Nahrungseinzugsgebiet für München und Region ausmachen. Sie umfassen etwa 6% der landwirtschaftlichen Nutzfläche und weisen eine überdurchschnittliche Produktivität auf. Würde man diese Flächen aus der Nutzung nehmen und wiedervernässen, blieben die Einbussen am potenziellen Selbstversorgungsgrad im einstelligen Bereich (9,89% bzw. 7,25%).

  • Es wäre also möglich, selbst bei Wiedervernässung ehemaliger Moore, die Region aus den eigenen Flächenpotenzialen nachhaltig und divers zu ernähren, und gleichzeitig für den Weltmarkt zu produzieren, im Umfang von 10%-50% der regional abgesetzten Produktmengen (wobei Anbaugebiete für Hopfen im bisherigen Umfang und Markt agieren würden). Bei zusätzlicher Umstellung der Ernährung könnten Moorschutz und gesunde 100% regionale Ernährung sogar noch Exportpotenziale von >25% (ökologisch) – >60% (konventionell) realisieren lassen.

  • Für die Interpretation der Ergebnisse dieser Studie ist es wichtig, zu berücksichtigen, dass es sich um theoretische Modellierungen handelt. Die kreisförmige Repräsentation des Flächenbedarfs für das Nahrungsmitteleinzugsgebiet (Foodshed) in den Abbildungen dieser Studie soll primär einen Eindruck der Größe des möglichen Gebietes für regionale Ernährung vermitteln, wenngleich in der Praxis die Definition von Regionalität bzw. des Einzugsgebietes für unterschiedliche Produktgruppen durchaus Sinn macht.

  • Auch ist zu berücksichtigen, dass im Vergleich von konventioneller und ökologischer Be- wirtschaftung der Flächenbedarf (der beim ökologischen Landbau höher ist) lediglich ein relevanter Aspekt ist. Auf den Umstand, dass im konventionellen System mehr Betriebsmittel (z.B. Futtermittel auf Sojabasis) andernorts hergestellt werden und dort ihren Flächenfootprint hinterlassen, häufig verknüpft mit dortigen teils unerwünschten Umweltwirkungen, konnte im Rahmen dieser Studie nicht vertieft eingegangen werden.“

Die komplette Studie können Sie hier als PFD herunterladen.

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Alternative zu Herbiziden: Landwirtschaft ohne Glyphosat

Alternative zu Herbiziden: Landwirtschaft ohne Glyphosat

Der neue Bericht „Alternative zu Herbiziden – Landwirtschaft ohne Glyphosat“ von PAN Europe in Zusammenarbeit mit der europäischen Fraktion der Grünen/EFA zeigt, dass es für alle bekannten Hauptanwendungen von Herbiziden auf Glyphosatbasis wesentlich sicherere nicht-chemische Alternativen gibt, sowohl Low- als auch Hightech-Verfahren. Der Bericht schlägt zudem Maßnahmen vor, wie der Übergang zu einer glyphosatfreien Landwirtschaft wirtschaftlich tragfähig machbar ist. In diesem Jahr entscheidet die EU über die Wiederzulassung von Glyphosat.

Im Rahmen der Veröffentlichung der Studie findet am 11. April um 13 Uhr eine Online-Panel-Diskussion statt. Nähere Informationen und die Anmeldung finden Sie hier.

Die deutsche Kurzfassung des Berichts können Sie hier als PDF herunterladen, die komplette englische Fassung hier.

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Der Irrsinn der Verhältnisse: Buchkritik zu „Die Neuerfindung des Unternehmertums“

Der Irrsinn der Verhältnisse: Buchkritik zu „Die Neuerfindung des Unternehmertums“

„Die Neuerfindung des Unternehmertums: Solidarische Ökonomie, radikale Demokratie und kulturelle Evolution“ von Reinhard Pfriem

Eine Buchkritik von Wilfried Bommert

 „Die Frage ist, ob wir da noch einmal rauskommen.“ Reinhard Pfriem, der Professor Emeritus für Unternehmensführung und betriebliche Umweltpolitik an der Carl von Ossietzky Universität Oldenburg, ist sich am Ende seines Opus Magnum nicht mehr sicher. Kriegen wir die Kurve noch einmal hin? Oder steuern wir sehenden Auges auf das Ende unserer Zivilisation zu, auf die thermische Vernichtung unserer Welt?

Dabei sollten wir wissen, so Pfriem, wo das rettende Ufer liegt. In einer solidarischen Gesellschaft, in einer solidarischen Ökonomie, in einer Transformation des Unternehmertums. Weg von der Idee, dass die Märkte die Misere schon wieder bereinigen werden, die sie angerichtet haben, weg von dem alles beherrschenden Prinzip der Gewinnmaximierung.

Für Reinhard Pfriem müssen die Unternehmer:innen der Zukunft weder Schlips noch Kragen tragen, dafür aber ein gerütteltes Maß an Verantwortung gegenüber der Welt, in der sie wirtschaften. Ist dies im Kapitalismus machbar? Oder wird hier Unmögliches gefordert? Ohne die Hoffnung, dass die Grenzen des Systems zu überwinden sind, geht es für Pfriem nicht. Auch nicht ohne radikale Demokratie, in der Teilhabe wichtiger ist als Repräsentation, in der die Ökonomie wieder das Pferd wird, dass den Karren zieht und nicht der Kutscher, der den Weg bestimmt. Dazu muss sich auch die Wissenschaft anders aufstellen. Weg von einer Wissenschaft, die ohne Ansehen der gesellschaftlichen Probleme in ihrem Elfenbeinturm forscht, hin zu einer, die die Kräfte des gesellschaftlichen Wandels unterstützt und sich selbst als Möglichkeitswissenschaft versteht.

Utopien? Ja, für Reinhard Pfriem gilt es das Unmögliche zu fordern, damit das Undenkbare abgewendet werden kann. Zum Ausgang seines Werkes bringt er das ins Spiel, was dringend zu tun und deshalb zu fordern ist. Er benennt die Bausteine einer besseren Zukunft. Wenn es uns gelingt, die Klimakatastrophe und damit die thermische Vernichtung unserer Zivilisation auszubremsen, indem wir unsere Mobilität und unsere Energiesysteme solar organisieren, unseren Fleischkonsum drosseln, eine Ernährungswende mit einer ökologischen Landbewirtschaftung auf den Weg bringen, wäre ein Anfang gemacht.

Aber damit ist die Welt für den politischen Ökonomen Reinhard Pfriem noch keineswegs auf zukunftsfähigen Kurs. Ohne eine solidarische Weltpolitik, die sich Vertreibung und Flucht ernsthaft annimmt, ohne eine Friedenspolitik, die vor Verteidigungspolitik rangiert, ohne eine Wirtschaftspolitik, die globale Gerechtigkeit vor nationale Bereicherung stellt und ohne ein Europa, dass sich der Solidarität verschreibt, anstatt die Schwächeren auszugrenzen, ohne all dies wird es nicht getan sein. Es ist eine Frage der Vernunft, der Selbsterhaltung, des wohlverstanden Eigennutzes.

Wenn Reinhard Pfriem sein letztes Kapitel mit dem Zitat einleitet „Immer mehr Affen bezweifeln, dass der Mensch von ihnen abstammt“, dann leuchtet noch einmal der Irrsinn der Verhältnisse auf, in die wir uns in den letzten 100 Jahren gebracht haben und auch ein Hauch von Resignation, dass die Affen am Ende recht haben könnten. Und „die Frage ist, ob wir da noch einmal rauskommen“.

Reinhard Pfriem führt uns in seinem Buch mit klarem politischen Blick vor Augen, wie weit wir vom enkeltauglichen Weg abgekommen sind. Aber er zeigt uns auch die politischen Möglichkeiten auf, die wir haben, um unser Schicksal doch noch zu wenden. Ein engagiertes, lesenswertes und tiefgründiges Werk, empfehlenswert.
 
Pfriem, R. (2021) Die Neuerfindung des Unternehmertums: Solidarische Ökonomie, radikale Demokratie und kulturelle Evolution, Theorie der Unternehmung, Bd. 73, Metropolis Verlag. 

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Online-Lesung: Tanja Busse „Fleischkonsum“ 

Online-Lesung: Tanja Busse „Fleischkonsum“ 

Liebe Mitglieder und Freund:innen des IWE,

hiermit möchten wir euch ganz herzlich zur Online-Lesung mit Tanja Busse aus ihrem aktuellen Buch „Fleischkonsum – 33 Fragen und Antworten“ einladen.

Die Lesung findet am Mittwoch, den 23. Februar 2022 von 20.00 – 21.30 Uhr statt, im Anschluss gibt es Gelegenheit zum Austausch. 

Dr. Tanja Busse ist Moderatorin, Autorin und Journalistin. Sie schreibt über Ökonomie, Ökologie, Umwelt, Nachhaltigkeit, Ernährung, Landwirtschaft, Konsum & Politik.

Ihr könnt euch bis zum Nachmittag des 23. Februar anmelden unter info@kinderleicht-ev.de oder 089/716 77 50 40 und erhaltet anschließend den Zugangslink für die Zoom-Veranstaltung.

Die Lesung findet im Rahmen des Projekts „Cooking for future“ statt, das das Ernährungsinstitut KinderLeicht von IWE-Vorständin Agnes Streber durchführt. 

Wir freuen uns, euch dort zu sehen!
Herzliche Grüße im Namen des Vorstands,
Wilfried Bommert 

IWEOnline-Lesung: Tanja Busse „Fleischkonsum“ 
IWE -Studie: Bundeskantinen ökologisch mangelhaft

IWE -Studie: Bundeskantinen ökologisch mangelhaft

Was in den Bundeskantinen in Töpfen und Pfannen für die Bundesbediensteten angerichtet wird, dürfte der Regierung selbst kaum schmecken. Denn was da täglich tausendfach auf den Tellern landet, ist alles andere als klimafreundlich und verträgt sich in der Mehrzahl der Fälle weder mit den klimapolitischen Zielen noch mit dem ökologischen Anspruch der neuen Regierung.

Das jedenfalls ergibt eine jüngst abgeschlossene Studie zur Verpflegung in den bundeseigenen Kantinen, die das Institut für Welternährung in Kooperation mit der Hochschule Darmstadt durchgeführt hat. [1]

Das Fazit: Die Bundesregierung schadet durch ihre Kantinenwirtschaft dem eigenen Ansehen und der internationalen Glaubwürdigkeit ihrer Politik.

Die Erkenntnisse, die Svea Spieker, Hochschule Darmstadt, Fachbereich Media im Rahmen ihrer Masterarbeit bei 54 Kantinen des Bundes gewonnen hat, zeigen:  

  • dass gerade Fleisch zu häufig und in zu großen Mengen auf dem Teller landet und mit bis zu 750 Gramm pro Woche teilweise mehr als drei Mal so hoch liegt wie die von Experten empfohlene Menge von max. 200 Gramm
  • dass vegetarische und vegane Gerichte zu selten angeboten werden
  • dass Kriterien wie bio, regional und fair bei den Bundeskantinen bislang unterbelichtet sind
  • dass Kommunikation mit der Kantinenkundschaft über die Nachhaltigkeit des Speiseangebots nur in Ansätzen stattfindet. Bei den Entscheidungen über die Umwelt- und Klimaverträglichkeit bleibt der Essensgast weitestgehend sich selbst überlassen.
  • dass lokale Anbieter, regionale Verarbeiter und kleinere Bauern keinen angemessenen Platz als Zulieferer finden
  • dass es nur in einem Drittel der Kantinen verbindliche Vorgaben des Bundes in Sachen Nachhaltigkeit gibt

Dabei gibt die Studie nach dem Urteil der Autorin noch eher die Sonnenseite der Kantinenwirtschaft des Bundes wieder. Denn von den 150 angeschriebenen Kantinen haben nur ein Drittel teilgenommen. Es ist anzunehmen, dass diese auch in Sachen Nachhaltigkeit die Motivierteren sind. Zwei Drittel lehnten trotz Nachfragen eine Teilnahme ab.

Unter dem Strich, so Agnes Streber, Projektleiterin:

  • verfehle die Bundesregierung in ihren Kantinen die eigenen Umweltziele und Nachhaltigkeitsansprüche,
  • versage damit als Motor für eine klimaverträgliche Ernährungswende,
  • vergibt die Chance, regionale ökologische Wirtschafts- und Ernährungskreisläufe zu stärken
  • und verpasst die Möglichkeit, mit ihren Kantinen Standards für Klima und Gesundheit zu setzen, die in Kitas, Schulen und Mensen als Vorbild dienen könnten

Die derzeitige Praxis in Bundeskantinen, so der Sprecher des Instituts für Welternährung Wilfried Bommert, liegt weit hinter den Zielen, die die Bundesregierung 2021 in ihrem „Maßnahmenprogramm Nachhaltigkeit – Weiterentwicklung 2021“ selbst beschlossen hat und stelle die Glaubwürdigkeit der klima-, tierschutz-, umwelt- und gesundheitspolitischen Ziele der Ampelkoalition in Frage.

Vor dem Hintergrund der drängenden ökologischen Krise und der rasant steigenden Fehlernährung der deutschen Bevölkerung legt die Studie den dringenden Handlungsbedarf des Bundes in seiner Kantinenwirtschaft offen und betont dabei fünf Bereiche besonders:

  1. Vorrang für vegetarische und vegane Speisen
  2. Vorrang für bio, regional, saisonal und fair
  3. Vorrang für ökologische Kundenkommunikation mit den Kantinenbesuchern
  4. Vorrang für kleinere, lokale Anbieter sowie regionale Verarbeiter und Landwirte
  5. Verbindliche Vorgaben des Bundes in Sachen Nachhaltigkeit

Eine Zusammenfassung der Studienergebnisse können Sie hier als PDF herunterladen, die Studie „On the Way to a Sustainable Future“ finden Sie hier.

Pressekontakt Institut für Welternährung: Sabine Jacobs
Tel.: +49 (0) 2293 815 07 0 / Fax: +49 (0) 2293-815071
Mail: sabine.jacobs@institut-fuer-welternaehrung.org 


[1]On the Way to a Sustainable Future
Analysis and Optimisation of Sustainability Management and Communication using the Example of the Food Sector
Final thesis in the course of study Media, Technology and Society to obtain the academic degree Master of Science (M.Sc.) submitted by Svea Spieker, Matriculation number 752 832 , August 2021

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Buchtipp: „Berlin isst anders“

Buchtipp: „Berlin isst anders“

Die Metropolregion Berlin-Brandenburg hat riesiges Potenzial, zu einem Zentrum der Ernährungswende zu werden – das ist die zentrale These des vom Ernährungsrat Berlin herausgegebenen Buchs „Berlin isst anders. Ein Zukunftsmenü für Berlin und Brandenburg“.

Neben extrem vielen Initiativen und Projekten gibt es in der Region hochrangige Forschungseinrichtungen und Hochschulen, die zum Thema arbeiten. Auch die Landesregierung hat mit ihrer Unterschrift unter das Mailänder Abkommen erklärt, ein nachhaltiges Ernährungssystem aufbauen zu wollen.

Das Buch liefert nicht nur eine kritische Bestandsaufnahme, wie zum Beispiel, dass 21 bis 37 Prozent der klimaschädlichen Gase auf die heutige Art der Ernährung zurückzuführen sind, immer mehr Menschen an Übergewicht und Allergien leiden, und die Lebensmittelvorräte in der Stadt gerade einmal für drei Tage reichen. Es macht auch Hoffnung, vorausgesetzt die Politik nimmt sich des Themas in angemessener Weise an.

Der Leiter des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung (PIK) Johan Rockström hat mit einem Team einen konkreten Speiseplan pro Kopf erarbeitet, der für Planet und Menschheit dauerhaft gesund ist. Die TU Berlin konnte mit einem Praxisversuch nachweisen, dass auf Berlins Dächern große Teile des benötigten Frischgemüses und erhebliche Mengen Fisch produzierbar sind. Die Hochschule für Nachhaltige Entwicklung in Eberswalde (HNEE) erforscht, wie mehr Lebensmittel aus Brandenburg nach Berlin gelangen können – denn heute bauen die meisten Brandenburger Betriebe für den Weltmarkt an. Dabei könnte die Stadt mit ihren 3,7 Millionen Einwohnern aus einem Umkreis von etwa 100 Kilometern ernährt werden, wie das Leibniz-Zentrum für Agrarlandschaftsforschung (ZALF) errechnet hat.

Viele Initiativen und Unternehmen arbeiten an innovativen Lösungen – von Zusammenschlüssen von Bäuerinnen und Konsumenten über Logistikkonzepte bis hin zu vielfältigen Kultur-, Bildungs- und Urban-Gardening-Projekten. „Eine nachhaltigere Ernährung braucht viele Akteure, und die Arbeit von Ernährungsräten und anderen zivilgesellschaftlichen Akteuren ist enorm wichtig” sagte Professor Harald Grethe von der Humboldt-Universität. Unter seiner Leitung hatte der Wissenschaftliche Beirat für Agrarpolitik, Ernährung und gesundheitlichen Verbraucherschutz im vergangenen Jahr das 800-Seiten-Gutachten ‘Politik für eine nachhaltige Ernährung’ veröffentlicht. „Die Agrar- und Ernährungspolitik agiert viel zu zögerlich und es braucht mehr politischen Mut zur Gestaltung der erforderlichen Nachhaltigkeitstransformation”, so Grethe weiter.

Deshalb fordert der Ernährungsrat Berlin von der neuen Landesregierung, dass sie Ernährung als Querschnittsthema ganz oben ansiedelt. Viele Ressorts müssen zusammenarbeiten, denn es geht um Änderungen in den Bereichen Gesundheit, Bildung, Klima- und Umweltschutz, Wirtschaft, Sozialpolitik, Arbeit, Verbraucherschutz, Verkehr, Kultur und Forschung. Außerdem ist insbesondere wegen der Landwirtschaft eine enge Kooperation mit Brandenburg dringend geboten. Zugleich wird die Ernährungswende aber nur gelingen, wenn die Bevölkerung mitzieht.

Deshalb schlägt der Berliner Ernährungsrat die Errichtung einen Ernährungscampus vor, wo die Stadtgesellschaft gemeinsam und partizipativ Antworten sucht auf die drängende Frage: Wie können Produktion und Konsum aller Lebensmittel die planetaren Grenzen wahren und zugleich sozial fair sein? „Heute verdienen einige Wenige Milliarden mit skandalösen Arbeitsbedingungen in Schlachthöfen und durch zentralisierte Handelsstrukturen – und zugleich reichen die Hartz IV-Sätze nicht aus, um Lebensmittel nach dem Standard der Deutschen Gesellschaft für Ernährung einzukaufen“, sagt Sabine Werth, Gründerin und Vorsitzende der Berliner Tafel. Werth verweist außerdem darauf, dass die hohen Mieten und die mangelhafte Versorgung armer Bevölkerungsgruppen mit guten Lebensmitteln einen unmittelbaren Zusammenhang haben. Eltern die Schuld für das Übergewicht ihrer Kinder zu geben, sei vor diesem Hintergrund zynisch.

Der Berliner Ernährungsrat hat für das Buch mit Forscherinnen und Caterern, Bauern, Bäckerinnen und Lehrern, Menschen aus der Verwaltung und Armutsbetroffenen gesprochen. Der Slow Food Chef Alliance-Koch Ottmar Pohl-Hoffbauer arbeitet jetzt in einer Kita und versorgt dort 100 Kinder aller sozialer Herkünfte mit bioregionalem Essen. „Weil wir auf Fleisch verzichten und praktisch nichts wegwerfen, ist das Angebot sogar günstiger als vorher, als noch ein Caterer das Essen geliefert hat“, berichtete Pohl-Hoffbauer. Er selbst wird jetzt wie ein Angestellter im Öffentlichen Dienst bezahlt und ist begeistert von seiner neuen Arbeit: „Ich lerne hier unglaublich viel darüber, wie ich Gemüse zubereiten muss, damit es den Kindern schmeckt.“

Der Ernährungsrat Berlin möchte mit dem Buch Politiker*innen sowie Zivilgesellschaft aufrütteln und Mut machen, sich mehr für das zentrale Thema Ernährung zu engagieren.

Das Buch „Berlin isst anders. Ein Zukunftsmenü für Berlin und Brandenburg“ kann hier kostenlos als PDF heruntergeladen werden. Eine Druckversion kann zum Solidaritätspreis von 20,30 Euro über epubli bestellt werden. Zudem ist das Buch im Buchandel erhältlich.

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Für einen globalen Ökohumanismus

Für einen globalen Ökohumanismus

Die kommenden gesellschaftlichen Großkonflikte werden ganz erheblich von ökologischen Faktoren beeinflusst. Dennoch wird die ökologische Frage nicht im Zentrum stehen, da kurz- und mittelfristig soziale Spannungen in den Vordergrund drängen. Wie kann sie dennoch die nötige Berücksichtigung erfahren? 

Durch eine Weiterentwicklung ökologischen Denkens zu einem radikalen und globalen Ökohumanismus – sagen Pierre L. Ibisch und Jörg Sommer. Die beiden Mitherausgeber des  JAHRBUCH ÖKOLOGIE laden zu einer offenen Debatte ein: Wie muss sich unser Denken im Anthropozän verändern, damit wir eine ökologisch verträgliche und sozial gerechte Zukunft gestalten können.

Dieses ePaper von Pierre L. Ibisch und Jörg Sommer ist als Abschlusskapitel des JAHRBUCH ÖKOLOGIE 2021 „Ökologie und Heimat“ erschienen und steht hier zum kostenlosen Download zur Verfügung.

Pierre L. Ibisch ist Biologe und Professor für Nature Conservation und Direktor des Centre for Econics and Ecosystem Management an der Hochschule für nachhaltige Entwicklung Eberswalde; Forschungsprofessur für Ökosystembasierte nachhaltige Entwicklung; stv. Vorsitzender der Deutschen Umweltstiftung; Mitherausgeber des JAHRBUCH ÖKOLOGIE.

Jörg Sommer arbeitet als Sozialwissenschaftler und Publizist. Er ist u.a. Vorsitzender der Deutschen Umweltstiftung, Direktor des Berlin Institut für Partizipation, Vorsitzender der Gesellschaft für Jugend und Sozialforschung, Koordinator der Allianz Vielfältige Demokratie und geschäftsführender Herausgeber des JAHRBUCH ÖKOLOGIE. 

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Food system impacts on biodiversity loss

Food system impacts on biodiversity loss

The paper „Food system impacts on biodiversity loss“, published by the independent policy institute Chatham House, explores the role of the global food system as the principal driver of accelerating biodiversity loss. It explains how food production is degrading or destroying natural habitats and contributing to species extinction. The paper outlines the challenges and trade-offs involved in redesigning food systems to restore biodiversity and/or prevent further biodiversity loss, and presents recommendations for action.

The paper introduces three ‘levers’ for reducing pressures on land and creating a more sustainable food system. The first is to change dietary patterns to reduce food demand and encourage more plant-based diets. The second is to protect and set aside land for nature, whether through re-establishing native ecosystems on spared farmland or integrating pockets of natural habitat into farmland. The third is to shift to more sustainable farming. All three levers will be needed for food system redesign to succeed.

Download the paper „Food system impacts on biodiversity loss“ as PDF here.

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